Interhallungsblatt des Borivürts S!r. 69. Mittwoch, den 9. April. 1902 (Nachdruli verboten.) 71 Aufdev lrkzten SchÄve. Nomon von Gustav af G e i j e r s t a m. Als Niels sich aufrichtete, sah er einen langen, schmalen Schatten über den Abhang einer Klippe austauchen. Er kam vom Thale und schien über die ausgetretenen Stein- Pfade zu fliegen, auf denen schon so viele Füße zu heim- lichen Zusammenkünften geeilt waren. Und in einem Nu entfaltete sich das Glück in ihm gleichsam zu voller Blüte, und dieselbe Freude, die emporgesprotzt, als er dort unten mif der Brücke Märtas Blick begegnete und ihre geflüsterten Worte vernahm, bemächtigte sich seiner aufs neue. Er eiste ihr nicht entgegen. Er erhob sich nur gemächlich, als schämte er sich des Gefühls, das seine Glieder erzittern ließ, und siegesgewiß, lächelnd, jung und glückselig ließ er sie ganz an sich herankommen, bevor er seine Anne erhob und ihre Schultern umfing, um im nächsten Augenblick ihr Antlitz und ihren Hals mit Küssen zu bedecken. „Niels!" sagte Märta atemlos.„Niels!" Aber das war nur des Anscheins halber, aus alter guter Sitte, und weil es sich so schickte. Niels faßte die Worte auch so auf, wie sie gemeint waren, und Märta wäre nicht wenig erstaunt gewesen, hätte er sie anders genommen. Dann setzten sie sich nieder, und Märta begann zu plaudern. Sie zwitscherte wie eine kleine Lerche, und sie hatte solch ein leises gedämpftes Lachen, nach dem sich Niels manche Nacht, wenn er in der Koje lag oder auf dem Deck des Bootes am Steuerruder saß. gesehnt hatte. Und die Worte flogen umher, als würden sie auf Lerchenschwingen getragen und wären nur dazu da, im Sonnenschein zu flattern. Märta erzählte von Mutter und Vater, davon, welche Angst sie ausgestanden, als der„Delphin " nicht kam, vom Lotsen Sjöholm, der mit ihr zu scherzen und des Abends auf sie zu warten pflegte, davon, wie sie sich nach Niels gesehnt, wie sie zu Mutter Albcrtina gegangen war und wie sie diese Nacht dagelegen und ihr Kopfpolster geküßt hatte. Dann nahm sie Niels um den Hals und küßte ihn noch einmal. Und dann begann sie von den Fischen zu sprechen, und wie lästig es war, dazustehen und mit dem Messer in den schweren Langfischen zu arbeiten und nachher nach Salzlauge riechen zu müssen, die nie weggehen wollte. Daun fiel es ihr ein, ob der kleine Bruder heute nacht wohl schlief, und ob jemand merken würde, daß sie draußen war. Und dann kroch sie zusammen wie ein Kätzchen, schlang Niels die Anne um den Hals und schmiegte sich in seine Umarmung. Dann blieb sie sitzen, schweigend und aus- geplaudert. Kein einziges Mal sah sie hinaus übers Meer, und in ihrem ganzen jungen Wesen war nichts, das nicht spielte und janchzte. Niels saß da und hielt mit seinem Arm ihren Leib umschlungen, und über ihre Achsel sahen seine Blicke hinaus in die Ferne. Es war, als hätte das Meer sein Aussehen und seine Farbe geändert, als wäre es plötzlich etwas ganz andres geworden als das Meer, das er gesehen, als er eben erst allein hier saß. Die dunkle Wcinfarbe, die vom Himmel hinab ins Wasser schimmerte, die blinkenden, breiten Licht- wogen des Leuchtturms, die kleinen, glimmenden Pünktchen viele Meilen weit weg im Süden, die Kühle in der Lust, die unendliche Dämmerung— all das wurde mit einem Male so wirklich, so losgelöst von Träumen. Es schlug ihm als Glück und Kraft entgegen, und es war ihm, als knüpften ihn die weichen Anne um seinen Hals ohne Träume an jene Welt fest, die er mit seinen Augen erreichen konnte. Weit draußen glitt ein Dampfboot vorbei und Niels sah dessen grüne Laterne, ohne daß sie es vermochte, seine Gedanken anzulocken. Eine einsame Fischniöwe schwebte in der Dämmerung über seinem Haupte, so nahe, daß er das Rauschen der Flügel hörte. Aber er folgte ihrem Fluge nicht mit den Augen, er sah nur hinab auf einen braunen Hals und ein dunkles Haar, das er sachte mit der Hand streichelte, während er darüber nachsann, ob er wohl je. wenn er nicht allein war, das fühlen würde,»vas er eben empfunden— oder davon würde sprechen können, das einem andren anvertrauen, was bloß sein eigen war. Was er eben erst gedacht, als er dasaß, war fort und dennoch da. Es war eine Erleichterung, es los zu sein, und gleichwohl wußte Niels, daß es nie ganz verschwinden würde. Es würde wiederkommen und sein Recht geltend machen, dies, daß er wegen eines Nichts so weichen Sinnes wurde und so viel denken wollte. Aber wie wenn ein leichter Schleier den Blick verhüllt und man bloß zu blinzeln braucht, um wieder klar zu sehen, so beugte er sich abermals zu Märta hinab. Noch immer ohne zu sprechen, erhob er aufs neue ihr Köpfchen, und er fühlte mit Wonne, wie ihre Lippen den seinen begegneten. Aber dann siel Niels ein, daß er noch fast gar nichts ge- sprachen, obschon sie mehrere Wochen getrennt gewesen, und so sagte er plötzlich: „Willst Du, daß wir uns den Bau ansehen?" „Dahin kann ich nicht mit Dir gehen. August Sjöholm sieht uns vom Ausguck. Er hat heute nacht die Wache." «August Sjöholm," wiederholte Niels.»Was kümmert es ihn, wohin wir gehen?" „Er ist dann so unausstehlich, wenn man ihn trifft/' Es wurde beschlossen, einen Umweg zu machen, um Sjöholms Späheraugen auszutveichen, und die beiden jungen Menschen gingen über den Fclsenabhang zum Meere hinab. Ueber die Steine kletternd, hielten sie sich am Strande eilt- lang, nahe an der Klippemvand, bis sie aus einer kleinen, flachen Felsenplatte standen, auf der sich die weiße Mauer des Baues erhob. Niels und Märta stiegen langsam den Hügel hinan, der zu dem Hause führte, und um nicht von dein gefährlichen Lotsenausguck gesehen zu werden, gingen sie rings herum zum Giebel, wagten jedoch nicht, sich auf die andre Seite zu begeben und durch die Thür etnzutreten. Darum hob Niels Märta durch das Fenster hinein, griff fest zu und sprang ihr selbst nach. Zuni ersten Male stände», die beiden allein innerhalb der Wände, die für ihr ganzes Leben ihr Heim umschließen sollten. Sie gingen aus der Küche in die andren Räume, drei kleine Zimmer, jedes mit zwei Fenstern. „Wir wollen zuerst eine Stube oder zwei in Ordnung bringen." sagte Niels,„das andre kommt daran, bis es Zeit dajür ist." Märcka nickte. Sie war mit einem Male ganz ver- stummt, und ihr Gesicht wurde mild, nachdenklich und fein. Ohne etwas zu sagen, nahm sie Niels bei der Hand, und sie stellten sich beide aus Fenster und sahen hinaus aiffs Meer. Wie sie da standen, konnten sie das glucksende Plätschern der Wellen gegen die Steine unter ihrem Fenster hören, und an der Wand hinter ihnen flammte der Schein von der Licht- woge des Leuchtturmes und vergoldete das weiße Holz. Wie sie da standen, glichen sie zwei ernsthaften Kindern, die im Spiele innegehalten haben und ihr eignes Glück nicht ahnen. Sie lehnten sich aneinander, und als sie sich küßten, traten ihnen die Thräneu in die Augen vor übergroßer Seligkeit. „So Prächtig wohitt niemand im'ganzen Dorf," sagte Märta. Und die Worte gingen Niels geradeswegs ins Herz. Aber um sich nicht allzu viel anmerken zu lasten, enviderte er nur:„Wenn Du es nur nicht zu emsa», hast hier, so weit weg." Einsam! Märta schüttelte nur den Kopf uird lachte. Und als sie sortgingen und zusammen durch das Dorf wanderten. da hatte Märta vergessen, daß es Augen gab, die sie sehen konnten. Noch immer hielt sie Niels' Hand, und wie sie so weiter schritten aus den wohlbekannten Wegen, wo- die Dänunernng sich zwischen den Häusern verdichtete, die so eng, so eng bei einander lagen, als wollten sie zusammeu- kriechen und sich Gesellschaft leisten, wenn der lange Winter kam. da war es ihnen beiden, als hätten sie nie zuvor einen Abend erlebt, an dem ihnen das Leben so unendlich nahe war und so groß. Es war ein Tag. den sie meinten niemals vergessen zu können. Und als sie zu Groß-Larsens Hütte kamen, zog Märta ihre Hand zurück und ging sachte hinein. Sie wagte es nicht, zu Niels zu sprechen und in der Thür
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19 (9.4.1902) 69
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