Kleines feuilleton.

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or. Unecht. Dann bleibt es also dabei, nicht wahr? Der Krepp wird als Fichu um die Taille gelegt und die Spizen und die Silberborte kommen auf den Rock." Das fleine Schneiderfräulein wiederholte den Auftrag noch einmal, als wollte sie sich versichern, daß fie alles richtig behalten; sie sah die gnädige Frau erwartungs­

voll an.

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Die faß schon wieder im Schaufelstuhl, wiegte fich auf und nieder und blätterte in einem Romanband; jetzt ließ sie das Buch sinken und nickte der Kleinen zu: Jawohl, Fräulein, und das Fichu recht schön falten, ein bißchen genial, jagen Sie das Frau Marten. Und daß ich das Kleid am Sonnabend hier habe, hören Sie?" " Ganz bestimmt, gnädige Frau. Wenn Frau Marten es bis Sonnabend versprochen hat, ist es auch fertig, wir halten immer

Wort."

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Getviß war das ganze Leben fo: für die Neichen war bas Echte da, die echten Saphire und das echte Gold und die echten Bälle und das echte Leben. Was die Armen hatten, war bloß nach= gemacht, bloß, daß man so that, als ob man was hätte, und wenn man genau hinsah, hatte man gar nichts nur Glasscherben Und Lieschen biß die Zähne zusammen und schlenkerte ihren Karton, als wollte sie ihn am nächsten Laternenpfahl zerschmettern.

fo berichtet die Allgemeine Zeitung  ", starb in einer Provinzstadt -Das Teftament des Sonderlings. Vor etwa fünf Jahren, Baherns ein alter Mann, der Junggeselle und dabei ein Sonderling beide verheiratet sind und je eine Tochter bejizen, die beim Tode war. Er hatte einen Bruder und eine Schwester hinterlassen, die ihres Onkels noch die Schule besuchten. Vor feinem Tode hatte der Onkel ein Testament gemacht mit der Bestimmung, daß es erst fünf Jahre nach seinem Tode geöffnet werden dürfe. Vor ein paar Sie sagte das wir" sehr würdevoll, sie fühlte" fich offenbar der Eröffnung des Testaments entgegen. Und es brachte etwas In­Monaten war dieser Termin zu Ende und mit Spannung sah man als Mitglied des vornehmen Schneiderateliers. Sie stand vor dem großen Karton, in dem sie allerhand Mode- Artikel zur Auswahl erwartetes. Der Verstorbene, der viel in Losen spekuliert hatte, war hergebracht, und legte die Sachen wieder hinein. Es war keine vom Glück sehr begünstigt gewesen, denn er hatte das anständige schwere Arbeit und während die flinken Fingerchen mit den Krepp- Sümmchen von 250 000 M. hinterlassen. Hiervon waren 20 000 W. rüschen und Silberstickereien hantierten, gingen die hellen Funkel- u verschiedenen wohlthätigen Zwecken bestimmt, während der Rest augen im Zimmer umher. Das war das Anschauen schon wert. je zur Hälfte für seine beiden Nichten bestimmt war, jedoch unter der Ein sehr elegantes Damenzimmer war es, mit weichen Polstern Bedingung, daß jede vorher ein Jahr lang in einer Münchener Familie und bunten Teppichen, mit Spiegeln und tausend Nippessachen, auf in Dienst trete; unter vollständiger Verzichtleistung auf ihre bisher der hohen Toilette blizte es von Silber und Krystall. Lieschens gewohnte Lebensweise, nur mit dem Nötigen versehen, sollten sie Blicke flogen über die Toilette, fie stieß einen leisen Schrei aus. als Dienstmädchen ohne jedwede Unterstützung ihrer Eltern oder Was ist denn?" fragte die gnädige Frau. andrer Verwandten sich ihren Lebensunterhalt nur durch ihrer Hände über die Zufriedenheit der Dienstherrschaft bezüglich ihrer Führung Arbeit verdienen. Unter Vorzeigung eines entsprechenden Zeugnisses soll ihnen dann die reiche Erbschaft ausbezahlt werden. Die Nichte schwesterlicherseits acceptierte sofort die Bedingung; sie befindet sich zur Zeit im Dienste in der Familie eines Münchener Installateurs und hat sich bereits in die neue Lebenslage gefunden. Anders da­die Tochter selbst, die in einem Institut sehr gut erzogen wurde, gegen die Nichte brüderlicherseits. Deren Water, ein Beamter, sowie fochten die Gültigkeit des Testaments an mit der Behauptung, der Verstorbene sei nicht bei flarem Verstande gewesen. Ob sie den Prozeß gewinnen, ist mehr als fraglich; wird der Prozeß verloren und die Bedingung nicht erfüllt, dann hat dieser Teil des Erbschafts­betrages die Bestimmung, Wohlthätigkeitszwecken zu dienen.

Das Mädchen wurde ein bißchen verwirrt, faßte sich aber schnell: " Ach, ich ich dachte nur.. die Brosche da. " Die gefällt Ihnen wohl, was?" Die gnädige Frau lächelte gönnerhaft, fie nahm das Schmuckstück und ließ die Sonnenstrahlen darüber hinspielen, sie nidte:" Ja, sie ist sehr schön, die Steine haben ein herrliches Feuer."

" Ich hab' nämlich ebensolche," gestand das kleine Schneider­fräulein naiv, das heißt,' n bißchen anders ist sie doch." Das glaube ich!" Die gnädige Frau lachte hell auf: werden echte Saphire haben! Kindchen, die kosten an hundert Mark, die können Sie fich doch nicht kaufen."

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Sie

" Ich habe sie auch geschenkt bekommen," sagte Lieschen, aur Einsegnung von Vatern."

" Tragen Sie sie nur, Kindchen!" Die gnädige Frau flopfte ihr auf die Schulter: echt oder unecht, das kommt ja für Sie nicht drauf an, wenn es sie nur freut! Sind Sie nun fertig?"

Das letzte flang ziemlich deutlich nach Entlassung, und Lieschen verstand auch den Ton, fie nahm ihren Karton, Enigte und ging. Draußen auf der Straße lag die Sonne beinahe frühlingsflar, es war eine Lust, durch die linde Luft zu wandern; das fleine Schneidermädel jah verdrossen drein. Sie wär am liebsten in eine Ede getrochen und hätte geweint. Das ging nicht gut an, und so lief sie weiter, aber ihre Lippen zudten.

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Und der schenkt Ihnen echte Saphire?" Die gnädige Frau Apotheker und Homöopathen. Der Frankfurter Zeitung  " Yachte   immer heller, fie amüsierte sich offenbar köstlich." Was ist wird geschrieben: Den hessischen Landständen ist eine Gesetzesvorlage denn Ihr Vater, Kindchen? Arbeiter doch wohl, und der schenkt zugegangen, wonach den nach homöopathischer Methode behandelnden Ihnen eine Saphirbrosche? Na, es werden schon Glasscherben sein!" Aerzten untersagt werden soll, den Kranken die Medikamente zu " Sie sieht aber gerade so blau aus, wie die, und ich trage fie liefern. Um den Nachweis zu erbringen, wie wenig gewissenhaft sehr gern." Das fleine Schneidermädel wurde rot und sah fast ge- das Verfahren einzelner Apotheker ist, veröffentlichen die homöo­tränkt darein. pathischen Aerzte Heffens ein Flugblatt, das folgende amüsante Mit­teilungen enthält: Wir ließen nach Art homöopathischer Arzneimittel verordnete Dinge aus den Apotheken holen, die entweder gar keine rätig gehalten werden können, oder überhaupt nicht existieren, Arzneien sind, also auch in den Apotheken gar nicht vor­ruber cinereum( bestimmte Teile des menschlichen Gehirns), Estremadura  , d. i. Baumwolle, Cornu Ammonis und Urticaria rubra ( bösartiger Blasenausschlag), Gussellia( ein frei erfundenes, gar nicht ( roter Nesselausschlag), Pemphigus foliac. eriftierendes Wort), Botryllus albicans( ein seltenes, in Deutschland  " Dumme Gans!" Sie sagte es vor sich hin. Jaivohl, dumme ganz unbekanntes Thier), Acanthia fect.( Bettwanze), Culex Gans, und wenn sie zehnmal die gnädige Frau war." Ihre Brosche annulatus( geringelte Stechmücke oder Pothammel), Madaroma Glasscherben, ihre liebe, fleine Brosche, ihr Heiligtum, das alle be- fraudul.( betrügerischer Glazkopf). Auch auf diese Bestellungen hin tvunderten, das sie so voll Stolz getragen. Sie ballte die Hände. wurden anstandslos farblose Flüssigkeiten verkauft und die be Sie ballte die Hände. treffenden Gläschen sämtlich mit dem Namen der Mittel" bezeichnet, Und waren es denn nicht wirklich Glasscherben? Lieschen schreckte auf und ihre Braunaugen sahen plöglich teilweise sogar auf gedruckten Driginaletiketten, ja selbst mit dem starr. Ja, gewiß: Glasscherben und was denn weiter? Und was aufdruck:" Homöopathische Abteilung". Von 12 Apothekern, die auf konnte Baterchen ihr denn sonst auch schenken, als unechte Steine? diese Weise von uns fontrolliert wurden, erwies sich ein einziger als Hatte sie denn je etivas andres gedacht? gewissenhaft und erklärte, die verlangten Stoffe nicht abgeben zu fönnen, alle andern dispensierten anstandslos Spiritus resp. Milch­zucker gegen die bekannte gute Bezahlung."

Nein, fie hatte gar nichts andres gedacht, sie hatte überhaupt noch nicht darüber nachgedacht, fie hatte nur die Brosche gesehen und sich gefreut an ihrem Funkeln, und nun auf einmal... Glas Scherben!

Theater.

Der Titel

Ach, gar nicht mehr denken an die dumme Gans!" Sie Deutsches Theater  . Der Schleier der Beatrice". schüttelte ihren braunen Lockenkopf und ein Lachen flog über ihr Schauspiel in 5 Aften von Arthur Schnißler. hübsches Gesicht. Und wenn die Brosche auch unecht war, hübsch des Stückes, das Anlaß eines Streites zwischen Schnitzler und der war sie doch. Und das gab viel angenehmere Gedanken: zum Direktion des Wiener Burgtheaters wurde, ist damals in den Beispiel, ob sie wohl nächste Woche in Vaters Gesangverein auf dem Blättern oft genannt und dann inzwischen wieder halb ber­Ball tanzen würde? O ja, sie würde schon tanzen. Šie lachte lustig. geffent. Die lang hinausgeschobene Aufführung im Deutschen  Und es würde ein feiner Ball werden, ein ganz wundervoller Ball. Theater" war leider eine Enttäuschung, eine um so größere, Nein, überhaupt kein Ball. Ihre Stirn zog sich fraus.' N richtiger da Schniglers Einafter- Cyklus, der im Vorjahr über diese Bühne Ball nun schon ganz gewiß nicht! 3u nem richtigen Ball gehörten ging, ein so durch und durch persönliches Gepräge trug und unge­Ballkleider, solche, wie die gnädige Frau fie trug, aus Seide mit wöhnliche Hoffnungen geweckt hatte. Die Dame mit dem Dolche", Spitzen und Krepprüschen und Silbertresse und recht genial" " Die letzten Masten"," Litteratur  ", wie eigenartig war das in der Auf­faffung, wie flug pointiert, wie beziehungsreich im Dialoge! Dies mal sucht man nach einem Punkte, von dem aus es möglich wäre, der Handlung und den Personen Interesse abzugewinnen, vergeblich. Es find 5 Afte voll bunter Bilder, seltsamer Abenteuer und langer im Jambenschwung einherstürmender Reden, die bei allem Lärm der Leidenschaften, wie ein unbeseeltes Fremdes, ohne in uns irgendwelche Spur zurüd zu lassen, vorüberfließen. In einer knappen chronithaft erzählenden Novellendarstellung, die nach alt= italienischer Art sich mehr an das Geschehene als an die Aufdeckung zwingender Motive hält, hätte die Geschichte Beatrices durch den Reiz der Wechselfälle, durch den Ausblick auf die stürmisch bewegte Welt der

Auf dem Ball in Vaters Gesangverein trug teine Einzige geniale" Kleider, da wuschen sich die Mädels höchstens ihre Sommer­fähnchen, und die Frauen trugen die wollenen Sonntagskleider und waren schon froh, wenn sie die hatten. Und sie trug auch nur ihr Einsegnungskleid und steckte darüber' nen Spizenkragen und ihre Brosche

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Die Brosche aus Glasscherben

Na ja, aus Glasscherben weiter war sie auch nichts, und der Ball war nur ein Kneipabend mit Tanz, und das ganze Leben war überhaupt fo. Nun sie erst einmal angefangen hatte zu denken, dachte sie auch weiter, und ihr Gesicht wurde immer finsterer.