Die Bemerkungen sind kurz, düster:
" Ist nichts zu sehen. Alles unter Schnee."
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Das Rollen des Schiffes nimmt zu. Wir kommen in die Meer enge von Laperusow. Links der Leuchtturm von Krilionst, rechts die tosende, schäumende, wütende Brandung, die alljährlich ihre Opfer fordert. Vorn schiebt sich dichtes Packeis heran. Die Eisschollen bedecken den ganzen Horizont.
Wahrlich, es flingt wie bitterer Spott! Da führt man Menschen fast um die ganze Erde herum, zeigt ihnen flüchtig ein Winkelchen des irdischen Paradieses, das üppige, blühende Ceylon, läßt sie einen Blick werfen auf Singapore , diesen schönen, diesen Märchengarten, läßt sie ihre Augen weiden an den wunderbaren, malerischen Küsten Japans bei der Einfahrt von Nagasaki , an Ufern, von denen man den Blick nicht abwenden möchte, um sie dann an dieser felsigen, rauhen Küste auszusehen, dieser Küste, die noch Mitte April mit Schnee bedeckt ist, diesem Lande der Schneegestöber, der Seestürme, der Nebel, der Eisschollen, der Wirbelwinde und sagt ihnen:
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" Rund herum Wasser und in der Mitte Elend! Rund herum Meer und in der Mitte Kummer!" sagen die Sträflinge.
" Die hoffnungslose Insel! Die rechtlose Insel! Die tote Insell" nennen sie die Beamten auf Sachalin .
Die Insel ist ein Gefängnis.
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Wenn man die Karte Asiens betrachtet, so bemerkt man rechts vom Kontinent ein Etwas, das sich parallel zur Küste hinzieht und von weitem an ein Ungeheuer erinnert, das den Rachen öffnet, um das gegenüberliegende Mazmai zu verschlingen. Die Steinkohlenstriche in den schroffen Felswänden, die gebrochenen Zickzacklinien der zu Tage tretenden Kohlenschieferlagen alles zeugt dafür, daß sich hier einmal eine große Revolution in der Natur abgespielt hat. Damals krümmte sich der Rücken des Ungeheuers, damals schwankte die Erde in gigantischen Wellen. Nicht umsonst gleichen die Berge von Sachalin ungeheuren, erstarrten Wellen, nicht ums sonst erinnern die Thäler von Sachalin an Schlünde und Abgründe, wie sie sich bei stürmischer See zwischen den Wellen aufthun.
Die Revolution ist zu Ende. Das Ungeheuer ist beruhigt. Nur selten bebt es leise noch bald hier, bald dort.
Sachalin ist eine menschenscheue Insel. Vom Kontinent trennt sie die tatarische Meerenge, die bewegteste, stürmischte, heimtückischte Meerenge der Welt, in der es im Winter bei Schneegestöber stockfinster ist, während im Sommer heftige Stürme mit dichten Nebeln abwechseln. Die Nebel sind so dicht, daß man in der Mitte dieses weißen Leichentuches die Mastspizzen des eignen Schiffes nicht zu erkennen vermag. Hier wechseln Windstille und grimmiger Orkan in fanm fünf Minuten.
Vollständige Windstille.
Plötzlich beginnt es im Tautverk zu pfeifen. Lichte die Anker oder kappe fie und flich ins offene Meer, wenn du nicht an den Klippen in tausend Atome zerschellen willst. Hier ist das Meer ein Verräter und auch das Land kein Freund, sondern ein Feind des Seemanns. Hier muß man Meer und Land fürchten.
Sachalin liebt es nicht, daß man an seinen steilen, fchroffen, felsigen Küsten landet. Am ganzen westlichen Strand kein einziger Ankerplay. Der Meeresboden eine glatte, gleichmäßige Steins platte, auf der bei Sturm kein Anker festhält. Wieviel Schiffe find hier zu Grunde gegangen, liegen in dieser Meerenge begraben!
Sachalin ist eine rauhe, falte Insel. Der Winter ist streng und grausam. Schneegestöber dauern oft wochenlang. Bisweilen brechen schreckliche Wirbelstürme über die Insel herein und begraben ganze Ortschaften im Schnee. Der Sommer ist furz, falt, neblig. Nur der Herbst ist erträglich. Am 20. Mai tam ich nach Duor, einem abgelegenen, Kleinen Dorf gerade im Mittelpunkt der Insel, und als ich am 21. des Morgens erwachte, sah ich einen flaren, frischen, schönen Wintermorgen. In der Nacht war Schnee gefallen. Dieses weiße Leichentuch, etwa 35 Centimeter hoch, bedeckte alles: Dächer und Erde, Gefängnis und Dorf. Der Schnee blieb zwei Tage liegen und schmolz erst am 23. Mai.
Die Ufer sind hoch, senkrecht abfallend, unzugänglich. Auf diesen schroffen Felswänden bemerkt man die Bidzadlinien gelber Thonschichten, rauchfarbene Stohlenschieferstriche, weißen Sandstein. Hier und da zeigt sich auch das charakteristische Rostbraun des Eisenerzes. Oben dichter, undurchdringlicher Wald. Tannen und tiefern, ausgehungert, an der Windseite bar jeglichen Astwerks. Auch die Wipfel der Bäume entwickeln und drehen sich nach dem Winde, gerade wie Rauch nach dem Schornstein eines Dampfers. Diese Bäume gleichen von weitem ungeschlachten Giganten, die mit flehentlich ausgestreckten Händen vor dieser entsetzlichen Küste, vor diesem rauhen, falten, grausamen Meer, diesen erbarmungslosen Stürmen fliehen.
In den Wäldern Totenstille. Nur trockene Zweige brechen und rascheln unter den Füßen. Wenn man stehen bleibt, keine Bogel stimme, fein Laut.
Das Schweigen der Wälder auf Sachalin gleicht der Stille eines verlassenen, verfallenen Tempels, unter dessen Bogen teine fremmen Gefänge mehr ertönen.
Tiefer hinein ewiges Schweigen. Schon ist das Sonnenlicht nicht mehr zu sehen. Finsternis rund herum. Hier würgt es einen. Hier fällt es einem schiver auf die Seele. Hier ist es sogar den
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Bäumen schwer. Hier franken sogar diese Giganten: ihre Stämme find durch ungeheure, ungesunde Auswüchse gekrümmt, entstellt. Ta habt ihr ein Bild von der Natur des nördlichen Sachalins Vor 27 Jahren hausten hier nur Bären und Giljaken, elende, unglückliche Wilde, die in geistiger und sittlicher Beziehung nicht viel höher standen als ihre Gefährten im Urwald. Steif und fest glauben die Giljaken daran, daß die Bären genau ebensolch eine Seele haben, wie sie selbst, daß die Seele des Bären nach dem Tode ebenso zum„ Wirt", dem Gott des Urwaldes, geht, über die Giljaken Klage zu führen, und daß der Wirt" beide wie Gleichstehende richtet! Jetzt giebt es nur noch wenige Giljaken in dieser Gegend, mute hier und da, in den Dörfern zerstreut.
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Häuser verlassen, zerstört, halbeingestürzt. Auch hier fein Laut. Ach, diese elenden, für Sachalin so typischen Dörfer! Die Auch hier dasselbe ewige Schweigen wie im Urwald.
" Leben hier Menschen?" fragte ich meinen Kutscher.
" In zwei, drei Häusern leben noch welche. Die übrigen
sind leer."
,, Und wie leben sie?"
" Gott , ist das auch ein Leben? Rackern sich ab." " Pflanzen, säen sie etwas?"
Was wächst denn hier? Höchstens Kortoffeln und selbst die
schlecht."
Sie leben schweigend, düster, jeder für sich abgeschlossen, traurig den Tag erwartend, an dem ihre Verbannung endigt. Fort, fort aus dieser trostlosen Gegend!
uns von Berg zu Berg, von Schlucht zu Schlucht nach den Ein Dreigespann fleiner, flinker, ausdauernder Pferde führt Süden der Insel.
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" Da! Hier hat man Kasejew totgeschossen, einen der Mörder Arzimowitsch'!" sagt mir mein Kutscher. Hier ist vor zwei Jahren eine Frau mit ihrem Kinde im Schneesturm erfroren Hier fuhr ich vor einigen Tagen einen Doktor her schnitten einen Sträfling ab. Hatte sich aufgehängt. Hier hat man im vergangenen Jahre den Kolonisten Lawrow totgeschlagen Das sind so die üblichen Merkzeichen für die Wege auf Sachalin . Das Landschaftsbild ändert sich. Statt der trostlosen Fichten und Tannen des nördlichen Sachalins heitere, freundliche Lärchenbäume, die schon anfangen, sich mit reichen, zarten, duftigen Nadein zu bedecken. Hier und da eine mittelgroße fibirische Ceder.
Stellenweise findet man auch weißschimmernde Birkenhaine. Die Birken treffen noch keine Anstalten, aufzubrechen, aber trotzdent machen ihre weißlichen Stämme einen gewissen heiteren, zierlichen, reinlichen Eindruck nach dem mürrischen Dunkelgrün der Nadelwälder.
Weiden, biegsame Trauerweiden, beugen sich über ein Flüßchen, gerade als wenn sie es in einem schnellen Lauf beobachten wollen. In den Schluchten liegt noch Schnee, aber auf den Hügeln, wo die liebe Sonne wärmt, grünt und blüht es bereits. Die Berge find weniger abschüssig, die Thäler breiter, freundlicher. Es sind keine Felsenschluchten mehr, keine ungeheuren Spalten zwischen den Bergen, sondern weite, geräumige, von Bergen eingerahmte Ebenen. Auch die Ansiedelungen, welche man trifft, zeigen eine ziemliche Größe. Etwa die Größe eines guten Martifledens. bekommt man auf die Frage: Und häufiger Wie lebt Ihr?" die Antwort: Wir leben ja so einigermaßen; nur der Sommer ist schreck lich kurz." Auf dem Felde sieht man Leute mit Ochsengespannen pflügen. In jedem kleinen Dorfe findet man zwei, drei und mehr wohl habende Besizer. Das ist der Bezirk Tymowst, das mittlere Sachalin.
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Dahinter beginnt die Meergegend, die Tundra, wie die Leute auf Sachalin sagen. Die Räder versinken, drehen sich kaum in dieser Torfmasse. Der Kutscher steigt ab und geht nebenber, damit die Pferde es leichter haben sollen. Wir bewegen uns faum von der Stelle. Die Pferde dampfen. Es riecht nach Heidekraut. Von seinem drückenden, schwülen Geruch, der an Cypressenduft erinnert, bekommt man Kopfschmerzen. Die ganze Tundra ist übersät mit diesen roten Sträuchern. Gerade wie geronnenes Blut sieht die Erde aus. Die Tundra gleicht dem Walde. Auch hier kein Laut. Banges Schiveigen. Dumpfe, beilemmende Traurigkeit befällt die Seele. Eine Atmosphäre der Troftlosigkeit.
Und man kann es nicht glauben, daß es irgendwo auf der Welt ein Italien giebt, einen blauen Himmel, eine warme Sonne, daß es in der Welt Gesang und Lachen giebt. Alles, was man früher gesehen und gehört hat, alles das erscheint einem so entfernt, gerade als wenn es sich auf einem andren Planeten zugetragen hätte, alles das erscheint einem wie ein unwahrscheinlicher, unmöglicher Traum. fleine Infelchen, Stüdchen fester Erde. Auf diesen Inselchen ent Ein Ocean von Tundren und Urwäldern. Und in diesem Ocean standen kleine Dörfer. Die Menschen versuchten hier zu leben, die Natur zu besiegen, vermochten es aber nicht und zogen wieder fort.
Traurige, verlassene Dörfchen. So bis Onar. Von da ab vollständiger Moorgrund, über welchen man im Winter mittels Hundeschlitten fährt, während man im Sommer außer stande ist, denselben zu passieren.
Mit dem Bezirk Korsakowsk beginnt das südliche Sachalin. Verschiedenartige Laubbäume. Das Klima verhältnismäßig milder. hier atmet man, lebt man immerhin leichter