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Wohlfahrtseinrichtungen. Und gestern fonnte ich bereits ohne Stüße die Kirche besuchen. Zudem ich Sie um die Zuschickung von weiteren fünf Pfund Paasche Zucker ersuche, bin ich Ihr dankbarer Felig Fromme, Krupp- Pensionär ohne Bension.

M

VII.

Ehrwürden Herrn Nardentötter. Bin ein kleiner Bauer mit einem Morgen Land. Weil das Brot und die Gerste immer teurer wurde, erkrankte ich und zog mir schließlich socialdemokratische Blut vergiftung zu. Ihre Aufklärungsschriften über die Notwendigkeit des 7 Mark- Bolles haben mich jedoch wieder gefräftigt. Schiden Sie mir bitte noch einen Centner Bundespredigten. Ich werde Ihr Institut in meinem Dorfe lebhaft empfehlen. Jedoch muß die Zoll­dofis noch verstärkt werden, damit wir das Brot und die Gerste noch billiger kaufen können. Hans Michel, Kleinbauer.-

Kleines feuilleton.

Joc,

Spießrecken". Ein Leser schreibt dem Vogtländischen An­zeiger" über den vogtländischen Gebrauch des sogenannten Spieß­reckens: Aus meiner Kinderzeit, die ich in einer mittleren Stadt des Vogtlandes verlebte, entsinne ich mich folgenden Brauches: Wurde in einer uns bekannten Familie ein Schwein geschlachtet, so reckten wir Kinder einen Spieß. Dieses Spießrecken" bestand darin, daß wir gegen Abend in das Haus, wo Schlachtefest war, heimlich ein Ge­fäß stellten, in dem ein Zettel, wenn möglich mit einem Gedicht barauf, lag. Dann machten wir uns schleunigst aus dem Staube, um nicht bemerkt zu werden. Die Verse, die wir verbrachen, ließen wohl an Form und Versmaß, weniger aber an Deutlichkeit be treffs unfres Begehrens zu wünschen übrig. Ein solcher Reim ist mir noch im Gedächtnis. Er lautete ungefähr folgendermaßen:

Wir recken heut' en Spieß; Einer Wurst sind wir gewiß, Und will uns wohl das Glück, Sett's auch vom Fleisch ein Stück.

Das Sauerkraut schmeckt auch gar fein; Drum muß es stets beim Schlachtfest sein, Gebackne Klöß und Meerrettig, Nein, etwas Bess'res giebt es nich'. Nimm schönen Dank im voraus noch Und dazu Euch ein donnernd Hoch".

So standen manchmal eine ganze Anzahl folcher Gefäße im Haus­flur der betreffenden Familie und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Nach ungefähr einer Stunde stellten wir uns wieder ein, um möglichst unbenterit unsern Serug zu holen. Stamen die Töpfe den Leuten bekannt vor, so war zumeist mit dem Hineinthun nicht gegeizt worden, wenn auch nicht gerade alle Wünsche, die auf dem Bettel genannt waren, erfüllt wurden. Glückstrahlend zogen wir Stinder dann, in der einen Hand die Wurst, in der andern den Strug, enthaltend Wurstsuppe oder auch etwas Fleisch, Kraut und Klöße, ab. Doch waren wir nach Kinderart auch zufrieden, wenn es nur Burst fuppe fezte. Freilich ging's auch nicht ohne Enttäuschungen ab; so befand sich z. B. das eine Mal statt der erhofften Genüsse Asche mit Wasser vermischt und als Wurst ein Stück Holz im Kruge  , oder die Gefäße waren leer gelassen worden. Jm benachbarten Eger- ( and besteht dieser Gebrauch noch heute. Am Abend vor jeder Bauernhochzeit wird der Spicß gerecht". An eine dünne Stange wird ein Topf gebunden und beim Fenster hineingehalten. Recker" drückt sich in den Schatten, um Parteilichkeit beim Aus­teilen zu verhindern. Kinder und Erwachsene reden".

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Der

Daß

" Reden" gilt durchaus nicht für Bettelei. Im Gegenteil, der Braut vater freut sich, wenn recht viele Spießreder" gekommen sind. Die Heirats Annonce in England. Der" Frankfurter Zeitung   wird geschrieben: In einer Geschichte der Annoncen" von Henry Sampson( Chatto u. Windus, London  , 1874) findet sich ein ganzes Kapitel über Heirats- Annoncen und Heirats- Bureaus. Diese etwa 30 Seiten umfassende Darstellung enthält viel interessantes Material. Die ältesten Heirats- Annoncen, die darin aufgeführt werden, stammen aus einer Zeitschrift:" Collection for Improvement of Husbandry and Trade", herausgegeben von Houghton. Unter dem Datum 19. Juli 1695 erschien darin folgende Annonce:

" Ich habe es unternommen, Dinge jeder Art zu annoncieren, die nicht ehrenrührig sind, und was folgt ist dementsprechend und wird mir gut bezahlt:

Ein Gentleman, ungefähr 30 Jahre alt, angeblich in guter Stellung, wäre geneigt, fich mit irgendwelcher jungen Dame zu ver­binden, die ein Vermögen von etwa Lstr. 3000 besitzt und wird dieselbe zu ihrer Zufriedenheit sicherstellen.

Wenn es einleuchtet, daß ich offen handle und kein anderes Intereffe habe, als zwei Leute zu einem Vertrage zu verhelfen, und wenn das neuntägige Stauen und Gelächter( das gewöhnlich neue Dinge begleitet) vorüber sein wird dann werden mög licherweise solche Annoncen sich als sehr nüßlich erweisen.

Ein junger Mann mit gut gehendem Geschäft, 25 Jahre alt, deffen Vater ihm ein Vermögen von str. 1000 zuwenden wird, würde gerne eine passende Partie eingehen. Er ist zu Hause als Diffenter erzogen und nüchtern."

Wahrscheinlich hat das Publikum an der Ernsthaftigkeit dieser Annonce gezweifelt, denn einige Wochen darauf fügte der Heraus­geber folgendes hinzu

Diese Heiratsanträge sind echt und ich verspreche diese und ähnliche mit soviel Diskretion und Vorsicht zu betreiben, daß niemand sich mit mehr Vertrauen, selbst an seinen besten Freund wenden fönnte, als an mich welcher Lebensstellung auch immer die betreffende Person angehören mag."

Selbst diese Erklärung dürfte Houghton bei Einführung seiner neuen Idee wenig geholfen haben, denn furz darauf erließ er wieder eine neue und längere Erklärung. Dieselbe scheint dann von Erfolg begleitet gewesen zu sein, denn seit der Zeit mehrten sich die Heirats Annoncen. Theater.

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Strange

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4 Alten von Felig Dörmann. Neues Theater. Der reine Mann", Schivank in Leute" geschrieben, so gräulich ohne Entrüstungsadjektiva kommt Daß einer, der die Rediger man hier nicht gut aus unecht werden könnte, wie in diesent Schwank, war schwerlich zu vermuten. Es ist eine Residenz- Theater­Posse, der man das bißchen Geist, das in dem tollen Verwechslungs­spiel noch schattenhafter herumspult, ausgetrieben die Frivolität dieses Genres, aber verlangweiligt, ins Plumpe verzerrt und durch die Beimischung verlogener Sentimentalität vollends unerträglich ge= worden. Keine einzige Figur, die, auch nur im Schwantjinn ge sprochen, einen Funken Lebendigkeit und Humor im Leibe hätte. Der Hauptwis ist der Titel. Die Borstellung, daß ein Mann vorehelichen Berkehr meide, daß er die Enthaltsamkeit übe, die die Herrschende Moral von den jungen Mädchen fordert und, ob nun zu Recht oder Unrecht, in Hunderttausenden von Fällen durchsetzt, scheint Herrn Dör­mann ein Gedanke von ganz unwiderstehlicher Komit. So oft eine der Personen der reine Mann ſagt, und das geschicht alle Augen­blicke, hat ziemlich die gesamte anivejende Hotelgesellschaft in fichern­des Gelächters auszubrechen. Der Ton, dessen sich die Ledigen Leute" in dem würdigen Heim der tochterreichen Frau Aloisia befleißigen und der da allerdings auch recht natürlich flingt, wird hier, vergröbert und verfälscht, als Alleriveliston ausgespielt. Die Einzigen, die da gegen protestieren, eine alte Hofrätin  , die sich um ihren Taugenichts von Sohn absorgt, und Fräulein Lena Brenner gelten in dem übrigen Kreise als nicht ganz zurechnungsfähig. Und sie beweisen die Be rechtigung dieses Vorurteils. Beide, nicht nur die Rätin als komische Alte, sondern auch Lena, das Kind; das abwechselnd veralbert und verhimmelt wird, sind in ihrer Art nicht weniger takt- und schamlos als die andern Herrschaften. Die Veralberung ist roh, aber die Ver himmelung dieses aliflug schwäßenden, dumm- aufdringlichen, bor= nierten Gänschens nach dem Schema: Du bist wie eine Blume wirft womöglich noch abstoßender. Wie sich diese angeschminkte Naivetät zu der des lieben Jungen verhält, der in den Ledigen Leuten" so rührend- feierlich an Luciens Unschuld glaubt, so etwa verhalten sich nach ihrem künstlerischen Gesamtwert die beiden Stücke zueinander.

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Die Vera- Litteratur, der Strom pathetisch verstiegener jugend licht- jungfräulicher Tagebuchbekenntnisse und Anklagen, der sich vor hurzem so ungejtüm und plötzlich über die fündige Welt ergoß, mag Dörmann die unmittelbare Anregung zu dieser dee gegeben haben. Lena, die in einem Fenilleton so triegerisch nach dem reinen Mann verlangt, zählt auch erst siebzehn Lenze. Aber nicht einmal der schüchternste Versuch, Milieu und Hintergründe der Erscheinung zue erschließen, ist gemacht. Das Fräulein kommt wie vom Himmel herab geschneit. Eine alte Tante, die verrückte Hofrätin  , rühmt sich. wenn ich recht verstanden, ihr die Dinge in den Kopf gesezt zie haben. Das genügt zur Erklärung!

Die Geschichte spielt in einem Alpenhotel. Das Loblied auf Den reinen Mann" ist in dem Morgenblatt erschienen. Allgemeines Gaudium, sogar die Zimmermädchen lachen Fräulein Lena ins Geficht. Der Doktor meldet einen neuen Gast und die angenehme Gesellschaft beschließt sofort, ihn Fräulein Lena als das gesuchte Reinheitsideal zu präsentieren. Im zweiten Alle wird der Spaß noch anmutsvoller. Der betreffende Herr, natürlich Baron  , ganz wie der andern zur Crême gehörend, gefällt sich in der Rolle und erklärt dem hoffnungsvollen Sproß der Hofrätin   den Weg zum Heile: Haferschleim essen und auf Stühlen schlafen. An der Fest fafel, wo er auf lilienbekränztem Sessel Plais nehmen muß, bringt die Hofrätin   einen Toast auf den Meinen" aus und eine dem entsprechende geistvolle Debatte spinnt sich an, bei der Lena mit einer Fülle tindischer Taktlosigkeiten zu zeigen hat, wie sehr sie in das fleischgewordene Jdeal bereits verschoffen. Darob ist der Baron fo gerührt, daß er, um die Reine" nicht weiter zu belügen, vor der ganzen Korona seine Unschuld dementiert, ohne aber bei Lena Glauben zu finden. Für sie bleibt er das Ideal. Im dritten Aft: Spazier­gang der beiden und keuscher Kuß; letztes Tete- a- Tete des Barons mit einem früheren Verhältnis gräflichen Ranges. Zum Schlufse Verlobung. Lena, deren Reinheitsschwärmerei, das stimmt wenigstens zu ihrem sonstigen Verhalten, nicht viel mehr als Aeußerung eines eifersüchtigen Temperaments war, tauscht ihre Ideale gegen den mit Der edle Hofratsjohn, viel Wergangenheiten behafteten Baron   ein. die Hoffnung ungezählter Bräute, bezecht sich sinnlos an dem Wein, den ihm das verliebte Zimmermädchen einschänkt, und in seinem renommierenden Freunde James, der in angstschwitzender Schüchtern= heit Lenas liederliche Schivester nicht herzhaft zu umarmen ivagte. wird der wirklich reine Mann entdeckt! Die Gräfin nimmt sich seiner an. Mit dem wohlthuendem Gefühl, daß Fräulein Lenas Ideal so doppelt ad absurdum geführt ist, darf man das Theater verlassen.

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Das Spiel war besser, als das Stück verdiente. Freilich die Lena hätte wohl weicher sein sollen, als sie in der Darstellung