Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 71.
£ 3)
Das Geld.
Freitag, den 10. April.
( Nachdrud verboten.)
Am 4. Juli war Saccard erst nach sechs Uhr ins Zeitungslofal gekommen. Er hatte Jantrou nicht angetroffen.
Um jene Zeit wurde es in den Geschäftsräumen leer; nur Dejoie war noch anwesend und aß im Wartezimmer auf einer Ece seines Tisches. Saccard war schon am Aufbrechen, nachdem er zwei Briefe geschrieben hatte, als Huret mit blutrotem Kopf hereingestürmt fam, ohne sich Zeit zu nehmen, die Thüre wieder zu schließen:
Lieber Freund, lieber Freund!
4
Er erstickte fast und hielt beide Hände auf seine Brust: Ich komme von Rougon... Ich bin gerannt, weil ich keine Droschke bekam. Endlich habe ich eine gefunden... Rougon hat von dort ein Telegramm erhalten. Ich habe es gelesen... Eine Nachricht... Eine Nachricht
Mit heftiger Geberde gebot ihm Saccard Schweigen und stürzte auf die Thür zu, die er verschloß, da er Dejoie mit gespizten Ohren draußen herumschleichen sah.
,, Nun, was?"
„ Nun! Der Kaiser von Destreich tritt Venetien an den Kaiser der Franzosen ab und nimmt seine Vermittelung an; dieser wird sich an die Könige von Preußen und Italien wenden, um einen Waffenstillstand herbeizuführen." Eine Pause trat ein.
„ Das ist also der Friede?" ..Augenscheinlich."
Mächtig ergriffen ließ Saccard, der noch keinen Gedanken gefaßt hatte, einen Fluch ertönen:
Kreuzdonnerwetter! Und die ganze Börse ist in Baisse
stimmung."
Dann fuhr er mechanisch fort:
Und diese Pachricht weiß noch niemand?"
„ Nein, die Tepesche ist vertraulich, die Note wird nicht einmal morgen früh im Regierungsblatt erscheinen. Paris wird zweifelsohne innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden nichts erfahren."
Blitzschnell kam da die plötzliche Erleuchtung. Saccard eilte von neuem zur Thüre und öffnete sie, um zu sehen, ob niemand draußen horchte. Ganz außer Fassung geworfen, pflanzte er sich vor dem Abgeordneten auf und faßte ihn an beiden Aufschlägen seines Roces:
„ Schweigen Sie! Nicht so laut... Wir sind obenan, wenn Gundermann und seine Bande nichts erfahren Verstehen Sie! Kein Wort, zu niemand in der Welt! Weder zu Ihren Freunden, noch zu Ihrer eignen Frau Das ist gerade ein Glücksfall, daß Jantrou nicht da ist; wir allein wissen es, wir werden Zeit haben, zu handeln O, ich will nicht für mich allein arbeiten. Sie sollen mithalten, unsre Genossen von der Universelle sind auch dabei. Aber ein Geheimnis wird bei mehreren Mitwissern nicht beobachtet; alles ist verloren, wenn morgen vor der Börse das Geringste lautbar wird."
Huret, hoch erregt und durch die Größe des zu führenden Schlages erschüttert, versprach, ganz stumm zu sein. Alsdann verteilten sie die Rollen und beschlossen, den Feldzug sofort zu beginnen. Saccard hatte schon seinen Hut aufgesett, als eine Frage ihm über die Lippen fam:
Also hat Rougon Sie beauftragt, mir diese Nachricht zu überbringen?"
„ Natürlich!"
1903
heit; er hatte die großartige Beute gewittert, die in der Luft schwebte, und war über diesen Geruch des Geldes so erregt, daß er zum Fenster des Vorplatzes lief, um ihnen im Hofe nachzublicken.
Die Schwierigkeit lag darin, daß man rasch und mit größter Vorsicht zu Werke gehen mußte. Deshalb trennten sie sich auf der Straße. Huret übernahm die kleine Abendbörse, während Saccard trotz der vorgerückten Stunde sich auf die Suche nach den Kommissionären, Coulissenmännern und Wechselmaklern begab, um Kaufaufträge zu geben. Diese wollte er aber verteilen und möglichst verzetteln, um ja feinen Verdacht zu erwecken; insbesondere wollte er den Anschein haben, als treffe er die Leute zufällig, anstatt sie in ihrer Wohnung aufzusuchen, was aufgefallen wäre.
Der Zufall unterstüßte ihn in glücklichster Weise. Am Boulevard stieß er auf den Makler Jacoby, scherzte mit ihm und gab ihm einen bedeutenden Auftrag, ohne daß dieser sich allzu sehr wunderte. Hundert Schritte weiter traf er ein großes, blondes Frauenzimmer, die er als Geliebte eines Jacobys war; da sie zufällig erwähnte, daß sie ihn diesen Abend erwartete, gab er ihr ein paar Worte für ihn mit, die er rasch mit Bleistift auf eine Karte schrieb. Ferner wußte er, daß Mazaud bei einem Bankett ehemaliger Mitschüler war: er richtete es so ein, daß er im gleichen Restaurant sich einfand, und änderte die ihm am gleichen Tage gegebenen Weisungen ab. Das größte Glück widerfuhr ihm, als er gegen zwölf Uhr heimkehrte; er wurde nämlich von Massias angesprochen, der vom Variétés- Theater herkam. Beide Männer schritten zusammen der Rue Saint- Lazare zu, und Saccard fand Zeit, sich als Sonderling hinzustellen, der an Hausse glaubt, freilich nicht für sofort! Somit gab er ihm schließlich. vielfache Kaufaufträge für Nathansohn und andre von der Coulisse, mit dem Bemerken, er handle im Auftrage einer Gruppe von Bekannten, was eigentlich richtig war.
Als er zu Bette ging, hatte er für über fünf Millionen Werte Haussestellung genommen.
Am andern Morgen war Huret schon um sieben Uhr bei Saccard und berichtete, wie er bei der kleinen Abendbörse auf dem Trottoir vor der Opernpassage gearbeitet hätte. Er hatte möglichst viel kaufen lassen, aber mit Maß, um die Kurse nicht allzu sehr zu treiben. Seine Aufträge betrugen eine Million.
Da beide den Schlag für noch viel zu gering hielten, beschlossen sie, sich wieder auf die Jagd zu begeben. Sie hatten ja den Vormittag vor sich.
Vorher aber fielen sie über die Zeitungen her, zitternd, es möchte die Nachricht darin stehen, eine Notiz, eine einfache Zeile, die ihre Kombinationen über den Haufen warf. Nein, die Presse wußte noch nichts, sie stat noch tief im Krieg drin, alle Blätter waren mit Depeschen und ausführlichen Erzählungen über die Schlacht bei Sadowa überfüllt. Wenn vor zwei Uhr nachmittags fein Gerücht lautbar wurde, wenn fie eine Stunde der Börsenzeit für sich hatten, nur eine halbe Stunde, dann war der Coup gemacht, und der große Raubzug gegen die Judenschaft gelungen, wie Saccard sagte.
Sie gingen abermals auseinander, und jeder begab sich nach einer andren Richtung, um neue Millionen in den Kampf zu führen.
Diesen Vormittag hindurch schlenderte Saccard auf dem Pflaster umher; er sog die Luft begierig ein und hatte ein solches Bedürfnis zu laufen, daß er nach seinem ersten Gange den Wagen heimschickte. Er ging zu Kolb hinein, wo das Geflirr des Goldes ihm wie eine Siegesverheißung wonnig ins Ohr klang; er besaß die Selbstbeherrschung, dem Bankier, der Huret hatte einen Augenblick geschwankt: es war er noch nichts wußte, kein Wort zu sagen. Hierauf ging er zu logen, die Depesche lag einfach auf dem Schreibtisch des Mauzand hinauf, nicht etwa, um eine neue Order zu geben, Ministers, und er hatte die Unverschämtheit gehabt, sie zu lesen, sondern einfach um sich in Betreff derjenigen vom Abend vorher während er eine Minute allein blieb. Da aber sein Vorteil ängstlich zu stellen. Da aber sein Vorteil ängstlich zu stellen. Auch hier wußte man noch gar nichts. in einem herzlichen Einverständnis beider Brüder lag, so dünkte Nur der kleine Flory flößte ihm einige Besorgnis durch die ihn diese Lüge sehr geschickt, zumal er wußte, wie wenig sie Hartnäckigkeit ein, mit welcher er um ihn herumschlich. Die einander zu sehen und über derartiges zu reden wünschten. Ursache war aber einfach die tiefe Bewunderung des jungen So?" rief Saccard, das muß ich sagen, diesmal ist Commis für das Finanzgenie des Leiters der Universelle, und er liebenswürdig gewesen... Brechen wir auf!" da Fräulein Chüchü anfing, ihn schwer Geld zu kosten, so wagte Im Wartezimmer war immer noch Dejoie allein. Er er ein paar kleine Operationen; sein Traum war, die Orders hatte sich bemüht, zu horchen, ohne etwas Deutliches zu er- dieses großen Mannes zu kennen und gleiches Spiel mit ihm haschen. Sie bemerkten trotzdem seine fieberhafte Aufgeregt. I zu spielen.