Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 115.

35]

Dienstag, den 17. Juni.

( Nachdrud verboten.)

Der Manksmann. Roman von Hall Caine . Autorisierte Uebersetzung.

XII.

Sie war schwach und angegriffen, und als sie sich zu­gedeckt hatte, schlief sie sofort wieder ein. Im Schlafe schallte ihr fortwährend ein sinnloses Stimmengewirr in den Ohren, und ihre eigene Stimme verfolgte sie unablässig. Als sie wieder erwachte, war es heller Morgen, und der Geruch von gefottenem Stockfisch erfüllte das Haus. Daraus erkannte sie, daß es ein neuer Tag war und die Stunde des ersten Frühstücks. Sie hörte das Klirren der Tassen auf dem Küchen­tisch, den Schritt ihres Vaters, der aus der Mühle zurück­kam, und die herzensfreudige Stimme Petes, der von den Veränderungen auf der Insel seit feinem Weggehen sprach. Neue Häuser, Spaziergänge, eiserne Pfeiler und Hafendämme, Teiche und Türme wundervoll, außerordentlich, phäno­menal".

1902

fragte Grannie, und Philipp antwortete mit offenbarer Ver­Legenhett

" Ich war in Sorge. Welcher Gefahr ist sie glücklich ent­ronnen! Ich konnte verwichene Nacht kaum schlafen, so viel mußte ich daran denken."

Käthe drückte sich mit der Hand die Kehle zu, um den Schrei zurückzuhalten, der sich hervordrängte. Dann hörte sie wieder die schwere, tiefe Stimme der Mutter:

Gottes Segen, Herr Philipp- begann sie; doch jedes weitere Wort wurde von dem Stampfen des Pferdes übertönt, das im Galopp davonjagte.

Käthe horchte, auf den Knien liegend, bis der letzte Huf­schlag in der Ferne verklungen war, stahl sich zurück in ihr Bett und zog sich wieder die Decke über den Kopf, doch mit einem Sturm ganz andrer Gefühle. Er liebt mich," sagte sie zu sich selbst mit bebendem Herzen, er liebt mich liebt mich noch immer! Und er kann und wird nicht zu­geben, daß ich je einen andern heirate."

-

er

Sie fühlte sich jetzt außerordentlich erleichtert und glaubte plöglich genügende Straft zu haben, Bete zu sehen. Es kam ihr sogar der Gedanke, ihn gleich rufen zu lassen, als einen ,, Aber die Burschen-wo sind denn all die mantischen ersten Schritt, um das Gefühl zu verscheuchen, daß die alten Burschen?" sagte Pete. ,, Alle wie ein Zug Vögel nach Beziehungen unverändert wären. Sie wollte ruhig und kalt Australien , nach Cleveland , nach dem Kap und ich weiß nicht bleiben, wollte durch ihr Betragen zu erkennen geben, daß wohin gegangen? Kein mankisches Haus, das nicht einen eine Verbindung mit Pete unmöglich wäre; sie wollte es ihm Jungen in der Ferne hätte. Und die Häuser selbstwo mild und vorsichtig eröffnen. sind denn die alten Häuser und Gärtchen hin? Alles nieder­gerissen und gefällt oder mit Brettern vernagelt. Und die Boote, wo sind denn die Boote? Sie liegen und faulen auf dem Strande im Hafen."

Grannies Tritt fam jezt in die Küche und Petes laute Stimme ward zum Flüsterton.

Wie geht es ihr diesen Morgen, Mutter?"

Sie schlief sanft und ruhig, als ich herunterging." Werde ich sie heute sehen fönnen, wie?" fragte Pete. " Ich weiß es wahrhaftig nicht, doch will ich fragen," ant wortete Grannie.

" 1

Sie sind ein Engel, Grannie," rief Pete.„ Ein regel­rechter, alter Erzengel ." I

Käthe wurde von einer neuen Furcht durchschauert. Es war klar, daß in den Augen ihrer Leute die alten Beziehungen zu Pete fortbestanden. Jedermann erwartete, daß Pete sie heiraten würde; alle schienen eifrig bemüht, diese Heirat zu beschleunigen.

Grannie tam mit dem Frühstück herauf, schlug den Vor­hand zurück und öffnete das Fenster.

"

Ranch will das Zimmer ein wenig aufräumen," sagte sie schmeichelnd, und dann würde ich mich nicht wundern, wenn Du nach Pete schicktest."

Käthe stieß einen Schrei des Schreckens aus.

"

Ach, das macht nichts, wenn ein Mädchen frant ist," beschwichtigte Grannie, besonders bei ihrem Berlobten."

Käthe versuchte Einspruch zu erheben; es fehlte ihr aber an Mut. Sie fagte nur:" Noch nicht, Mutter. Ich bin noch nicht stark genug, ihn zu sehen."

" Sage nichts mehr darüber. Heute gewiß nicht- morgen vielleicht," sagte Grannie, und Käthe ergriff sie beim Wort und antwortete eifrig:

" Ja, mag sein, morgen, Mutter, morgen vielleicht." Am Vormittag war Philipp wieder gekommen. Käthe hörte, wie sein Pferd aus der Richtung von Peel herantrabte. Er hielt an der Vorhalle, stieg aber nicht ab und Grannie ging zu ihm hinaus.

och will heute nicht hereinkommen, Mrs. Cregeen," sagte er. Geht es mit der Besserung vorwärts?"

"

So gut wie möglich," versicherte Grannie.

Käthe schlüpfte aus dem Bett, stahl sich ans Fenster, berbarg sich hinter den Vorhängen und lauschte gespannt.

Was für ein Segen, daß alles so gut geht," sagte er. Käthe konnte ihn atmen hören. Ist Pete zu Haufe?"

Nein, er ist nach Ramsey gegangen," sagte Grannie. Vielleicht begegnen Sie ihm, wenn Sie nach Ballure hinauf

reiten."

" Ich muß in Geschäften zurück," sagte Philipp, und das Pferd drehte sich auf der Straße im Streise herum.

" Sind Sie nur deshalb von Douglas hierher geritten?"

Bete tam auf Nancys Ruf wie ein Blik. Käthe hörte ihn auf der Treppe mit Nancy flüstern und schwer atmen. Ranch suchte seine Aufregung zu dämpfen und arbeitete an ihm herum, um ihn präsentabel" zu machen.

"

Hier", raunte Nanch ihm zu, nehmen Sie den Kamm und kämmen Sie sich die Haare, sie sind ganz ruschelig. Und hören Sie Sie wissen, daß Sie ruhig sein müssen. Ver­sprechen Sie mir, ruhig zu sein. Sie ist schwach und herunter und nervös also nicht gefüßt. Verstehen Sie wohl? Nicht

-

-

gefüßt!" Ach, das Küssen macht keinen Lärm, der der Rede wert wäre, Mädchen", flüsterte Pete und war schon im Zimmer.

Käthe sah ihn kommen, eine hohe, dunkle Gestalt, die zwischen ihr und der Thüre stand. Er sprach anfangs nicht, sondern glitt nur auf den Stuhl zu Füßen des Bettes nieder, bescheiden, demütig und ehrerbietig, als sei er in ein Heiligtum getreten. Seine Hand lag auf dem Knie, und sie bemerkte, daß das Handgelenk behaart und mit den drei Beinen der Insel Man tätowiert war.

,, Bist Du es, Pete?" fragte sie, und er sagte leise, fast flüsternd, als ob er voll Heiliger Scheu zu sich selber spräche: ' s ist ihre Stimme, wie ich sie fünf Jahre lang im Traum gehört habe."

"

Er blickte eine Weile verlegen um sich, blieb mit seinen von Thränen erfüllten Augen auf Nanch haften, als hätte er nicht übel Lust, laut aufzuschluchzen, wagte es jedoch nicht, aus Furcht, Lärm zu machen; dann drehte er sich auf seinem Stuhle um und schien im Begriff, die Flucht zu ergreifen. Da aber pflanzte sein Hund, der ihm in die Stube gefolgt war, die Vorderpfoten auf die Bettdecke und sah Käthe un­verschämt ins Gesicht.

Susch , Dempster, fusch!" rief Pete; durch den Klang feiner Stimme schien das Eis gebrochen, und Pete war wieder er selbst. Ist das Dein Hund, Pete?" fragte Käthe.

,, nein," erwiderte er, ich bin nur sein Knecht. Er macht mit mir, was er will. Er hat mich in Kimberley auf­gelesen und mich heimgebracht,"

ft er schon alt?"

Altsagst Du? Er ist der lette Sproß einer aus­gestorbenen Hunderasse und thut, als ob er die ganze Welt erben würde."

Sie fühlte, wie Petes schwarze, glänzende Augen auf ihr

ruhten.

"

, Gott steh mir bei, Kitty, was für ein Prachtmädel Du geworden bist."

" Bin ich so sehr verändert?"

,, Verändert!" rief er. Meiner Treu! Weißt Du noch,

11