862 Richard Volkmar starrte ungläubig auf das Mld. das er durch die geöffnete Thür hindurch, von Tabaksqualm halb verschleiert, im Hintergrund des Nebenzimmers endlich entdeckte. Wahrhaftig, eine Gruppe halbberanschtcr junger Menschen zwei Obersekundaner. ein Unterprimaner und kaum kenntlich in seinem blöden, stumpfen Ausdruck, mit den schwarzen, zerzausten Haaren, der Zldoniskopf Hans Martins. Richard Volkmar unterdrückte mühsam die Erregung, die in ihm gärte. Also hatte er recht gehabt mit seiner düsteren Prognose: Hans Martin, sein Augapfel, sein hoffnungsvollster Schüler, war auf denr besten Wege zu verludern. Mit seinen eignen Augen sah er's, welche Verwüstung das Saufgelage, das, wie die Kellnerin ihm zuflüsterte, schon seit dem frühen Nachmittag dauerte, in dem jungen, zarten Orga nismus angerichtet hatte. Und jetzt flüsterte das junge Geschöpf neben ihm. daß »der Schwarze, der Hübsche, der das viele Geld hat." seit einiger Zeit täglich herauskäme und ihr schön thäte. Aber so e Junge l" lachte sie, sich tugendhast spreizcird. »Ja, mal ein Küß wenn er gar so verliebt bettelt aber man ist doch ein anständiges Mädche! Was so e Kiekindiewelt sich einbildt!" Dabei warf sie Richard einen Blick aus den Augenwinkeln zu, der deutlich sagte: Ja, wenn ein Mann wie Du käme I Schon wollte er sie zornig fortweisen. Da wurde von mehreren Tischen nach ihr gerufen. Sie mußte sich tuoimeln, um alles nachzuholen, was sie über dem Schwatzen versäumt hatte. Richard hatte den Rest seines Essens hastig hinunter geschlungen und saß nun, die Augen auf die Knabengruppe gerichtet, in zwiespältigen Enrpfindungen da. Wie er sie verstand l Das junge rebellische Blut und die spartanische Zucht, das strenge Verbot. Das lockte und reizte, sich Freiheiten vorwegzunehmen. Trotzdem seine Pflicht war's, sie anzuzeigen. Dann wurden vier junge, übermütige Burschen mit harten Strafen behängt, vielleicht für immer in ihrem Fortkommen gehindert. Sollte er's ihnen ersparen? Fortgehn, thun, als wenn er nichts gesehen hätte? Da drang auf einmal ein lautes Gepolter aus dem Herrenstüble. Das junge Stadtvolk mußte wohl durch irgend einen Possen den Zorn der biederen Roßberger Honoratioren erregt haben. Grobes Schimpfen einer bäuerischen Sttmme. Zornig und aufgeregt antwortete einer der balbberauschten Jungen mit einer höhnischen Bemerkung. Sie fiel wie ein Funke ins Pulverfaß. Ein wüstes Schreien, Donnern. Poltern folgte. Ein Handgemenge, ein Gewühl von kämpfenden Leibern. Alles sprang auf, reckte die Hälse. Ein paar Kerle lachten aus vollem Halse.»Geschieht ihne recht!'raus damit!'raus!" Die Kellnerin hatte sich kreischend zu Richard geflüchtet und klammerte sich mit affektterter Angst an seinen Arm. Aber er schleuderte sie mit wilder Entschlossenheit von sich und suchte sich durch die festgekeilten Gruppen hindurch einen Weg zu den Missethätern zu bahnen, die jetzt, gezerrt, gestoßen, wie Verbrecher von kräftigen Fäusten im Genick gepackt, dem Ausgang zustolpertcn. Ein halbwüchsiger Dorfbursch mit frechem Gesicht stellte dem letzten, Hans Marttn, ein Bein. Wie ein Klotz stürzte die schlanke, schlotternde Jünglingsgestalt platt auf den Boden, mit dem Kopf auf einen Stuhl aufschlagend. In diesem Augenblick hatte Richard ihn erreicht. Platz da l" sagte er gebieterisch. Seine Ruhe und Festigkeit machten Eindruck. Es wurde füll. Der Attentäter drückte sich verlegen. Ein paar ernste, ältere Männer halfen Richard, den Gestürzten aufzurichten. Er hatte eine tiefe. klaffende Wunde an der Stirn. Das Blut lies ihm in Strömen übers Gesicht. Der Sturz hatte ihn ernüchtert. Aber er traute seinen Augen noch immer nicht und wischte und wischte die Bluts- tropfen ab und sah doch immer wieder dasselbe: Richard Volkmar, der voll Zorn und Schmerz vor ihm stand. Stumm, ohne zu begreifen, ließ er's gescheh'n, daß Richard bezahlte, ihn unter den Ann packte und hinauszog. Die Kellnerin brachte ihnen Mützen und Mäntel nach. Sie maulte. Das Trinkgeld war nicht nach Wunsch aus- gefallen. (Fortsetzung folgt.) Majolika. (Nachdruck verboten.) Der italienische NameMajolika" klingt zwar sehr stolz und schön, aber zwischen Majolika und Fayence ist kein Unterschied. Es handelt sich lediglich darum, einen gewöhnlichen irdenen Scherben von rötlicher, brauner oder grauer Farbe mit Hilfe von Glasur und Farbe derart zu verdecken, daß seine grobe Nalur nicht mehr wahr- zunehmen sst. Hierzu steht im Gegensatz das Porzellan, dessen Scherben von Natur weiß ist und wegen seiner Schönheit, Härte und Gleichartigkeit einer deckenden, undurchsichtigen Glasur von fremdem Material nicht bedarf. Das WortMajolika" soll, was aber nicht recht glaubhast er- scheint, im 15. Jahrhundert aus dem Namen der zu den Balearen zählenden Insel Majorka   hervorgegangen sein. Man bezeichnet mit ihm die italienische Fayence, die sich in Anlehnung an eingeführte orientalische Fayence-Gefäße entwickelt hat. In diesem Import scheinen eine bevorzugte Rolle die spanisch- maurischen Fayencen ge- spielt zu haben. Majorka   wird besonders stark an diesem Export nach Italien   beteiligt gewesen sein und hierdurch zu der Bezeichnung Majolika" Anlaß gegeben haben. Die spanisch- maurischen Fayencen besaßen eine Zinnglasur und einen schönen metallischen Lüstre, der wahrscheinlich durch Arsenik hervorgerufen war. Bis zur zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts mag den italienischen Töpfern nur die durchscheinende Bleiglasur bekannt gewesen sein. Sie waren daher gezwungen, den braunen, rötlichen oder grauen Scherben vor dem Glasieren mit Blei durch einen weißen Anguß zu decken, der leicht eingebrannt wurde. Nun erst besaßen sie den Malgrund, aus dem sie mit ihren Farben operieren konnten. Das so gewonnene Fabrikat wurdeMezza Majolica" oder Halbmajolika genannt. Im Ornament lassen sich die Einwirkungen der maurischen Vorbilder noch heraussühle». Ab­gesehen von individuellen Verschiedenheiten, die durch die Werk- stätten bedingt werden, sind den Fabrikaten hatte, aber genaue Zeichnung der Umrisse m Schwarz   oder Blau und eine Kolotterung zwischen den Umrissen ohne jede Modellierung eigentümlich. Allmählich müssen nun die italienischen Töpfer das Geheimnis der Zinnglasur ergründet haben. Frühe Arbeiten dieser Art. die noch erhalten sind, stammen aus Florenz   oder dessen Umgegend, was aber nicht ausschließt, daß sich damals, zu Anfang des 15. Jahrhunderts. auch schon andre italienische Werkstätten der Zinnglasur zu bedienen begannen. Hiermit war ein Verfahren angebahnt, das von dem früheren sehr verschieden war. Man steckte den vorgebranntcn braunen, roten oder grauen Scherben in den Zinnglasurbrei, malte mit den metallischen Farben auf der getrockneten weißen Glasur, die wie eine Schicht dünnen Pulvers den Scherben umgab und die auf- gemalten Farben schnell aufsaugte, und brachte alsdann das Ganze in den Ofen, wo Glasur und Farben harmonisch zusammenschmolzen und den Scherben mit einer sesten. verschönernden Decke umgaben. Auf diesem Verfahren, in dessen Anwendung die italienischen Töpfer im Laufe des 15. Jahrhunderts immer größere Geschicklichkeit er- langten, beruht dieMajolica fina" oder echte Majolika, die sich auch stilistisch von der Mezza Majolica durch die freiere Pinsel- führung unterscheidet, trotzdem die Malerei auf die Palette feuer- beständiger mineralischer Farben, wie Blau auS Kobalt. Grün aus Kupferoxyd. Violett aus Mangan. Braun. Rotgelb bis Dunkelrot aus Terra di Siena beschränkt bleiben mußte. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts ergießt sich über diese Majoliken der Sttl der italienischen Frührenaissance mit jenen Dekorationselementcn, die, wie Akanthusblätter, Lorbeerkränze und Palmetten, der Antike entnommen sind. Auch die längst beliebten Wappen fehlen nicht. Im 15. Jahrhundert gesellen sich die Gvo- tesken hinzu, elegante BersMingungen von Pflanzenwerk mit phantastischen Menschen- und Tiergestalten. Masken, Bändern und Schnüren, dann die Frauenbildnisse und die figürlichen Kam- Positionen, meist mehr oder weniger freie Kopien nach Gemälden der großen Meister der Renaissance und später ziemlich willkürlich behandelte farbige Wiedergaben von Kupferstichen. Erotische Dar- stellungcn, oft sehr lasciver Att, sowie mythologische und historische Scenen werden bevorzugt. Um die Wirkung zu steigern, wird häufig bei Hohlgefäßen reiche plasttschc Dekoration mit der Malerei vcr- Kunden. So schafft man in den zahlreichen Werkstätten Toskanas. Umbriens  , der Marken und einiger andrer Distritte eine Fülle von Schüsseln» Platten,. Kannen. Vasen, Henkeltöpsen, Salzfässern und Apotheker- zefäßen, die, soweit ihr Schmuck ornamentalen Charakters ist, hohen Reiz ahnen, aber weniger erfreulich sind, wenn sie figurenreiche Gemälde und Pottraits tragen, da die Erzielung von Natur- Wahrheit die beschränkte, lediglich dekorativen Zwecken genügende Palette und der durch das schnelle Eintrocknen der Farben bedingte tüchtige Bortrag nicht geeignet sind und auch die Uebettragung in das kleine Format erhebliche Dissonanzen verursacht. Vorwiegend in der Menge der Ware sind die Prunkgefäße, die lediglich als Wandschmuck oder als Zierde der Kredenzen und der Tafel dienen. Schüsseln, deren innere Fläche ein ideales Frauen- bild mit einer Beischrift, wieDa Faustina bella",Beatrice diva", »Lintia bella", tragen, dienten wohl galanten Herren als Liebes-« geschenke. Eifrig waren die kleinen Machthaber und die Republiken be» lissen, die Töpferwerkstätten in der Herstellung von Majolika zu ordern. In Pesaro  , Forenza, Caffagiola. Gubbio  , Castcl Durante. Deruta  , Urbino   und an manchen andren Orten sind die Töpser fort-