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Nach kurzem Besinnen hielt der Abgeordnete ein offenes Geständnis für das Geratenste:
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fchritt im Simmer auf und ab, pflanzte sich vor dem Fenster auf, um in das eintönige Grau des herabströmenden Regens zu blicken, und machte seiner nervösen Freude Luft. Ja, ,, Nun ja, er schickt mich.. Oglauben Sie ja nicht, gestern war die Universelle schon wieder zwanzig Frank ge- daß die Angriffe der„ Espérance" zu seiner Erbitterung etwas stiegen! Wie kam es aber, Teufel auch! daß die Verkäufer beigetragen haben. Er steht hoch über solchen Wunden des nicht nachließen? Die Hausse wäre nämlich bis auf dreißig Selbstgefühls... Nein! Aber bedenken Sie eigentlich, wie Frank gekommen, wäre nicht schon in der ersten Stunde ein sehr der katholische Feldzug Ihres Blattes seine jezige Politik ganzer Stoß Titres auf den Markt geworfen worden. Er hemmen muß. Seit den unglückseligen Verwickelungen in Rom wußte ja nicht, daß Frau Karoline abermals tausend Aktien jigt ihm die ganze Geistlichkeit auf dem Nacken; er hat schon verkauft hatte, um selbst gegen die unvernünftige Hausse an- wieder einen Bischof wegen Amtsmißbrauchss bestrafen lassen zufämpfen, wie es ihr Bruder vor seiner Abreise angeordnet müssen... Und zu Ihrem Angriff wählen Sie gerade den hatte. Sicherlich konnte Saccard dem wachsenden Erfolge Augenblick, da er große Mühe hat, sich von der aus den Regegenüber nicht flagen, und doch fühlte er sich heute von einer formen vom 19. Januar hervorgegangenen liberalen aus Zorn und unbestimmter Furcht gemischten Angst be- Strömung nicht überfluten zu lassen; er hat, wie man sich unruhigt. Die schmutzigen Juden hätten seinen Untergang fagt, nur zu dem Zweck in ihre Durchführung gewilligt, um geschworen, rief er, und dieser schurkische Gundermann sei an sie vorsichtig einzudämmen Hören Sie doch, Sie sind die Spitze der Kontermine getreten, um ihn an die Wand zu sein Bruder. Glauben Sie denn, daß ihm das Freude macht?" drücken. An der Börse hatte man es ihm bestimmt versichert, " In der That," erwiderte Saccard, das ist recht garstig und von einer Summe von dreihundert Millionen gesprochen, von mir... Da regiert mein armer Bruder in seinem rasenden die das Konsortium zur Unterhaltung der Baisse verwenden Verlangen, Minister zu bleiben, im Namen der gestern noch wollte. O, diese Banditen! von ihm bekämpften Grundsätze, und nun giebt er mir die Schuld, weil er nicht mehr weiß, wie er zwischen der Rechten, die über seinen Verrat grofft, und der nach Macht dürstenden Mittelpartei das Gleichgewicht halten soll... Gestern erst schleuderte er zur Beruhigung der Katholiken sein bezeichnendes Niemals!" in den Saal und schwur, niemals würde Frank reich zugeben, daß Italien dem Papst Rom wegnehme. Heute möchte er in seiner Angst vor den Liberalen auch diesen ein Pfand geben und denkt nun allergnädigst daran, mich ihnen als Schlachtopfer vorzuwerfen... Neulich hat ihn Emile Ollivier in der Kammer derb geschüttelt.
Was er aber nicht laut wiederholte, waren die von Tag zu Tag mit größerer Bestimmtheit auftretenden andren Gerüchte, welche die Festigkeit der Universelle anzweifelten und bereits Thatsachen vorbrachten, Anzeichen von bevorstehenden Schwierigkeiten, ohne allerdings bis jetzt das blinde Vertrauen des Publikums irgendwie erschüttert zu haben.
Die Thüre that sich in diesem Augenblick auf und Huret fam mit seiner unbefangenen Miene herein.
"
So, Sie find's, Judas?" rief ihm Saccard entgegen. Sobald Huret erfahren hatte, daß Rougon seinen Bruder endgültig aufgeben wollte, war er wieder auf seiten des Ministers getreten; denn seine leberzeugung stand fest, daß die Katastrophe unausbleiblich sei, sobald Saccard Rougon gegen sich hätte. Um abermals in Gnaden aufgenommen zu werden, war Huret wiederum des großen Mannes Lakai geworden: er besorgte seine Ausgänge und setzte sich in diesem Dienst den Schimpfworten und Fußtritten des Ministers willig aus.
" Judas?" wiederholte er mit dem schlauen Lächeln, welches bisweilen sein breites Bauerngejicht erleuchtete. Jedenfalls ein sehr biederer Judas, der jetzt gekommen ist, dem von ihm verratenen Herrn einen uneigennüßigen Rat zu geben."
Als wollte er nichts hören, rief ihm Saccard aber laut triumphierend entgegen:
" He? Gestern zweitausendfünfhundertundzwanzig, heute
zweitausendfünfhundertundfünfundzwanzig!"
" Ich weiß schon, ich habe ja vorhin verkauft." Jetzt brach der unter dem Scherz verhaltene Zorn Saccards los:
Wie? Sie haben verkauft?... So ist's recht, die Sache liegt vollständig klar: Sie lassen mich um Rougons willen fahren und schlagen sich zu Gundermann."
Verblüfft schaute ihn der Abgeordnete an.
Zu Gundermann? Warum denn? Ich schlage mich zu meinen eignen Interessen, ganz einfach! Ich bin kein Wagehals, das wissen Sie ja. Nein, so stark ist mein Magen nicht, ich verkaufe lieber, sobald ein netter Gewinn vorhanden ist. Daher kommt's vielleicht, daß ich noch nie verloren habe." Er lächelte von neuem, ein kluger und besonnener Normanne, der ohne Fieberhast seine Ernte einheimit.
„ Ein Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft!" fuhr Saccard hastig fort. Wer soll denn jetzt Vertrauen haben? Was soll man denken, wenn man Sie mitten in der Aufwärtsbewegung verkaufen sieht? Bei Gott, ich wundere mich jetzt nicht mehr, wenn man behauptet, daß unser Gedeihen nur künstlich ist und der Tag des Zusammenpurzelns naht Die Herren verkaufen,- auf, verkaufen wir alle auch! Panik ist da!"
Die
Wortlos zuckte Huret die Achseln. Eigentlich ließ ihn alles falt, sein Geschäft war gemacht. Seine einzige Sorge war jetzt die, wie er möglichst anständig und ohne selbst allzu sehr darunter zu leiden, Rougons Auftrag ausrichten könnte. Ich sagte Ihnen also, mein Lieber, ich sei gekommen, um Ihnen einen uneigennützigen Rat zu geben Hier Haben Sie ihn: seien Sie vernünftig, Ihr Bruder ist wütend und will Sie ohne weiteres im Stich lassen, wenn Sie über
wunden werden."
Saccard hielt seinen Zorn noch im Baum und sagte: „ Schickt er Sie mit diesem Auftrag zu mir?"
( Fortsetzung folgt:)
Mai.
11
Die Zeiten starben und die Menschengeschlechter verkamen, und sie wurden des Mai nicht gewahr. Ueber die Welt rankten sich Pfirsichblüten, im Winde raunte die Sehnsucht und die Verheißung unendlicher Wunder und die Vögel wurden nicht müde, in Mai reigen unter der mild leuchtenden Sonne die Maibotschaft immer aufs neue zu fünden.
Die Menschen aber hatten besseres zu thun als zu hören, zu fühlen und sich zu freuen. Nur bisweilen, wenn sich heiße Jugend zu einander fand, wurde der Mai liebreich in die Kammer geladen. Auch ein paar Boeten vernahmen den seligen Klang und setzten ihn in irdische Weisen. Sonst aber trieb man allerlei weisere Santierung. Man liebte es die Fenstern zu vermauern, so wie sie es heute machen, wenn sie alte Schlösser, die von Höhen blicken, in Zuchthäuser verwandeln: Vor allem den Ausguck sperren, mit Mauersteinen verrammeln und Eisenstäbe vorlegen, damit der Mai nicht einbricht und der Häftling lachend ins Freie entführt wird.
Fleißig bauten fie am Hungertum der Menschheit. Hundert Klafter wuchs er unter die Erde. Ein paar Wächter saßen draußen und späten grimmig, die andren waren drinnen eingesperrt. Dort fieberten sie im Hungerwahnsinn, verstümmelten einander mit eignen Händen, rissen die Herzen aus den Leibern und stillten die tolle Gier mit der eklen Nahrung. Sie schrien und weinten und tobten und zertrümmerten die gemarterten Schädel an den Mauern. In den Buckungen ihrer Dual vollzog sich der Kreislauf ihres Lebens. Sie wußten nichts vom Mai, den sie niemals sahen. Die Erde trieb umsonst ihre Blüten. Das nannten sie: Segen der Arbeit!
Oder sie zogen Striche über die Erde. Und der Strich besaß unheimliche Gewalt. Links wurden die Menschen ganz anders wie rechts. Sie sprachen anders und man sagte ihnen auch, daß sie ganz verschieden fühlen müßten. Von Zeit zu Zeit drängten sie wie besessen über den Teufelsstrich und mordeten sich. Die Erde blutete und die Felder waren mit Menschenfeßen besäet. Und der Mai entfloh, weinend. Das nannten sie: Liebe zum Vaterland!
Oder sie trieben grausame Gedankenjagd. Wo der Mai in einem rüſtigen Hirn flügelweites, fühnes Denten entfeimen ließ, da kamen die Häscher und erstachen mit glühenden Nadeln das fröhliche, freie Sinnen und Gestalten. Dann legten sie die Hirne an feste, wund reibende Ketten, bis sie siech und mürbe wurden und gar nicht mehr dachten. Das nannten sie: Das Bekenntnis zu ewiger, göttlicher Wahrheit.
Das schlimmste aber war doch, daß sie den Mai so schmutzig verleumdeten. Das sei Sünde und Frevel, frech zu blühen, in Farben und Düften finnlich zu schwelgen. Wie schlimm diese niedrige Fleischeslust, daß sie begehren, wie die Bienen um rote Blüten zu summen! Steinigt das Lachen, kafteit die Sonne und schleppt den Mai zum Galgen. Schönheit und Freude ist Satanstrug. Erst wenn der Leib modert, darf er in ewigem Mai brünstig schwärmen. Insonderheit wenn Ihr arm seid' und tief geboren, dann ziemt es Euch, in härenem Gewande Freude, Kraft und Schönheit zu dörren. So erst werdet Ihr würdig ewiger Glückseligkeit, wenn Ihr das Mailaster in Euch abgetötet, das überdies nur in der Arbeit