Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 75.

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Das Geld.

Freitag, den 17. April.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Emile Zola . Renée," versetzte Marime ganz leise und wie gegen seinen Willen, mar nur ein paar Jahre älter als ich.

Wie er jegt zu Frau Staroline emporsah, überkam ihn plöglich ein unwillkürliches und unwiderstehliches Vertrauen zu dieser Frau, und er erzählte die Vergangenheit, aber nicht in zusammenhängenden Säßen, sondern in abgerissenen Worten, in unvollständigen, gleichsam unfreiwilligen Ge­ständnissen, welche sie zusammenreihen sollte. War es ein alter Groll gegen seinen Vater, dem er Luft machte, jene alte Nebenbuhlerschaft, die heute noch die beiden einander völlig entfremdete? Er klagte zwar seinen Vater nicht an und schien unfähig, ihm zu zirnen; aber sein leichtes Lachen Klang höhnisch, und er sprach mit boshafter Schadenfreude, als freue es ihn, seinen Vater zu besudeln.

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O, das Geld, das scheußliche Geld, welches alles be­schmußt und verschlingt!

Mit zorniger Bewegung fuhr Frau Karoline auf. Nein, nein, das war zu gräßlich, jest war es aus, sie konnte nicht länger mit diesem Manne zusammenbleiben. Seinen Verrat hätte sie ihm verziehen, aber tiefer Efel erfaßte sie wegen dieses alten Unflats; sie erbebte voll Schrecken vor der Drohung möglicher, morgen schon möglicher Verbrechen. Es erübrigte nur noch, augenblicklich wegzugehen, wenn sie nicht gleichfalls mit Rot bespritt und unter den Trümmern begraben sein wollte. Und das Bedürfnis überkam sie, weit, sehr weit fort­zugehen, zu ihrem Bruder, nach dem tiefsten Orient, mehr um zu verschwinden, als um ihn zu warnen. Fort, augen­blicklich fort! Es war noch nicht sechs Uhr, um sieben Uhr fünfundfünfzig Minuten konnte sie den Marseiller Blizzug nehmen: denn Saccard wiederzusehen schien über ihre Kräfte zu gehen. In Marseille wollte sie vor Abfahrt des Dampfers die nötigsten Einkäufe machen. Nur ein bißchen Wäsche in einem Koffer, ein andres Kleid zum Wechseln, und dann fort! In einer Viertelstunde konnte sie fertig sein. Da bannte sie der Anblick ihrer Arbeit auf dem Tisch, der Anblick des be­gonnenen Berichts, auf einen Augenblick fest. Wozu sollte fie alles dies mitnehmen, wenn doch alles, von Grund aus verrottet, zusammenstürzen mußte? Gleichwohl begann sie die Aftenstücke und Aufzeichnungen sorgfältig zu ordnen mit der Gewohnheit einer guten Hausfrau, die nirgends Un­ordnung hinterlassen will.

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So erfuhr Frau Karoline die schreckliche Geschichte ganz ausführlich: Saccard verkaufte seinen Namen und heiratete um Geld ein verführtes Mädchen; Saccard richtete durch sein Geld, durch sein tolles und lärmbolles Leben das große franke Kind vollends zu Grunde; Saccard duldete bei seiner Geldnot, und weil er von seiner Frau eine Unterschrift zu erlangen hatte, in seinem eignen Hause das Liebesverhältnis zwischen seiner Frau und dem eignen Sohn und schloß die Augen wie ein guter Pratriarch, dem es recht ist, wenn man sich belustigt. Diese Arbeit nahm ein paar Minuten weg und linderte Das Geld, das Geld war sein König, das Geld sein Gott; das erste Fieber ihres Entschlusses. Im vollen Bewußtsein es stand über dem Blute, über den Thränen und wurde in ihrer selbst warf sie einen Blick ringsum, che sie das Zimmer feiner unbegrenzten Macht höher verehrt als alles, was die verließ, als der Diener wieder hereinkam und ihr ein Bündel thörichte Menschheit in ihren Vorurteilen hoch hält. Und in Zeitungen und Briefe einhändigte. dem Maße, wie das Bild des Geldes riesengroß anwuchs und Saccard in dieser teuflischen Größe sich ihr offenbarte, fühlte fich Frau Karoline von wahrhaftem Grauen, von, eisiger Be­Stürzung erfaßt bei dem Gedanken, daß auch sie nach so vielen andren jenem Ungetim angehöre.

Frau Karoline warf mechanisch einen Blick auf die Auf­schriften und erkannte in dem Haufen einen an sie gerichteten Brief ihres Bruders. Er kam aus Damaskus , wo Hamelin wegen der geplanten Zweigbahn nach Beyrut sich befand. Zuerst überflog sie ihn stehend beim Schein der Lampe und So!" sagte Marime zum Schluß: Sie thun mir leid, nahm sich vor, ihn später im Eisenbahnzuge langsam durch­aber besser ist's, Sie sind gewarnt Das darf Sie mit zulesen. Aber jeder Satz fesselte fie, bald vermochte sie kein meinem Vater nicht entzweien. Sie thäten mir sehr leid, Wort mehr zu überspringen; fie setzte sich schließlich wieder an weil Sie wiederum weinen müßten, und nicht er Be den Tisch und gab sich ganz dem hinreißenden Genuß des greifen Sie nun, warum ich mich weigere, ihm einen Sou langen, zwölffeitigen Briefes hin. zu leiben?"

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Da sie feine Antwort gab, ihre Kehle war zugeschnürt, ihr Herz tödlich getroffen, erhob er sich und warf einen Blick in den Spiegel mit der ruhigen Unbefangenheit eines hübschen Mannes, der seiner Tadellosigkeit im Leben sich be­wußt ist. Dann schritt er wieder auf sie zu.

..Nicht wahr, solche Beispiele machen einen schnell alt?... Ich war sehr bald solid, ich habe ein junges Mädchen ge­heiratet, welches frank war und bald starb, und ich kann heute schwören, daß man mich zu feinen Dummheiten mehr ver­anlassen wird... Nein! sehen Sie, mein Vater ist un­verbesserlich, weil ihm das moralische Bewußtsein abgeht."

Er ergriff ihre Hand und behielt sie einen Augenblick in der ſeinigen, da sie sich ganz kalt anfühlte:

" Ich gehe jett, er kommt doch nicht heim... Aber grämen Sie sich doch nicht! Ich hielt Sie für so stark! Und bedanken Sie fich bei mir, denn es giebt mur eine Dummheit in der Welt, nämlich wenn man sich betrügen läßt."

Endlich brach er auf. An der Thüre blieb er indes stehen und rief lachend hinein:

Ich vergaß ja: sagen Sie ihm, Frau von Jeumont wünscht ihn heute zum Essen zu haben... Sie wissen schon, Frau von Jeumont , diejenige, die für hunderttausend Frank den Kaiser bei sich zugelassen hat... Aber nur feine Angst, denn so toll mein Vater immer noch ist, so ist hoffentlich nicht fähig, diese Summe für eine Frau auszugeben.

Als sie wieder allein war, rührte sich Frau Karoline nicht mehr von der Stelle. Vernichtet blieb sie auf ihrem Stuhle figen, während das geräumige Zimmer in dumpfe Stille versant; sie starrte mit weit geöffneten Augen die Lampe an. Es war ihr, als sei plötzlich der Schleier entzwei gerissen. Was sie bisher nicht deutlich wahrnehmen wollte, was sie mur zitternd ahnte, das sah sie nunmehr in seiner ganzen grellen Scheußlichkeit, so daß jede Nachsicht ausgeschlossen war.

Hamelin hatte gerade einen seiner fröhlichen Tage ge­habt. Er dankte seiner Schwester für die legten großen Nach­richten aus Paris und schickte von dort noch bessere, da alles ganz nach Wunsch ging. Die erste Bilanz der Compagnie Générale der Vereinigten Dampfboote kündete sich als prächtig an; die neuen Dampfer erzielten bedeutende Einnahmen ver­möge ihrer tadellosen Einrichtung und ihrer gesteigerten Schnelligkeit. Er sagte scherzend, daß man zum Vergnügen mit denselben reise, und jetzt schon die Küstenhäfen von der Bevölkerung des Abendlandes langsam überflutet wurden; er fonnte feinen Streifzug durch unbekannte Pfade machen, ohne unversehens auf irgend einen Pariser vom Boulevard zu stoßen. Thatsächlich stand, wie er vorausgesehen, der Orient Frankreich offen; bald würden an den fruchtbaren Abhängen des Libanon Städte wieder emporwachsen. Vor allem gab er eine sehr lebendige Schilderung von der entlegenen Schlucht des Starmel, woselbst die Silbermine in vollem Betriebe war. Die wilde Gegend wurde menschlicher, unter dem riesengroßen Felsengewirre, das am Nordende des Thales sich auftürmte, hatte man Quellen entdeckt; Ackerfelder entstanden, das Ge­treide verdrängte die Mastirbäume, neben dem Bergwerk war schon ein ganzes Dorf aufgebaut worden, zuerst einfache Holz­hütten, ein Barackenlager für die Arbeiter, jetzt kleine Häuser aus Steinen, eine beginnende Stadt, welche so lange wachsen sollte, als die Metalladern sich nicht erschöpften. Schon waren fast fünfhundert Einwohner vorhanden, es war fürzlich eine Straße vollendet worden, die das Dorf mit Saint- Jean- d'Acre verband. Vom Morgen bis zum Abend surrten die Förderungs­maschinen, setzten sich schwer beladene Wagen bei lautem Peitschenklang in Bewegung, Frauen sangen, Kinder spielten und lärmten in dieser Wüstenei, in dieser Totenstille, wo einst mur der schwere Flügelschlag der Adler erklang. Und immer­fort duftete es nach Myrten und Ginster in jener lauen Luft von wonniger Reinheit. Zum Schlusse wurde Hamelin nicht