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eine Kreissäge gegriffen. Mit dicen, überlebensgroßen Buchstaben grinste mich von einem Flugblatt der Satz an: Die Socialdemokratie ist der Feind des allgemeinen

Wahlrechts!

Die Offenbarung war zerschmetternd. Ich stürzte aus dem Bimmer, auf die Straße, in der Nacht. Ich weinte, ich lachte, ich chrie, ich tortelte, ich hätte mir auch die Haare gerauft, wenn ich 15 Jahre jünger gewesen wäre; jest wär's ein Versuch am un­tauglichen Objeft geworden. Ich starrte in den Himmel. Pfeilschnell liefen die Sterne durcheinander, rotteten sich zusammen und bildeten schließlich ein einziges neues Riesensternbild, das in flimmernden Lettern in den Weltenraum den Spruch malte: Die Socialdemokratie ist der Feind des allgemeinen Wahlrechts.

Mich befielen die seltsamsten Gelüste. Eine junge Dame ging borüber, eine lichtgekleidete, lächelnde. System: Schlangenhaut. Ihre internen Angelegenheiten stedten in einer engen seidenen Hülfe, mit Ausbuchtungen. Wißt Jhr, so wie Ihr es in den natur wissenschaftlichen Büchern seht: Schlange, ein lebendiges Kaninchen hinunter geschluckt habend." Instinktiv trat ich heran, lüftete meinen But und fragte zitternd: Verzeihen Sie, sind die Socialdemokraten Feinde des allgemeinen Wahlrechts?"

Quatschen Sie mir nich an, oller Dussel , ick ruf' nach'n Schuß mann," erwiderte Fräulein Schlangenhaut. Der mußte es wissen. " Entschuldigen Sie, Herr Wachtmeister, sind die Socialdemokraten wirklich Feinde des allgemeinen Wahlrechts?"

Schußmann! das war die Erlösung.

An der nächsten Ecke traf ich einen:

Mensch, machen Sie, daß Sie weiter kommen, oder ich begeh' ' nt polizeilichen Mißgriff," meinte der Biedere. Ich mußte die Flucht ergreifen.

Immer düsterer und zerrissener ward mein Gemüt. Bon jeder Anschlagsäule dräute der Saz: Die Socialdemokraten sind Feinde des Wahlrechts." Jeder Vorübergehende schien mir das Wort ent­gegenzubrüllen. Wenn ich nur Ruhe hätte Wie weich muß es sich schlummern unter den Rädern einer Straßenbahn! Ich verging vor Sehnsucht, mich quer über die Schienen zu legen. Beinahe wär's mir auch geglückt. Aber der Wagenführer ergriff mich noch recht­zeitig. Ich benutzte die Gelegenheit, um ihn zu fragen: Sind die Socialdemokraten nun Gegner des Wahlrechts oder sind sie es nicht? Der Mann riet mir eine Unfallstation aufzusuchen.

Endlich befand ich mich doch beim Bahnhof. Beim Knipsonkel taumelte ich bewußtlos vorüber Fahrlarte!" herrschte er mich an. Ich erwachte und überreichte statt des Billets die Frage:" Sind die Socialdemokraten Feinde des allgemeinen Wahlrechts?"

,, Nehmen Sie man' n Abteil für Reisende mit Traglasten. An dem Affen haben Sie zu tragen" bemerkte der Beamte.

In dem Coupé des Vorortzuges saß außer mir nur noch ein Herr, etwa ein Vierziger. Er war unglaublich heiter, fachte in sich hinein und flatschte vor Vergnügen von Zeit zu Zeit auf seine Schenkel, furz er benahm sich wie ein Mensch, dem unvermutet ein großes Glück widerfahren oder der eben eine schwere Arbeit voll­endet hat.

Mich ärgerte naturgemäß solche Heiterfeit. Der Mann dachte sicher nicht über die Rätsel antisocialdemokratischer Wahlblätter nach. Ich fuhr ihn an: Sie machen mich mit Ihrer Luftigkeit nervös. Sie haben sicherlich nicht drei Dutzend Flugblätter und ein halb Duzend Wahlbroschüren heute gelesen?"

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Gelesen?", lachte mein Gegenüber, nein, aber ich habe mehr geleistet!"

Mehr das ist unmöglich, das hält kein Mensch ans," ver­setzte ich grimmig.

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Doch, Verehrter ich habe fie foeben geschrieben!" " Sie schreiben Wahlflugblätter?" rief ich erregt. Aber natürlich, saftige.

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Ein furchtbarer Berdacht stieg in mir auf:

Da haben Sie vielleicht auch das geschrieben, worin steht, daß die Socialdemokraten Feinde des allgemeinen Wahlrechts sind." Aber selbstredend, das ist mein Meisterstück, darauf bin ich stolz!" Und Sie glauben an solchen Blödsinn?"

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Glauben? Wofür halten Sie mich? Jch an so etwas glauben?" Der Herr verfinsterte sich ordentlich.

Ich brauste auf!

Sie Lump, Sie Schuft, Sie gemeiner Kerl, Sie Patriot Sie, Sie schreiben also so aberwizige, dreckige Verleumdungen gegen Ihre Ueberzeugung! Ich rate Ihnen, die Notleine zu ziehen, Sonst" ich raste förmlich.

Der Herr wurde immer strahlender. Und als ich, um Luft zu schnappen, pausierte, reichte er mir freundlich seine Hand und drückte die meine herzlich:" Ah, Sie sind Genosse, freut mich außerordentlich. Auch ich bin seit fünfzehn Jahren zahlendes und thätiges Mitglied der Socialdemokratie!"

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Und da schreiben Sie solch elenden Wisch?"

Aber gerade. Das ist ja mein größtes Verdienst." Einer von uns beiden ist verrückt," schrie ich. " Ich bin es zweifellos nicht."

.Dann bin ich's. Ich bin ganz dumm. Ich verstehe nichts meh. Die Socialdemokraten sind Feinde des allgemeinen Wahl­rechts. Deutsche, wählt feinen Socialdemokraten. Die Socialdemo­fraten find Feinde, Feinde- Deutsche, wählt- Deutsche-". Ich fieberte und delirierte.

Der Herr aber erklärte:

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Ich sehe, Sie find nicht unterrichtet. Bir Flugblattschreiber haben uns nämlich diesmal organisiert. Unfre Auftraggeber sind zu dumm und faul, um selbst derlei Zeug zu verfassen. So beuten fie uns aus. Wir sind natürlich alle Socialdemokraten, was soll ein armer Tintentuli andres sein! Wir haben uns nun verpflichtet, nicht nur 10 Proz. des Verdienstes an die Parteikasse abzuführen, schreiben, daß wir mit diesen geistigen Produkten die bürgerlichen sondern auch die Blätter so blödsinnig und und gemein zu Parteien intellektuell und moralisch verkrüppeln, verseuchen, um sie böllig wehrlos gegenüber dem Proletariat zu machen. Und ich kann fagen, ohne mich rühmen zu wollen, wir haben Erfolge erzielt, Entdeckung, daß die Socialdemokraten Gegner des allgemeinen Wahl­Erfolge meine Auftraggeber können nur noch 9- a sagen. Meine rechts sind, hat mir ein kleines Vermögen eingebracht. Ich konnte fofort 300 Mark an die Sächsische Arbeiter- Zeitung" schicken, für die ich früher arbeitete. Aber ich glaube, jetzt bin ich nüglicher für die Partei!" Der Zug war im Halten. Mein Nachbar wollte aussteigen. Aber wie werden Sie sich steigerit, übertrumpfen können?" fragte ich bewundernd und herrlich beruhigt.

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D, da hat's feine Not. Ich werde schreiben, daß die Social­sie systematisch Eisenbahnunfälle organisieren, daß sie die Havelberge demokraten principiell auf dem Boden des Muttermordes stehen, daß in Vulkane verwandeln. Und wenn alle Stränge reißen, werde ich den Saz plakatieren: " Joc.

Die Socialdemokraten find Monarchisten.

Kleines feuilleton.

Wie

der Landschaft. Unten über den Gärten und Wiesen breitete die ee. Der Unterschied. Still und friedlich lag der Abend über Dämmerung schon ihre grauen Schleier, draußen auf dem Strom var es noch hell. Ueber dem Walde stand das Abendrot. flüssiges Golt schwamm es über den dunklen Fichten, glühte durch die Zweige und warf einen feurigen Wiederschein auf die blaue Flut. und alle Schatten tiefer werden. Das Leben schläft ein, selbst in des Es war jenes wundersame Zwielicht, wo alle Farben leuchtender Tages lehte Laute mischt sich etwas Leises, Schlummermüdes.

auch das.

Unten auf dem Wasser zog ein Boot. Ein Lied flang auf, lang und verklang, Ruderschläge, ein Lachen irgendwo, nun schwieg Schweigen lag über Fluß und Wald, und auch in der hübschen Glasveranda des kleinen Landhauses war es still geworden.

Die vier Menschen hatten sich in ihre Gartenstühle zurückgelehnt. Es dachte keiner mehr an das Abendessen, obgleich das braune Bauernbrot und die frische Butter appetitlich genug zum Essen luden. Aller Blicke hingen an dem Bild und seiner leuchtenden Farbenpracht. In den Augen der kleinen alten Frau blizzte es auf, als sie die be wundernden Mienen der Verwandten jah. Ein geheimer Triumph malte sich in ihrem faltenreichen Gesicht. Sie lächelte schalthaft: Na, ist das nun nicht schön?"

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Gewiß ist es schön," nickte die Rätin, und auch Else fuhr aus ihrer Verträumtheit auf:" Na gewiß, Tantchen, das haben wir doch auch gar nicht bestritten, wunderschön ist es."

Solch Wasser habt Ihr in Eurem feinen Westen nicht," era widerte der alte Mann und seine Stimme lang ebenso triumphierend wie die der Frau.

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Aber den Westen haben wir. Onfelchen!" sagte Else mit Würde. und den habt Ihr hier nicht".

Ree, stimmt!" erwiderte Onkelchen trocken, hier ist der Osten". Und der Osten ist und bleibt nun mal ordinär!" ereiferte sich die Rätin.

Onkelchen machte statt aller Antwort eine Handbewegung über das Bild zu ihren Füßen:" Ist das ordinär?"

Es kam keine Antwort. Else schnitt sich ein Schinkenbrot, erst nach einer Weile sagte sie:" Nein, Onkelchen, das natürlich nicht." Sie nahm einen sentimentalen Ton an: Gott, die Natur ist natür­lich überall schön. Ich sage ja auch, es ist ein Jammer, daß wir die Natur nicht im Westen haben. Aber Onkelchen, die Menschen, die hier herauskommen: das ganze Berliner Arbeiterviertel! Und das feinste sind noch Ladenmädchen. Der Osten ist eben zu ordinär

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" Ja, es ist schade, daß Ihr nicht auch nach dem Westen ziehen fonntet," fiel die Rätin ein, die westlichen Vororte sind viel feiner. Na ja, Onkelchen hat seine Stelle am Grünen Weg und die Wohnungen sind hier billiger; da ging es ja wohl wirklich nicht anders." Und wir bedauern es auch gar nicht," widersprach die alte Frau, es ist sehr schön hier".

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" Bloß das Publikum," wiederholte Else, na, Tantchen, das mußt Du doch zugeben, reiche Leute wohnen hier in der Gegend doch nur, wenn sie unbedingt müssen; und Partien hier raus machen sie auch nicht. Das Volf, das hier heute unterwegs war! Auf dem ganzen Weg von der Bahn bis zu Euch haben wir auch nicht eine richtige Dame gesehen!"

Nein, wirklich nicht," stimmte die Rätin ihrer Tochter lebhaft bei, bloß Arbeiterfamilien und Näh- und Ladenmädchen mit ihren Schätzen; von denen wimmelt es hier ja Sonntags geradezu".

" Na, und ist das nicht ein reizender Anblick?" fragte der Onkel, " gerade die jungen Dinger! Nun siht das die ganze Woche im