1014 führe, daß er gegangen sei. vielleicht für immer.. ohne Ab- schied, ohne ehrlichen Händedruck!.. Und sein Blick ruhte im Kluge auch auf dem Acker. Die Halme lagen nach dem Gewitter wie hingemäht auf dem Boden, aber an einzelnen Stellen versuchten sie sich wieder aufzurichten..Ein warmer, milder Wind fuhr liebkosend über sie hin. In Alexanders Seele erklang eine schmerzliche Saite. Hier kannte er jeden Grashalm, jede Aehre, er selbst hatte sie gesät und gepflegt. jede Erdscholle mit den Händen berührt; an jedem ein geschlagenen Pflock hing etwas von seiner Seele, seinem Ich. Er geht, und Unkraut wird das Keld überwuchern, und Froschauge wird den Zaun als Brennholz benützen. Keine Spur von ihm wird hier bleiben., nur wie eine Legende, daß ein srenider Teufel hier einmal gehaust hat, der den Jakuten ihr Land nehmen wollte, der nachts nicht schlief, umherirrte und den Leuten Angst machte, und eine blond- haarige Tochter hatte und einen bösen, schwarzen Hund. Er machte eine abwehrende Handbewegung und schlug ein schnelles Tempo an, während er sich unter der Last auf seinem Rücken beugte. Das Unwetter hatte den Weg verbreitert. Die ersten zehn Werst legte Alexander ohne Anstrengung zurück, aber je tiefer er in den Wald drang, desto mehr stieg die Hitze, und der Weg wurde immer ärger. Er ging noch drei Werst und fühlte, wie seine Kräfte erlahmten. Das Kind kam nicht zur Besinnung, das heiße Körperchen brannte ihn im Rücken wie glühende Asche, die Enden des Plaids schnitten in die brennenden Arme. All die Kleinig- leiten, die er trug und die ihm so leicht schienen, als er aus dem Hause schritt, begannen wie Blei auf ihm zu lasten, sie hinderten ihn in seinen Bewegungen und zogen die Kleider herunter. Wo er sich anlehnen konnte, blieb er stehen und richte einen Augenblick aus, aber der Gedanke an ein Zurück kam chm nicht. Nachdem er den dritten Teil des Weges zurückgelegt hatte, machte er eine längere Rast, er zündete ein Feuer an, uird kochte Thee. Ter Weg führte jetzt durch die Berge, an steilen Ab- hängen vorbei. Dichter Wald zu beiden«eiten. und in der Ferne schimmerte Wasser zwischen den Baumwipfeln und den grünen Zweigen. Die Sonne ging unter. Er wollte am Ufer des Flusses übernachten. Er ging schnell, er empfand dann weniger Mattigkeit in allen Gliedern. Als er den Fluß erreicht hatte, schichtete er zuerst ein Lager aus Lärchenbaumzweigen für Zofia auf, dann zündete er ein Feuer an imd ließ Ajax als Wache neben dem Kinde, er selbst schlich sich ins Gebüsch, wo er vor einem Augenblicke Rebhühner gesehen hatte. Er hatte Glück, kam mit seinem Wild wieder und hatte ein vortreffliches Abendbrot. Das Kind wollte nicht essen. Nachts über lehnte er sich gegen einen Baum und zog nur seine Stiefel aus, da ihn die Sohlen wie Feuer brannten. Tie Waffe lag neben ihm in Bereitschaft, die schlafende Kleine in seinen Armen, da er Angst hatte, sie auf den feuchten Boden zu legen. Auch Ajax suchte Schutz neben ihm. da ihn die ungewohnte Umgebung ängstigte. Einigemal glaubte Alexander Heulen und verdächtige Laute im Gebüsch zu hören und leises, katzenartiges Auftreten. Dann legte er das Kind auf den Boden, warf frische Zweige ins Feuer und mit schußbereiter Waffe lind lautklopfendem Herzen saß er da, horchte und spähte in die Ferne. Bei Sonnenausgang ging er weiter. Die Hitze war fürchterlich, und er fühlte sich so erschöpft, daß er mitunter glaubte, er könne doch nicht weiter und würde sein Ziel nicht erreichen. Aber das schwerste Stück war doch dasjenige von den ersten Zäunen bis zur ersten Besiedelung. Er ging mit zusammengepreßten Zähnen, mit gesenkten Lidern, lim die Pflöcke und Pfähle nicht zu sehen, diese quälenden Beweise, daß es Menschen in der Nähe gab, die immer noch nicht kamen. Ter Fremde! Und so müde?.. Er trägt was.. Ein Kind!" rief eine alte Jakutin, als er mit schwankendem Schritt in die Jurte trat und das Plaid, in das Zosia eingewickelt lag. von den Schultern nahm. Was ist denn los?.. Zu Fuß, mein Gott! So ant- worte�dochl Irgend ein Unglück?" fragte sie. Sie kannten ihn, hatte er doch früher oft im Vorbei- reiten sein Pferd hier getränkt. Er antwortete nicht, er konnte nicht sprechen: es würgte ihn in der Kehle. Sie gaben ihm kalte Sahne und ließen ihn niedersitzen. Er erzählte ihnen, daß er mit dem kranken Kinde ins. Gouvernement Ulus müsse und. von dort aus. weiter in die Stadt, daß er zu Fuß gegangen sei. um keine Zeit zu verlieren. Ter Wirt schüttelte verwundert den Kopf. Bis nach Ulus waren es noch fünf Werst, so entschloß sich der Jakute, ihn für einen halben Rubel hinzufahren und spannte seinen Ochsen vor den knarrenden Holzwagen. Hier begann die Kulttir schon. Sie sind von selbst gekommen? Woher haben Sie es denn erfahren?" empfing ihn der Uluser Schreiber überrascht. Wir haben dem Kniaz die Papiere noch nicht geschickt. Wir hatten ja keine Gelegenhett.." Welche Papiere?" Sie wissen es also noch nicht? Eine große Gunst! Er- lauben Sie mir. Ihnen zu gratulieren.. Sie dürfen ja zurück in Ihr Land!" Alexanders Lippen und Hände begannen wie Espenlaub zu zittern. Zeigen Sie mir die Papiere." Aber gewiß, mit Vergnügen!.. Da sind sie!.. Und ich dachte, daß Sie es erfahren hätten, daß Ihre Freunde geschrieben hätten! Wir hätten es schon lange schicken sollen, ich sagte es dem Bürgermeister.. Aber.. jetzt ist ja Heu- ernte und da fuhr niemand!.. Und wie geht's denn mit der Wirtschaft?" Alexander bückte den Kopf, er las, und heiße, bittere Thräneu fielen auf das Papier. Nachdruck vcrbotai.) Die letzte freude. Von Anto»in Mute. Im Hospiz der Rue Tensert-Rochercau, dem Hospiz der arme» Kinder, hatte die Verkeilung der Gescheute stattgefunden. Die Freud « hat in den«älci, und Hosen ihren Höhepunkt er- reicht, und es herrscht eine mrbeschreibliche Aufregung. Julot hat eine» Hanswursr bekommen. Leider hat man ihn ihm in sein Bett im Krankensaal bringen müssen, an das ihn ein unheilbares Leiden zusammen mit mehreren Nnglücksgefährtcn fesselt. In aller Eile hatte man den Hanswurst sorgfältig an seinem goldenen Hut an der Schnur der Bertoorhänge aufgehängt. Sobald er die prächrige Puppe mit dem Seidenwmus und den schwarzen Plüschhosen bemerkt, hak der kleine Kranke die vom Fieber verbranmen Augen weit ausgerissen; ein blasses Lächeln ist über seine Lippen gehuscht und ganz leise hat er gemurmelt: Ach. ach, der schöne Hanswurst 1" Tann hat er jedenfalls, um die Puppe in seine Arme zu schließen, den Versuch gemacht, sich in seinem Bett auszurichten, doch umsonst; sein« Kräfte sind schwächer, als sein Verlangen; der Arme ist der Länge nach wieder auf sein Lager zurückgefallen und bleibt nun unbeiveglich, in stummer Bewunderung liegen.. Nach kurzer Zeit huschte eine Ueine Hand, eine ganz kleine und trockene Hand, aus der sich die blauen Adern abzeichneten, aus den Kissen; langsam, ganz langsam wandert sie Über die Decke, die kleine Hand, ergreift die Schnur, die die Puppe in Bewegung setzt, und zieht heftig daran. Welches Wunder I Der.Hanswurst hat sofort Arme nnd Beine nach rechts und links geworfen, und seine Augen zeigen abwechselnd einen braunen und einen ivcitzen Punkt; er steckt die Zunge heraus und zappelt unter den lächerlichsten Verzerrungen. Nnd Julot zieht mir ausgerinencm Munde und halbgeschlossenen Augen langsam und bedächtig an der Schnur und vergißt unter den lustigen Sprüngen des Hanswurstes sein elendes, noch so kurzes, an Entbehrungen und Not aber schon so reiches Leben! Er ist nämlich erst vier Jahre alt. der' ne Julot; sein fünftes Jahr beginnt mit dem neuen Jahre, und ch vollendet schon die Schwindsucht in seinem zarten Organismus das düstere Werk, das 'ie schon seit mehreren Monaten mitleidslos fortsetzt. Die Säiwindsucht? Was fragt Julot in diesem Augenblick da- nach? Wenn nur der Hanswurst an seinem Faden zappelt! Von diesem tollen Tanz von seinen Leiden abgelenkt, läßt Julot seine Gedanken in das Land des Traumes irren, ein entzückendes Land, Ivo die kleinen Kinder ihre ganze Zeit mtt Spielen hinbringen, wo liebevolle Mamas sie streichelnd auf die Lippen küssen, wo man alle Tage zu essen bekommt, und wo man nie, nie geschlagen wird! Wer ist denn Julot? Was sagt die Tafel, die am Kopfende eines Bettes befestigt ist? Jules Davis von der Polizei«ingeliefert Tuberkulose. Das ist alles. Diese Tafel ist entsetzlich in ihrem Lakonismus. Doch unten in den Bureaus des Hauses, in einem großen Buche Zehen genauere, eingehendere Mut-stungen, Auszüge aus dem Standesamt und auch aus einer Polizeinote. Alles in allem heißt es da:Jules Davis geboren am 22. Dezember 18.. in Paris . Jmpasse Vignon. Stadtviertel Grenelle, Utes Arrondissement, Sohn der Blumenarbeiterin Elisa, Vater unbekannt Elisabeth Davis, am 30. Juli 18.. wegen