,,Thut nichts I" schrie Pete.„Das beste Ihrer Mellich liegt oben gerettet." »Ist sie wieder bei Sinnen?" rief Cäsar.»Gelobt sei des Höchsten Name!" Lauter noch als das wütende Paffen, Schnaufen und Acchzen des Blasebalgs und das Knattern und Knistern des Feuers erscholl Petes Stimme durch's Fenster:„Ich werde noch ganz verrückt vor Freude. Ich will es auch, ja, ich will's, und niemand soll mir's wehren!" Das ganze Haus, welches seit dem Sturm den Atem angehalten zu haben schien, brach jetzt in lachende Fröhlichkeit aus. Sie fing in der Küche an, lief die Treppen hinauf, drang durch die Ritzen der Hausthür und verbreitete sich übers Dach. Aber Käthe lag auf ihrem Kissen, stöhnte und kehrte das Gesicht gegen die Wand. Jetzt erschien Nancy Joe im Schlafzimmer, nachdem sie sich vor der Thür noch mit der Hand das Haar glatt ge- strichen hatte.„Du gütiger Himmel," rief sie, sobald sie Kathens Gesicht erblickte,„wer war doch der ausbündige Dummkopf, der sagte, daß die Heirat des Mädchens eher im Kirchhof als in der Kirche stattfinden werde?" „Das war ich," rief eine tiefe Stimme mitten auf der Treppe, worauf Nancy die Thüre zuwarf und Petes Lob an- stimmte. „Ja. Pete hat es wirklich gesagt," fing sie an.„Man kann eben von seinesgleichen nicht viel Verstand erivarten. Gleichwohl hat er Dirs Leben gerettet, Kitty. Doktor Myle- chreest hat es selbst gesagt.„Wenn das Mädchen noch eine Stunde länger draußen gelegen hätte," hat er gesagt. Und du meine Güte, wie verliebt der Mann in Dich ist— o, es ist Wunderbarl Den ganzen gestrigen Tag hat er aus der untersten Stufe zugebracht und sich gedreht und gewunden wie ein lebendiger Meeraal, der im Trocknen liegt; aber dabei so weich um die Augen, als ob er schon acht Tage aus dem Wasser wäre. Und jetzt, meiner Treu! Da— hörst Du ihn, Kitty? Er ist im stände, den Blasebalg zu zer- sprengen. Thut aber nichts— er ist doch ein erschrecklich lieber und herziger Kerl, ja, wahrhaftig— höre ihn nur!" Ein zischender Ton kam jetzt von unten herauf und der Geruch von etwas Angebranntem.„Hab' ich's nicht gesagt? Man kann nie einem Manne trauen, daß er Verstand genug hat, den Kessel wegzunehmen, bevor er überläuft." Nancy stürzte hinunter und erging sich in den heftigsten Vorwürfen; Pete wollte sich ausschütten vor Lachen. Jetzt kam Cäsar herauf. Er hatte die Stiefel ausgezogen und�ging leise auf Strümpfen; doch Käthe hörte sein kurzatnnges Schnaufen. Als er eintrat, rief er in dem salbungsvollen Tone des Predigers:„Lobe den Herrn , meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen I" Dann erging er sich auch in Lobeserhebungen über Pete. „Er entriß Dich deni Rachen des Todes und den Klanen des Teufels. An Dir ist ein Zeichen geschehen, und wir können nichts Besseres thnn, als zn folgen, wohin der Geist uns führt. Er hat Dir das Leben gerettet, Mädchen, und das giebt ihm ein Recht, Dich zu besitzen. Nun habe ich zwar nur dieses einzige Kind, aber wenn es des Herrn Wille ist, gebe ich's hin. Er war immer mein lieber Kranskopf und er hat sich in kaum fünf Jahren ein unabhängiges Verniögen erworben." Die Kirchenglockcn fingen an zu läuten; Käthe blickte auf und horchte. „Es ist mir des Decmsters Leichenbegängnis, Kitty," sagte Cäsar,„weiter nichts. Man wollte ihn eigentlich erst morgen begraben, doch Menschen, die trinken, halten nicht lange. Er wird in der Familiengruft zu Lezayre bei seinenr Vater, dem alten, enthaltsamen Rechabiten, beigesetzt. Manche gute Kuh hat eben ein schlechtes Kalb, und das ist eine schlimme Wahrheit für eines Mannes Kinder; aber manches gute Kalb stammt auch von einer schlechten Kuh. und das ist ein Trost ftir den Mann selbst. Bei Pete ist das wenigstens der Fall gewesen, denn der Herr hat ihn errettet und ge- segnet, und ich höre aus sicherster Quelle, daß er fünf- tausend goldene Sovereigns an Mr. Dumbells Bank heim- gesandt hat." Grannie kam jetzt mit einem Teller kräftiger Fleischbrühe herauf und Cäsar wurde aus der Stube gewiesen. „Komm, Herz, und nimm ein paar Löffel, dann will ich Dich ganz in Ruhe lassen." „Ja, laß' mich in Ruhe," sagte Käthe matt, doch that sie sich Zwang an. Grannie nahm den Teller wieder mit fort. „Hat sie's gegessen?" fragte jemand unten. „Seht einmal her," sagte Grannie frohlockend; und Käthe glaubte zu sehen, wie der leere Teller herum gezeigt wurde. Sie lag ans ihrem Kiffen, horchte ans das Läuten der Glocke und schauerte in sich zusammen. Es war ihr unheimlich, daß, als sie gleichsam aus einer andren Welt erwachte, Petes Stimme und sein Name das erste war, was ihr zu Ohren kam. Der Leichenzug des Deemsters ging am Hause vorbei; sie schloß die Augen und glaubte alles vor sich zu sehen: den Särg auf dem offenen Wagen, die ihm zur Seite reitenden Männer, die an den Pfosten und am Kirchhofsthor an- gebundenen Pferde, und die Menge Menschen aus allen Ständen am Grabe. Im Geiste suchte Käthe nach jemand in dem Gedränge. War e r da? Hatte er gehört, ivas ihr zn- gestoßen war? Sie ffiel in Schlummer und wurde vom Hufschlag eines Pferdes auf der Straße geweckt; bald konnte sie auch die Stimmen zweier Männer unterscheiden, die näher kamen. „Der Tausend! Die Freude, Dich wiederzusehen l Der Telegraph? Natürlich nicht. Aber ich wußte doch, ich würde Dich beim Begräbnis finden." Es war Pete. „Aber ich wollte so wie so nachher vorsprechen." Das war Philipp, und Käthes Herz stand still. Die Stimmen schwiegen einen Augenblick lang, wie die Bienen aufhören zu summen, wenn sie in den Stock hinein- fliegen; dann aber klangen sie deutlich aus den unteren Räumen herauf. „Wie geht es ihr jetzt, Mrs. Cregeen?" fragte die Stimme Philipps. „Besser, Herr, viel besser," antwortete Grannie. „Sie ist nicht wieder bewußtlos geworden?" „O nein," sagte Grannie. „Hat sie ini Fieber gesprochen?"— Käthe glaubte die Stimme beben zu hören. „Nein, gar nicht; sie lag da, ohne sich zu rühren," be- richtete Grannie. „Gott sei gedankt," sagte Philipp, und Käthe glaubte zu hören wie er tief und erleichtert ausatmete. „Ich erfuhr erst diesen Morgen davon," sagte Philipp. „Der Briefträger hat es mir beim Frühstück gesagt, und ich erkundigte mich bei Doktor Mylechrecst, als ich ausging. Wenn ich gewußt hätte— ich schlief ohnehin nicht viel letzte Nacht— doch wenn ich nur hätte ahnen können—" „Sie meinen es wirklich gut niit dem Mädchen," sagte Grannie; und Käthe, die gespannt hinhorchte, vernahm einen zitternden Laut des Widerspruchs. „Doch, doch, Sie thnn es und haben es immer gethan," versicherte Grannie,„und ich sag's vor Pete hier, der es er- fahren muß und noch nichts davon weiß." „Ich sollt's nicht wissen?" kam jetzt die andere Stimme — die schallende Stimme, die Stimme voll Lachen und Weinen zugleich.„Doch, Grannie, ich weiß es, als ob ich selbst hier gewesen wäre und alles gesehen hätte. Als ob ich Phil Christian nicht kennte? Hab' mit ihm manchen Sommer und Winter verbracht— das steht fest. Er ist ans dem Holze, das sich nicht wirft, Mutter, mag das Wetter sein wie es will." Käthe hörte abermals einen gebrochenen Ton peinlicheir Einspruches; dann aber zog sie sich mit einem Gefühl krankhaften Unbehagens die Decke über den Kopf, um nichts weiter zu hören. (Fortsetzung folgt.) Sottnkoigsplttitdcvri. Ein abscheulich boshafter Zeitungsschreiber, den eS gelüstete, die Tiefen des neudeutschen Byzantinismus zu ergriiudcn, erfand uu- längst folgende Anekdote: Der älteste Sohn Wilhelms II., der in Bonn studiert, habe mit seinen Konimtlitoneu ein echtes und rechtes Abenleue-e uuternoinmcn, zil dem außer dem schönen studentischen Jugenddrang möglicher» iveise auch die Rücksicht auf die allgcnieinc. von allen Minister» beweinte trostlose Finanzlage des Deutschen Reiches Anlaß gegeben: die jungen Leute fuhren-- vierter Klasse. Der Mann verriet nicht, ob zu diesem Zwecke ein Son Verzug vierter Klasse eingestellt wurde, die Strecke, die sie fuhren, ließ er auch kurz sein, so viel aber trug er in die Geschichte, die von den Reportern gemacht wird, das; sich der Kronprinz nach glücklich vollendeter Fahrt folgender- maßen geäußert habe: daß man dort viel freiere Bewegung und frischere Luft habe, als i» den andren Abteilen und daß inaii auch billiger fahre.
Ausgabe
19 (15.6.1902) 114
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten