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müde, von der ersten Bahnlinie zu erzählen, die er in Angriff nehmen wollte, der Bahn von Beyrut nach Brussa, über Angora und Aleppo . Alle Förmlichkeiten waren in Non­ftantinopel bereits erledigt. Besonders war er über einzelne glückliche Abänderungen entzückt, die er mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten der Tauruspässe in der Richtung der Bahn­strecke angebracht hatte; von diesen Bässen und den am Fuße des. Gebirges sich hinziehenden Ebenen sprach er mit der Be­geisterung eines Mannes der Wissenschaft, der neue Kohlen­bergwerke gefunden hatte und das Land bereits mit Fabrik­anlagen bedeckt zu sehen glaubt.

Die Ausgangspunkte der Linie waren festgestellt, die Standorte der einzelnen Stationen gewählt, bisweilen mitten in der Einöde; hier wuchs eine Stadt empor, dort eine Stadt, überall entstanden Städte bei jeder dieser Stationen, am Kreuzungspunkte der natürlichen Verkehrsstraßen. Schon war die Aussaat der Menschen und der großen Dinge für die Zukunft ausgestreut, alles keimte, vor Ablauf weniger Jahre müßte ein neue Welt dastehen. Und er schloß mit herz­innigen Küssen an seine angebetete Schwester, hoch beglückt durch ihre Mitarbeit an der Auferstehung eines versunkenen Wolfes. Sie hatte viel mitgeholfen, schrieb er, indem sie so lange Zeit mit ihrem Mut und ihrem ferngefunden Wesen ihn aufrecht hielt.

Frau Karoline war mit dem Lesen zu Ende, der Brief blieb geöffnet auf dem Tisch, und sie träumte, die Augen wieder auf die Lampe geheftet. Dann erhoben sich ihre Augen mechanisch, wanderten rings um die Mauern und blieben an jedem Plane, an jedem Aquarellbild haften. In Beyrut war das Gartenhaus für den Direktor der Compagnie Générale der vereinigten Dampfboote nummehr inmitten großartiger Lagerräume gebaut. Am Berge Karmel bevölkerte sich jene wilde, mit Gestrüpp und Gestein versperrte Schlucht gleich dem riesengroßen Nest eines werdenden Geschlechts. Im Taurus änderten die Nivellierungsarbeiten und die abgestedten Profile den gesamten Gesichtskreis und bahnten dem freien Handel einen Weg, und vor ihr erhob sich aus diesen einfach mit vier Nägeln an der Wand befestigten Zeichnungen mit den geometri­schen Linien und den blassen Linten ein märchenhaftes Traum bild von dem fernen Lande, das sie einst durchwandert und wegen seines herrlichen, ewig blauen Himmels, wegen feines fruchtbaren Bodens so sehr geliebt hatte. Sie sah wieder die stufenförmigen Gärten von Beyrut, die Libanonthäler mit den großen Waldungen von Del- und Maulbeerbäumen, die Ebenen von Antiochia und Aleppo , diese unabsehbaren Obst­gärten voll köstlicher Früchte. Sie sah sich wieder mit ihrem Bruder in immerwährenden Streifzügen durch dieses Wunder­land, dessen unberechenbare Reichtümer nuglos verloren gingen, ungekannt oder verschleudert, weil feine Straßen, tein Gewerbefleiß, fein Ackerbau, feine Schulen da waren, sondern nur Trägheit und Unwissenheit allerwärts. Jest aber brachte die außerordentliche Triebkraft des jungen Saftes überall neues Leben. Ihr Traumgesicht von diesem Orient der Zu­Tunft richtete bereits vor ihren Augen greifbar blühende Städte empor, fruchtbare Ebenen, eine ganze glückliche Menschheit. Und sie fab alles leibhaft, sie hörte den arbeitsvollen Lärm sah der Baustellen, und es stand bei ihr fest, daß dieses alte schlafende Land endlich erwacht war.

Im gleichen Augenblick stieg in Frau Karoline die Ueber­zeugung auf, daß das Geld der befruchtende Dünger jei, aus welchem diese Menschheit von morgen hervorsprießt. Es fielen ihr einzelne Phrasen Saccards wieder ein, abgerissene Fezen seiner Theorien über die Spekulation. Sie erinnerte sich an den Gedanken, daß es ohne Spekulation teine lebens­fähigen und fruchtbaren Unternehmungen gäbe. Wenn dort in der Ferne ihr Bruder fröhlich war und inmitten der entstehenden Arbeitsfelder und der aus dem Boden wachsenden Bauten Sieg jubelte, so geschah dies, weil es in Paris Geld regnete, das durch Spielwut alles ver­rottende Geld. Das vergiftende und vernichtende Geld gab die Triebkraft zu jedem socialen Wachstum ab, den not­wendigen Düngerboden für die großen Arbeiten, deren Aus­führung die Völker einander näher bringen und der Welt Frieden bescheren soll. Sie hatte das Geld verflucht, jetzt verfiel sie in scheue Ehrfurcht davor. Wohnt nicht dem Geld allein die Kraft inne, so dachte sie, einen Berg nieder­zureißen, einen Meeresarm auszufüllen, den Erdboden für die Menschen bewohnbar zu machen, die Kraft, die ihnen die Arbeit abnimmt und Maschinen für sie baut? Alles Gute entsteht aus ihm, obwohl das lebel von ihm kommt. ( Fortsetzung folgt.)

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Machtbaber auf

( Nachdrud verboten.)

Die Machthaber auf Sachalin .

Von W. M. Doroschewitsch.

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gefährlich erkrankt, so daß eine schwere Operation sich als un­Bergegenwärtigt Euch folgende Situation: Jemand ist erkrankt, umgänglich notwendig herausstellt. Man beruft also ein Konfilium, läßt vielleicht gar um schweres Geld eine Autorität" kommen. Gelehrte Aerzte beraten lange, besprechen die Operation bis ins fleinste Detail, wie sie ausgeführt werden soll, welche eventuellen Folgezustände daraus entstehen können. Und wenn sie alles be= raten, besprochen, überlegt haben, fahren sie nach Hause und über­lassen die Ausführung der Dyeration einem Feldscher. Aber das ist doch undenkbar?!

diesem Princip.

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des

Durchaus nicht. Auf Sucharin wenigstens verfährt man nach Jemand ist eines Verbrechens angeklagt. Zwei gelehrte Juristen, der Staatsanwalt und der Verteidiger, wägen die Aussagen der einzelnen Zeugen sorgsam gegen einander ab, suchen zu ergründen, wie der Angeklagte das Verbrechen begangen, warum er es be­gangen hat usw. Bisweilen ladet man sogar psychiatrische Sach nur verständige vor, welche nicht den Geisteszustand Angeklagten untersuchen, sondern sich auch mit den moralischen und intellektuellen Qualitäten seiner Angehörigen bis in die dritte und vierte Generation aufwärts beschäftigen. Ist schließlich die Schuld des Angeklagten erwiesen, so beraten wieder drei ge­lehrte Juristen der Gerichtshof, welche Strafe auf dieses Ver­brechen steht, in welchem Umfange und wie die Strafe in diefemt speciellen Falle in Anwendung kommen soll usw. Aber den Strafvollzug, die fittliche Wiedergeburt" des Verbrechers, überläßt man, wenn das Urteil Sachalin " heißt, dem Aufseher, einem ausgedienten Soldaten, oder gar einem ehemaligen Sträfling.

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Bom Aufseher ganz allein hängt jetzt das Schidsal des Sträf tings ab. Sogar inwieweit Kaiserliche Gnadenerlaffe bezüglich Ver­türzung der Strafzeit auf ihn Anwendung finden sollen, hängt vom Aufseher ab. Solche Gnadenerfasse tommen nämlich nur demjenigen Sträfling zu gute, der sich zur Zufriedenheit geführt hat. Ueber die Führung aber giebt das Journal Auskunft, in welchem die vom Aufseher verhängten Strafen eingetragen werden, und in welchem Eine fein Gefängnisinspektor jemals eine Korrektur vornimmt. ber Sträffinge Abbruch thun. Wie tönnte er nach solch einer Korrektur folche Korrektur würde dem Ansehen des Aufsehers in den Augen noch den nötigen Respekt von ihnen verlangen?

Auf Sachalin legt man nämlich mehr als irgendwo anders Ge­wicht auf das Prestige". Freilich versteht man dort unter " Prestige" etwas höchst Eigentümliches. Oder sollten diese Auf­feher, aus denen sich die größere Hälfte aus ehemaligen Sträflingen rekrutiert, wirklich die erforderlichen moralischen Qualitäten befizen, so daß man ihnen unbeschränkte Vollmacht über das Schicksal dieser Unglücklichen geben fann?

Und jetzt der Gefängnisinspektor!

meisten Fällen ein Mensch, der sich vom einfachen Auffeher oder Feld­Diefer Beamte, der Allgewaltige der Strafanstalt, ist in den fcher in die Höhe gedient hat. Eine absolute Null, die plöglich eine umbeschränkte Wachtvollkommenheit erhält. Kein Wunder wenn ihm diese Macht zu Kopf steigt.

Dem Geseze nach hat er das Recht, so oft er es für geboten erachtet, dem Sträffinge bis 30 Ruten- oder 10 Peitschenhiebe ver abfolgen zu lassen. Dem Gesetz nach muß jede Züchtigung im Strafjournal gebucht werden. In Wirklichkeit geschieht es fast nie. Ausgepeitscht und fertig! Uebrigens betteln die Sträffinge selbst: Schreiben Sie es nur nicht ins Strafjournal!"

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Die Verfezung aus der Abteilung der Schiveren" in die Ab­teilung der Gebesserten", aus dem Stettengefängnis" in das all­gemeine Gefängnis", die Verkürzung der Strafzeit alles hängt von den Notizen im Strafjournal ab. Je mehr Notizen, um so geringer die Aussichten auf Beförderung". Auspeitschen und ins Journal eintragen das ist also nicht mehr eine Strafe, sondern zwei.

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Auf solche Weise ist der Gefängnisinspektor, wenn die Züchti gungen nicht eingetragen werden, hinsichtlich der Körperstrafen voll ständig ohne Kontrolle im Strafjournal ist nichts vermerkt, der Arrestant kann sich nicht beschweren, der Inspektor ist also nicht zu fassen.

Die Körperstrafen haben einen demoralisierenden Einfluß nicht nur auf die Sträflinge, in welchen sie das letzte Ehrgefühl ertöten, sondern auch auf jene, welche die Strafen zu vollstrecken haben. Die förperliche Büchtigung erscheint allen schließlich als etwas ganz Ein­faches, Natürliches, Althergebrachtes. Sogar die Frauen der Beamten sprechen bei ihren Gesellschaften, abgesehen von Buzz und andern Dingen, auch davon, daß die Körperstrafen verschärft werden müssen, da man ja ohne dieselben doch nun einmal nicht aus­

tommen könne.

Manche Gefängnis- Inspektoren betreiben Sie körperlichen Büchtigungen geradezu als Sport.

" Ist das heutzutage überhaupt noch eine Bestrafung zu nennen?" fragte mich einer bedauernd. Früherja, da peitschte man den Sträfling durch, und er mußte sich beim Inspektor be danken!"

Wofür bedanken?"