Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 78.

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Das Geld.

Mittwoch, den 22. April.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Emile Zola .

Dejoie, der manchmal morgens als Thürsteher Dienst that, erlaubte sich hinten herum zu gehen und jetzt an der Fleinen Seitenthür aufzutauchen. Er wurde mit wütendem Zorn empfangen.

Was ist? Für niemand bin ich zu sprechen, für niemand! Hören Sie?. Da, nehmen Sie meinen Stod, pflanzen Sie ihn vor meine Thür auf, den sollen sie küssen!"

Dejoie blieb unbeweglich stehen und erlaubte sich einen Einwand:

Um Verzeihung, Herr! Es ist die Gräfin von Beauvilliers. Sie hat mich dringend gebeten, und da ich weiß, daß der Herr ihr angenehm zu sein wünscht..."

Ei!" rief Saccard yornig. sie soll zum Teufel gehen mit den andren!"

Sogleich befann er sich eines bessern und rief mit ver­haltenem Zorn:

" Führen Sie sie herein, wenn ich doch nie meine Ruhe haben soll! Aber durch diese kleine Thüre, damit die Herde nicht hinter ihr hereinkommt!"

Der Empfang, welchen die Gräfin von Beauvilliers fand, war wegen Saccards noch andauernden Erregung barsch. Nicht einmal der Anblick Alicens, welche die Mutter mit ihrer stummen und gedankenvollen Miene begleitete, fonnte ihn be­ruhigen. Er hatte seine zwei Beamten forgeschicht und dachte mur noch daran, wie er dieselben zur Fortsetzung der Arbeit zurüdrufen könnte.

" Ich bitte sehr, gnädige Frau, sich kurz zu fassen, denn ich habe schyreckliche Gile."

Die Gräfin hielt betroffen inne, bedächtig wie immer, mit ihrer Traurigkeit einer entthronten Königin.

Aber, mein Herr, wenn ich störe..."

Er mußte ihnen Stühle anbieten. Die Tochter, die mutiger war, setzte sich zuerst mit einer entschlossenen Be­wegung, während die Mutter fortfuhr:

Mein Herr, ich tomme, Rat zu holen... Ich bin in der peinlichsten Ungewißheit und fühle, daß ich allein nie zu einem Entschluß komme."

Sie erinnerte ihn daran, daß sie bei Gründung der Bank hundert Aktien genommen hatte, die bei der ersten Kapitals­erhöhung sich verdoppelt, sich bei der zweiten abermals ver­doppelt hätten, und nunmehr auf vierhundert Aktien an gewachsen seien, auf die sie einschließlich des Agios siebenund­achtzigtausend Frank eingezahlt habe. Außer ihren Er­sparnissen von zwanzigtausend Frank babe sie demnach, um diese Summe aufzubringen, siebzigtausend Frant auf ihr Gut Les Aublets aufnehmen müssen.

Nun aber," fuhr sie fort, finde ich heute einen Stäufer für Les Aublets... Und es ist die Nede von einer neuen Emission, nicht wahr? so daß ich vielleicht unser ganzes Ver­mögen in Ihrem Hause anlegen fönnte."

Damit war Saccard beschwichtigt. Es schmeichelte ihm, diese armen Frauen, die letzten Sprossen eines großen und uralten Geschlechts, so vertrauensvoll und angstvoll vor ihm figen zu sehen. Nasch erteilte er ihnen eine zahlenmäßige Auskunft.

Eine neue Emission, ganz richtig! Ich bin gerade damit beschäftigt. Die Aftie mit dem Emissionsagio beträgt acht­hundertundfünfzig Frank. Wir sagten also, Sie haben vier­hundert Aktien. Es werden Ihnen demnach zweihundert neue zugeteilt werden, wofür Sie noch hundertundsiebzigtausend Frank einzuzahlen haben. Dann sind aber Ihre sämtlichen Litres voll einbezahlt, Sie haben sechshundert Aktien, die Ihnen zu Eigentum gehören, und sind niemand etwas schuldig."

Sie begriffen noch nicht, er mußte ihnen diese Voll­einzahlung der alten Aftien vermittels des Emissionsagios erläutern. Angesichts der großen Zahlen blieben sie etwas blaß und erregt, angstbeklommen bei dem Gedanken an den zu wagenden Gewaltstreich.

1903

Mit dem Gelde," murmelte die Mutter, würde es schon stimmen... Man bietet mir für das Gut Les Aublets zwei­malhundertundvierzigtausend Frank an, während der frühere Wert viermalhunderttausend war, so daß, nachdem das bereits aufgenommene Anlehen zurückgezahlt wäre, uns gerade die zur neuen Einzahlung erforderliche Summe übrig bliebe... Ach, lieber Gott, wie schrecklich, diese Verschiebung unsres Ver­mögens, wobei unsre ganze Eristenz aufs Spiel gesetzt wird!" Ihre Hände zitterten; es entstand eine Pause, während welcher sie über dieses gewaltige Räderwerk nachdachte, welches zuerst ihre Ersparnisse, dann die geliehenen siebzigtausend Frank verschlungen hatte, und jetzt ihr das gesamte Gut weg­zunehmen drohte. Ihre anerzogene Hochachtung für den Grundbesit, für Adergelände, Wiesen und Wälder, ihr Wider­wille gegen den Geldschacher, diese niedere, ihres Stammes unwürdige Judenarbeit, kamen wieder zum Vorschein und ängstigten sie in diesem entscheidenden Augenblick. Stumm hielt die Tochter ihre leuchtenden und reinen Augen auf sie geheftet. Saccard lächelte ihnen ermutigend zu.

Allerdings müssen Sie Vertrauen in uns haben. Aber die Ziffern liegen da. Prüfen Sie dieselben, und dann scheint mir jedes Zaudern unmöglich. Nehmen wir an, Sie machen die vorgeschlagene Operation; dann besigen Sie sechs­bundert Aktien, die voll eingezahlt auf zweimalhundertund­siebenundfünfzigtausend Frank zu stehen kommen. Nun aber ficht heute der mittlere Kurs eintausenddreihundert, was eine Gesamtsumme von siebenmalhundertundachtzigtausend Frank für Sie ergiebt. Sie haben also Ihr Geld bereits mehr als verdreifacht... Und so geht es noch weiter, Sie werden die Preissteigerung erleben, nach der Emission. Ich verspreche Ihnen vor Jahresabschluß die volle Million."

O, Mutter!" Umvillkürlich entschlüpfte Alice dieser Ausruf in einem Seufzer.

Eine Million! Das Hotel der Rue Saint- Lazare von feiner Hypothekenlast befreit, von der Schmutzschicht des Elends gereinigt! Der Haushalt wieder auf anständigen Fuß ge­bracht und vom Alpdruk befreit, aus diesem unhaltbaren Zu stand gezogen, in welchem man seinen eignen Wagen und nicht genügend Brot hat! Die Tochter, mit anständiger Mitgift ausgestattet, fennte endlich einen Mann und Kinder haben. Der Sohn, der im römischen Klima zu Grunde ging, bekam dort Erleichterungen und die Möglichkeit, standesgemäß auf­zutreten, bis er der großen Sache dienen konnte, die seine Kraft bislang so wenig beschäftigte! Die Mutter, in ihre hobe Stellung wieder eingeführt, konnte ihren Rutscher be­zahlen und brauchte nicht mehr zu fnausern, um bei ihren Dienstagsdiners einen Gang mehr zu geben, und sich nicht mehr für die übrige Woche zum Fasten zu verurteilen. Diese Million flammte hell auf, sie war das Heil, der Traum.

Die Gräfin, bereits überredet, wandte sich ihrer Tochter zu, um dieselbe zur Genoffin ihres Willens zu machen. Wohlan, was hältst Du von der Sache?" Aber Alice sprach nichts mehr, sie schloß langsam die Lider, um ihre leuchtenden Blicke zu verdecken.

Das ist ja wahr." fuhr die Mutter lächelnd fort, ich vergesse, daß Du mir umumschränkte Macht lassen willst... ber ich weiß auch, wie mutig Du bist und was Du alles hoffit..."

Dann wandte sie sich an Saccard:

" D, mein Herr, man spricht von Ihnen mit so großem Lobe. Nirgends fönnen wir hingehen, ohne daß man uns Herrliches und Rührendes von Ihnen erzählt. Nicht bloß die Fürstin von Drviedo, alle meine Freundinnen sind für Ihre Sache begeistert. Viele beneiden mich darum, daß ich zu Ihren ersten Aktionären gehöre, und wenn man jenen Damen folgte, müßte man sogar die Betten verkaufen, um Ihre Aktien zu nehmen."

Sie erlaubte sich einen leisen Scherz:

Ich finde fie alle ein wenig vernarrt, ja, ein wenig ver­narrt, in Wahrheit. Ohne Zweifel, weil ich nicht mehr jung gemig bin... meine Tochter aber gehört zu Ihren Bewunde­rinnen. Sie glaubt an Ihre Sendung und macht Propaganda in allen Salons, wohin ich sie führe.'

"

Entzückt blickte Saccard zu Alice hinüber, welche in diesem Augenblicke so lebhaft erregt und so von Glauben durchdrungen