Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 93.
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Das Geld.
Mittwoch, den 13. Mai.
( Nachdruck verboten.)
Ehe Saccard den Saal verließ, recte er sich hoch empor, als wolle er mit einem Blicke die Menge ringsum besser umfassen. Er schien thatsächlich größer zu sein; er wurde von einem solchen Triumphgefühl emporgehoben, daß seine ganze fleine Persönlichkeit sich aufblies, in die Höhe ging und bis ins Ungeheure anschwoll. Derjenige, nach welchem er über allen Köpfen hinwegzuspähen schien, war der abwesende Gundermann; diesen Gundermann hätte er sehen mögen, wie er niedergeschlagen und wutgrinsend um Gnade flehte. Jezt mollte er wenigstens, daß alle unbekannten Kreaturen dieses Juden, die zähnefletschend hier anwesend waren, ihn selbst in der Verklärung seines herrlichen Erfolges schaue. Das war fein großer Tag, der Tag, von dem man noch lange erzählt, wie von Austerlitz und Marengo.
Saccards Kunden, seine Freunde stürzten herbei. Der Marquis de Bohain , Sédille, Kolb, Huret drückten ihm beide Hände, während Daigremont mit dem falschen Lächeln seiner weltmännischen Liebenswürdigkeit ihn beglückwünschte; er wußte genau, daß man bei der Börse an ähnlichen Siegen untergeht. Maugendre hätte ihn am liebsten vor Begeisterung auf beide Backen gefüßt und war außer sich, als er den Hauptmann Chave immer noch die Achseln zuden sah. Die förmliche, vergötternde Anbetung aber fand man bei Dejoie, der vom Zeitungsbureau herbeigerannt war, um den letzten Kurs sofort zu wissen. Dieser stand in einer Entfernung von einigen Schritten unbeweglich, durch Liebe und Bewunderung festgebannt und mit thränenfeuchten Augen. Jantrou war verschwunden und überbrachte die Nachricht ohne Zweifel der Baronin Sandorff. Massias und Sabatani atmeten freudestrahlend auf, wie am sieggekrönten Abend eines großen Schlachttages.
,, Nun, was hatte ich gesagt?" rief Pillerault entzückt. Moser, dessen Naje bedeutend länger geworden war, murrte dumpfe Drohungen vor sich hin.
Ja, ja, drüben, jenseits des Grabens kommt erst der Purzelbaum. Die Rechnung für Meriko ist zu zahlen, die römischen Angelegenheiten werden seit Mentana noch verworrener, Deutschland wird eines schönen Tages über uns herfallen.. Ja, ja, und diese Schafsköpfe treiben noch in die Höhe, um desto fiefer hinunterzupurzeln... O, alles ist futsch. Sie werden's schon sehen!"
Da Salmon ihn diesmal ohne sein spißiges Lächeln an sah, fragte er ihn:
„ Das " Das ist auch Ihre Ansicht, nicht wahr? Wenn alles gut geht, so muß demnächst alles zusammenkrachen."
Mittlerweile leerte sich der Saal. Bald blieb nur der Cigarrendunst in der Luft, eine bläuliche Wolfe, die von dem vielen aufgewirbelten Staub dichter erschien und gelblich schimmerte. Mazaud und Jacoby hatten ihre tadellose Ruhe wieder erlangt und schritten neben einander dem Maklerzimmer zu, letterer mehr durch heimliche persönliche Verluste als durch die Niederlage seiner Kundschaft erregt, während der erstere, der nicht spielte, sich ganz und voll der Freude über den so wacker erkämpften letzten Kurs hingab. Einige Augenblicke unterhielten sich beide mit Delarocque wegen des Austausches der Verpflichtungen; sie hielten ihre mit Notizen angefüllten Taschenbücher in der Hand, nach welchen die Liquidatoren am Abend noch die abgeschlossenen Geschäfte zu überschreiben hatten.
1903
laut, hocherfreut über die herrliche Operation, die sie mit den Kauforders Fayeur' gemacht hatten. Es kam dabei ein Paar Diamantohrringe für Chüchü heraus, welche Flory durch ihre Ansprüche nachgerade knechtete; dazu noch ein halbes Jahr Vorauszahlung für Germaine Coeur, die Gustave ihörichterweise dem Makler Jacoby vollends abgespannt hatte, wofür dieser sich eine Kunstreiterin vom Hippodrom auf den Monat zugelegt hatte. In diesem Saale dauerte übrigens der Spektakel fort, findische Streiche wurden verübt, Hüte eingetrieben, wie in einem Gedränge losgelassener Schulfnaben. Unter der Säulenhalle schloß die Coulisse noch die letzten Geschäfte ab; freudestrahlend über die gelungene Arbitrage kam Nathansohn endlich die Stufen herabgestiegen und mischte sich unter die Flut der letzten Spekulanten, die trotz der gewaltig zunehmenden Kälte immer noch umherstanden. Schon um sechs Uhr sollte diese ganze Welt von Spielern, Maklern, Jobbern und Kommissionären die einen nach Aufstellung von Gewinn und Verlust, die andren nach Ermittelung der Courtagegebühren sich in den Frack stecken, um nach ihren Begriffen vom Gelde den Tag vollends zu vertoben, teils in den Restaurants und den Theatern, teils in Abendgesellschaften und bei galanten Damen.
An diesem Abend war in dem wachenden und lachenden Paris ausschließlich von dem fürchterlichen Zweikampf zwischen Gundermann und Saccard die Rede. Die Frauen, die aus Leidenschaft und aus Mode ganz in dem Börsenspiel befangen waren, bedienten sich mit Vorliebe der technischen Ausdrücke, Liquidation, Prämie, Report und Deport, ohne sie jedesmal zu begreifen. Namentlich sprach man von der heiklen Lage der Kontermine, die seit so vielen Monaten an jedem neuen Stichtage immer erheblichere Differenzen zahlte, je weiter die Universelle in die Höhe stieg und alle vernünftigen Grenzen überschritt. Allerdings spielten viele ohne Deckung und mußten zur Beschränkung ihres Verlustes prolongieren, da sie nicht im stande waren, die Stücke zu liefern. Trogdem blieben sie hartnäckig bei der Baisse und hofften auf der nahen Krach. Da aber der Satz für Report immer höher stieg, ic knapper das Geld wurde, so stand den erschöpften und zerschmetterten Baissiers unausbleibliche Vernichtung bevor, wenn die Hausse anhielt. Anders stand es mit Gundermann, dem vermeintlichen allmächtigen Anführer der Kontermine; er brauchte nicht zu prolongieren, er hatte ja in den Kellergewölben seine Milliarde daliegen, unerschöpfliche Heerscharen, die er ins Treffen schickte, wie lange und mörderisch auch deu Feldzug sein mochte. Darin bestand seine unbesiegliche Mach:. daß er ohne Deckung verkaufen und doch immer seine Diffe renzen zahlen fonnte, bis am Tage der unausbleiblichen Baijje der Sieg se in wäre.
Man sprach hin und her und rechnete die erheblichen Summen aus, die der Kampf schon verschlungen haben mußte, wenn er am fünfzehnten und dreißigsten eines jeden Monats seine Geldsäcke ins Gefecht führte und diese im Fenerofen der Spekulation zerschmolzen, wie ganze Reihen Soldaten von Granaten weggemäht werden. Noch niemals hatte er an der Börse einen so heftigen Ansturm gegen seine Macht erlebt, die er unumschränkt und unbestritten sehen wollte. Denn wenn er bloß ein Geldhändler und fein Spieler war, wie er gerne immer wieder sagte, so hatte auch er das klare Bewußtsein der Notwendigkeit für ihn, der unumschränkte Gebieter über den Markt zu sein, um der erste Geldhändler der Welt zu sein, der über den öffentlichen Reichtum nach Gutdünken verfügt. Daher kämpfte er nicht um des unmittelbaren Gewinnes willen, sondern um seine Königsstellung, um sein Leben selbst. Daher die grimmige Hartnäckigkeit und die wilde Größe des Kampfes. An den Boulevards, längs der Rue Vivienne, konnte man ihn Inzwischen ging es in dem Saale für die Commis mit seinem fahlen und leblosen Antlitz, seinem Gange eines einem niedrigen, von dicken Pfeilern durchzogenen Saale mit erschöpften Greises treffen, ohne daß irgend etwas die geringste den neben einander gereihten Bulten und den Kleiderrechen Angst verriet. Er glaubte einzig und allein an die Rogik. im Hintergrund, der einem unordentlichen Klassenzimmer Jenseits des Kurses von zweitausend Frank begann für die gleichsah, laut und heiter zu. Flory und Gustave Sédille Aktien der Universelle die Thorheit, bei dreitausend war es hatten ihre Hüte geholt und unterhielten sich mit lärmender der reine, tolle Wahnsinn; zurückfallen mußten sie also, wie Fröhlichkeit in Erwartung des mittleren Kurses, den die Be- der in die Höhe geschleuderte Stein unfehlbar zurückfällt. So amten der Börsenkommission an einem Bulte aus dem höchsten verhielt er sich denn abwartend. Würde er ausharren, bis seine und dem niedersten Kurs ausrechneten. Gegen halb vier Uhr Milliarde zu Ende wäre? Durch Gundermanns Umgebung erschien der Anschlagszettel an einem Pfeiler. Da wieherten ging ein Schauer der Bewunderung und zugleich auch der beide Freunde freudig auf; dann gackerten und frähten sie Sehnsucht, den Mann endlich fallen zu sehen. Saccard da