durch eine Glocke die Aufmerksamkeit auf sich. Ein Glashändler.der zugleich Namen in seine Gläser einätzt, thut mit lautem Auf-schlagen des Glases auf Metall seine Anwesenheit kund. TerPorzelt anflicker fragt rufend nach zerbrochenen Töpfen, Schüsseln.Wasen und setzt sich dann an einer Straßenecke auf seinen kleinenSchemel, um die Scherben zusammenzuflicken. Ein Stratzenoptikerpaßt Brillengläser ein, ein Waffelbäcker bäckt Waffeln, eine Fraubrät Pommes frites, die Fischhändlerin zerlegt die großen Fische,die sie feilbietet, und weidet die kleineren aus. Poulets werden aus-genommen, Tauben und andres Geflügel, vom Abschlachten derKaninchen ist man Zeuge. Dann bläst es zart und lockend auf einerSyrinx. Der Ziegenhirte zieht durch die Straße— fünf, siebenZiegen mit vollen Eutern vor ihm her. Frische Ziegenmilch I Mankennt seine zarte Melodie, man erwartet ihn schon. Die Ziegenwerden auf der Straße gemolken— bluttvarme Milch vor jederThürc, mitten im Lärm und Leben und Tunmltieren von Paris.Trubel und Lärm und Bewegung steigern sich von Stunde zuStunde. Kommende, Gehende— neue Waren, neue Verkäufer, undneue Verkäufer der gleichen Sachen. Veilchen, Rosen,Reseden— manche Stimme ist schon heiser. Und der Zeitungs-Verkäufer dazwischen. Dann kommt die Mittagsstunde. Die Straßewird stiller. Nur der Blumenhändler bleibt, der Porzellanflicker, dieFischfrau, die Cstronen- und Orangenverkäufer. Dann und wannein Ruf. Dann und wann einer, der ein besonderes Theater auf-führt, seine Sachen loszulverden. Eine Orgel, ein Flöte, der Bettlernoch. Und— der Schuster! Er hat am frühen Morgen seinenFensterladen aufgemacht und begann sein poetisches Handwerk voraller Augen und treibts nun auf Schusterart so weiter. Auch einStraßenarbeiter. Ein Freund, der mit ihm plaudert, in sein Fensterhinein, ein Kunde, der auf der Straße auf die kleine Reparaturwartet. Eine Cigarette rasch zwischendurch, rasch ein Sprung zurnächsten Destille. Dann gegen sechs Uhr, wenn ein neuer Lärm be-ginnt, der Lärm der Heimkehrenden und der Flanierenden, derer,die zu den Nachtgenüssen ausziehen, legt er Ahle und Hammer hinund lehnt sich zu seinem Fenster hinaus. Die Zeitungsverkäuferrennen durch die Straßen— und Meister Schuster macht sich, imFenster lesend, mit den neuesten Skandalen, widerrechtlichen Arre-tierungen durch die Sittenpolizei, den Raub- und Mordzügen der»Apachen" und— Jean Jaures neuestem Vorstoß in der„PetiteRepublique" bekannt. Und morgen beginnt der Kampf ums Dasein,wie er heute begonnen, und morgen bringt der Tag so wenig, wie erheute brachte. Aber die Nacht feiert ihre Orgien, und der Besitzendegenießt.—> Wilhelm Holzamer.kleines feinUeton.ng. Der Wohlthäter.»Unglaublich," sagte der ßj-'f, als seineGattin ihren Berichte geendet hatte.„Unglaublich. Und das sagstDu mir erst jetzt? Kommst extra hierher ins Bureau gefahren?Warum nicht gestern abend in der Wohnung?"»Ich wollte Dich nicht verärgern, Emil. Du hast dann gleicheine schlaflose Nacht."„Na warte!" Der Chef ließ den Hausdiener rufen.Ein Mann in der Mitte der Dreißiger trat ein.„Ich höre da ja nette Sachen, Lehnertl Nette Sachen! Siewissen, daß uns gestern das Mädchen fortgelaufen ist. Und Sieweigern sich also, meiner Frau den Kinderwagen nach Hause zuschieben?"Lehnert warf einen Blick auf die Frau, welche ihntriumphierenden Auges ansah. Er fand nicht gleich die rechtenWorte.„Antworten Sie!" Der Chef trat näher.»Sie scheinen zuiglauben, wenn ich nicht hier bin, brauchen Sie»meine Frau nichtzu respektieren?"Lehnert sah ihn mit großen Augen an:„Es war schon achtUhr durch gestern, Herr Neißer. Und da kommt Ihre Frau undverlangt, ich soll ihr den Kinderwagen nach Hause schieben. Sieund das Kind woll'n mit der Elektrischen fahren. Geschäftsschlußwar schon vorbei und ich will nach Haus gehn. Und draußenwartete meine Frau. Die hatte auch'n Kinderwagen bei sich. Undwas meine Frau is, die is man sehr schwach. Darum sag' ich:heut' geht's nich, Frau Neißer. Ich Hab' allein so'ne Equipage da.Sie wohnen im Westen, ich im Norden. Das is zu weit auseinander.Der Mensch will auch'mal Feierabend haben."„Sie sagten noch mehr, Lehnert!"„Ja. Ich Hab' gesagt: Und schließlich bin ich ja auch nich alsMädchen for alles von Herrn Neißer engagiert!"Die Frau wandte sich zum Gatten:„Aber den Ton hättest Duhören sollen. Emil! Diesen frechen, impertinenten Ton!"„Frech?" Lehnert trat einen Schritt auf sie zu.Der Chef hob die Hand:„Nana! Nur ruhig, Lehnert, ja?Also Sie sind nicht als Mädchen für alles von mir engagiert! Siehaben ja eine großartige Auffassung von Ihrer Stellung, wie'sscheint. Ganz famose Ausdrücke: Mädchen für alles! Wenn Siemeiner Frau'mal einen kleinen Gefallen thun sollen! Da mußich Ihre Erinnerung denn doch etwas auffrischen! Als ich dieHausdienerstelle inseriert hatte, waren Sie der Erste zur Stelle.Angejagt, atemlos angejagt kamen Siel Das sehe ich heute nochvor mir. Abgerissen waren Sic wie ein, na. wie ein Stromer vonder Landstraße gradezul Halb verhungert waren Siel Gebarmtfast haben Sie um die Stelle! Gleich darauf kamen andre, an«ständig im Zeug. Ueberhaupt: viel— vertrauenerweckendere Gestalten als Sie. Wenn ich Sie trotzdem vorzog, was meinen Siewohl: warum?"„Weil ich mit weniger Lohn zufrieden war!" stieß Lehnertheraus.„Hören Sie mal!" Der Chef wurde zornrot.„Weil ich Mit-leid mit Ihnen hatte! Weil Sie mich dauerten! Bereit zu jederArbeit wollten Sie sein, versprachen Sie mir."„Bin ich auch gewesen. Nich bloß im Geschäft, wie ich'smeinte. Hab' ich nich Messer geputzt, wenn bei Ihnen im Haus'n Diner war oder sotoas. Ganze Nächte Hab' ich mir um die Ohrenschlagen müssen, wenn die Herrschaften von'ner Reise kamen undich'n Koffer in der Nacht nach Hause schleppen muhte, bloß, daß Sieman'n Dienstmann sparen."„Ach was, spare» I Dafür haben Sie Ihre Weihnachts»gratifikation gekriegt," sagte der Chef.„Zehn Mark." murrt« Lehnert...Ist Ihnen nicht ein anständiges Abendbrot vorgesetzt worden»wenn Sie nur mal'n paar Stündchen bei mir im Haushalt zuthun hatten?" fragte empört die Prinzipalin.„Sowas kriegen Siedoch sonst überhaupt nicht zu sehen."Der Harlsdiener lachte höhnisch:„Nee. Warmen Kalbsbratenkann ich mir zum Abend nich leisten. Dazu langt der großeLohn nich."„Lehnert!", Der Chef trat dicht zu ihm heran und legte dieRechte auf dessen Achsel.„Lehnert! Ich habe Sie sozusagen ausdem Sumpf gezogen! Ich habe Sie vor dem Untergang gerettet!Vor dem Verhungern! Mir danken Sie es, wenn Sie heute wiederein anständiger Mensch sind! Sie haben's vergessen. Na ja. Esist sechs Jahre her." Er lachte gequält.„So lange hält natürlichkeine Dankbarkeit vor. Das hätte ich mir vorher denken können.Verheiratet haben Sie sich inzwischen. Sie sind glücklicher Familien-vater. Ist es nicht eine Sünde, wenn Sie nun so mst einer Lebens-stellung spielen?"„Du wirst doch den Mann nicht behalten, Emil?" empörte sichdie Frau.Neißer winkte mit mißmutiger Geberde.„Natürlich könnenwir nur dann weiter zusammen arbeiten, Lehnert, wenn Sie sichin dem bewußten Punkte ändern. Auch meiner Frau müssen Sieohne Widerrede gehorchen."„Kindermädchen spiel' ich nich," sagte Lehnert.Die Frau lachte beleidigt:„Sie können sich noch etwas daraufeinbilden, mit solchem noblen Wagen durch die Stadt zu fahren."Der Hausdiener zuckte lächelnd die Achseln.„Kurz und gut!" Der Chef machte drohende Augen.„Ent-weder Sie thun alles, was man von Ihnen verlangt oder..." Ertrat zum Pult und kramte in den Papieren.„Sie haben vierzehn-tägige Kündigung, nicht wahr?"Lehnert war näher zum Fenster getreten. Es bohrte undwürgte in ihm. Er wollte auffahren und es ihnen sage», wie sieihn für lumpigen Lohn benutzt hatten zu allem Möglichen. Aberda fiel sein Blick auf eine Gestalt, die da draußen an den Häusernentlang schlich: verschlissenes, geflicktes Zeug, zerrissene Schuhe.dumpfe, stumpfe Resignation im Gesicht... Das war er selber— vor sechs Jahren...„Nun?" Drohend fragte der Chef.„Du kriegst ja andre," sagte die Frau.Lehnert sah sie an— es war kein freundlicher Blick. Dannnickte er stumpf vor sich hin.„Ja." Ganz leise, kaum hörbarklang's. Dann schlich er hinaus.„Hahaha!" Der Chef lachte.„Man muß ihnen nur ordcnt-lich auf den Leib rücken. Dann kriegt man sie alle kirre! Alle,sage ich Dir."„Ueberhaupt, wenn sie verheiratet sind." Seine Frau lachte.»Dann sind sie meistens um den Finger zu wickeln."„Wenn er sich nur nichts andres unter der Hand sucht." Be»sorgt lkang plötzlich die Stimme des Chefs.»Der Mann ist brauchbar.Es wäre doch sehr fatal."—— Le Temple. Der„Kölnischen Zeitung" wird geschrieben:Ein charakteristisches Gebäude des alten Paris geht dem Untergangentgegen, der Markt des Temple soll verschwinden und neuen BautenPlatz machen. Die große eiserne Halle, die einst von dem ohren-betäubenden Gekreisch feilschender Händler wiederhallte, ist von Jahrzu Jahr mehr verödet, denn der Temple war vornehmlich ein Marktfür Althändler. Dort traten die von den ober» Schichten derGesellschaft abgelegten Kleider, Hüte und Stiefel ihre Laufbahnin einem minder vornehmen Milieu an, ehe sie dem Korb desLumpensammlers verfielen, der sie in einer an die ägypttscheSeelenwanderung erinnernden Weise neuen Formen ihrer Existenzentgegenfiihrte. Die moderne Industrie, die die neuen Sachen fastebenso billig liefert, wie der Temple die alten, hat dem altberühmtenMarkt das Lebenslicht ausgeblasen. Mit dem Markt schwindet dieim ersten Stockwerk der Halle liegende Börse der Althändler und ihrstaubumhülltes Durcheinander von allerlei Gegenstände», die einen,Großstadtpoeten die buntesten Märchen mit elegischen Betrachtungenüber die Vergänglichkeit alles Irdischen eingeben könnten. Dieeiserne Halle hatte ihrer Zeit einen viel malerischeren, aber un-gesunden und sehr feuergefährlichen Sitz des Handels ersetzt, der inkleinen, hölzernen Buden betrieben wurde. Dort konnte man Neger-