Arbeiter, der in den Kieswegen harkt. Ich gehe bis an die Gitter- thür, öffne und trete ein. Da... ein Knurren und Bellen von der Veranda... zwischen den Blumen wird ein viereckiger Graukopf sichtbar mit einem roten Gesicht, einer dicken Nase und einer unge- Heuren Meerschaumpfeife im Mund«. Ohne die Pfeife aus dem Munde zu nehmen, knurrt er:.Na, was is'n da?" Ich erwidere:„Guten Morgen, Herr. Ich gestatte mir, Ihnen ein Wahlflugblatt zu überreichen." „So? Na, zeigen Se mal." Er wirft einen Blick darauf. „Quatsch I" schreit er und wirft das Blatt hin. „Na, entschuldigen Sie nur, Herr," sage ich und will gehen. „Sie, komm' Se mal..." ruft er mich zurück. „Sie wünschen, Herr?" Er ist heruntergekommen und stellt sich vor mich hin:„Nu sagen Se mal, wat kriegen Se denn dafor, dat Sie schon in aller Herrjotts- frühe mit die Wische rumrennen?" „Nichts..." sage ich.„Das thue ich aus Ueberzeugung und die Gewißheit des Erfolges ist mir hoher Lohn." „So, so," meint er.„Sie sind wohl'n Jdealiste? So sehen Se ooch aus." Und mit einem malitiösen Schmunzeln und einer Stimme, die aus seinem Bauche zu kommen scheint:„Sie sind doch wohl bedürftig?!" Ach, dieser Bauch, dieser herrlich gerundete, hervorragende, quabblige Bauch!... Wehmütig blicke ich auf mein Minimum und antworte seufzend:„Ja, Herr, wir Menschen sind arm! Dem einen fehlt's in der Tasche, dem andern im Kopf. Die leeren Taschen, die können wir nicht füllen, aber die leeren Köpfe..." „Na, geh'n Se man schon!" schreit er. „Darf ich nicht dem Arbeiter dort..." „Raus!" brüllt er und macht eine Handbewegung. Der Hund, diese mißverstehend, springt auf mich los. Er hätte mich erwischt, wenn nicht der Arbeiter, der inzwischen näher getreten, ihn mit der Harke abgewehrt hätte. Inzwischen bin ich draußen und die Thür zu, das Hundevieh macht verzweifelte Sprünge, um über das Gitter und an meine Waden zu kommen. Aber es ist zu hoch.„Kusch, Hektar" und„Dämlicher Kerl" sagt der Graukopf und geht auf die Veranda. Ich ziehe höflich meinen Hut:„Adieu, Herr!" Dann gehe ich langsam weiter, winke dem Arbeiter, stecke ihm ein Blatt zu... der zeigt lachend nach der Veranda... Ich bin jetzt am Ende des Dorfes, bei den Arbeiterhäusern. Viel Elend finde ich, aber auch viel Verständnis für meine Mission. Das letzte Haus macht einen freundlicheren Eindruck wie die andern. Ich trete ein. Auf dem Hausflur treffe ich einen großen hübschen Mann, der mir die Hand reicht und mich mit einem sonnenhellen Blick anschaut. O, ich kenne diesen Blick! Wir verstehen uns! Er führt mich in die Stube zu seinen alten Eltern. Auf dem Tische Blumen, Geschenke und Kuchen. Geburtstag. Geburtstag des jungen Mannes, der heute 25 Jahre alt ist. Mit Stolz hat er mir's erzählt, mit Stolz, weil er am nächsten Wahltage zum erstenmal sein höchstes Recht ausüben wird. Nachdem er mir einen Geburts- tagstrunk kredenzt, spricht er in edler Begeisterung von unsrem Fort- schritt, von unsren Zielen, von unsrem Sieg. Die Eltern blicken auf ihren Jungen voll fast ehrfurchtsvoller Liebe, und der Alte meint: >Ja, ja, Ihr Jungen seid halt anders, wie wir Alten." Jetzt habe ich Gelegenheit, den alten Vater zu betrachten. Krumm gebogen ist sein Rücken, die Hände hart und rissig, das Gesicht voller Falten und verwittert, doch die blauen Augen voll heiteren Glanz und Lebenslust. Der hat sich wohl ehrlich geplagt sein Lebtag. „Sie müssen wohl schwer arbeiten?" frage ich ihn. „Dat ja," meint er.„Steinekarren drüben auf der Ziegelei." Steinckarren I Welch' schwere, schwere Arbeit!„Wie alt sind Sie denn/ Vater?" frage ich. „Bald 64." sagt er. „Und da halten Sie das noch aus?" „Ja, dat geht schon noch." lacht er fröhlich.„Mein Jung' hat's ja besser, der is Maurer . Der arbeit' drüben in der Stadt." Ich kann mich nicht satt sehen an den beiden. Der 64jährige Alte,„der dat noch kann" und der Junge mit dem selbstbewußten Stolz des Staatsbürgers, der seine Pflicht erfüllt. Das ist unbesieg- bare Kraft! Ein prächtiges Paar. Doch ich muh mich verahschieden, ich habe heute noch mehr zu thun. Ich beglückwünsche die Mutter zu ihrem Jungen und drücke dem Alten die Hand. Ich möchte sie küssen, diese harte, diese nützliche Hand! Der Sohn begleitet mich noch ein Stück Weges. Nachdem wir über mancherlei gesprochen, nehmen wir Abschied von einander. Er geht ins Dorf zurück, ich den Weg, den ich gekommen. Bald habe ich den Kanalbau erreicht. Ich blicke hinüber. Da sitzt er noch, der apathische Mann auf dem Karren. Aber zwei andre sind noch bei ihm. Jetzt sehen sie mich. Sie sprechen zusammen. Ein freudiger Gruß tönt herüber. Der eine zeigt auf das Flugblatt und hebt die Hand wie zum Schwur... Von ferne Glockengeläut. Sie läuten Pfingsten ein.—■ Kleines feuületon* — Die„Altgcscllenwahl" unter den Berliner Dienstmädchen Wurde noch vor etwa 66 Jahren an jedem zweiten Pfingsttage ge- feiert. Zu Hunderten sah man am Nachmittag dieses Tages festlich geputzte Dienstmädchen und Handwerksgesellen nach Moabit hinaus« ziehen. Lustig ging es dort her. Hier tummelte sich, schreiht die „Tägliche Rundschau", das junge Volk nach Herzenslust, und Spiele, wie„Fuchs, du hast die Gans gestohlen" usw. waren an der Tagesordnung. Die Zahl der Besucher belief sich manchmal auf die für die damalige Zeit sehr beträchtliche Höhe von 26 666 Personen. Sobald nun am zweiten Pfingstfeiertage die„Alt- gesellenwahl" beginnen sollte, stellten sich die Dienstmädchen unter den Bäumen in einer langen Reihe auf; ihnen gegenüber postierten sich die Gesellen und berieten, welche von den Schönen für die Würde des Altgesellen auserkoren werden sollte. War die Wahl ge- troffen, so wurde die Erwählte von den Gesellen aus dem Kreise ihrer Gefährtinnen herausgeholt, mit einer Blunlenkrone geschmückt, unter Trompetengeschmetter zu Höfer— so hieß damals das größte Moabiter Vergnügungslokal— geführt und hier feierlich zum„Alt- gesellen" für das nächste Jahr ernannt. Tanz und allerlei Spiele im Freien schlössen das Fest.— k. Wie das Leben auf der Vulkanasche beginnt, zeigt eine Be- obachtung der Verhältnisse auf derJnsel Krakatoa . Der vulkanische Ausbruch im Jahre 1383 zerstörte dort alles tierische Leben und alles Pflanzenleben, und die Botaniker hatten Gelegenheit, zu beobachten, wie das Pflanzenleben allmählich von neuem beginnt. Die ersten Beobachtungen wurden 1886 gemacht. Mikroskopische Algen, die die Oberfläche mit einer schlammigen Schicht bedeckt hatten, zersetzten den Bimsstein, die Lava und Asche zu einer unterliegenden Schicht, die für andre Pflanzen geeignet war; etwa ein Dutzend Arten Farne waren schon reichlich vorhanden und daneben einige Einzelexemplare von fünfzehn blühenden Pflanzen. 1897 wurden nicht mehr Farnen- arten bemerkt, aber im ganzen 62 Arten Zellenpflanzen, darunter 56 blühende Pflanzen, die 21 natürliche Ordnungen vertraten. Es waren acht Korbblütler, sechs Gräser und vier Orchideen vorhanden. Ein dem Wasser naher Gürtel war am reichsten an Arten; jenseits .desselben gab es dichte Dickichte von Schilf und Zuckerrohr, und das dünner bedeckte Innere enthielt haupffächlich Farne. Es schien sicher, daß 66 Proz. der blühenden Pflanzen durch das Meer ein- geführt wurden, 32 Proz. wahrscheinlich vom Winde und die andren möglichenfalls von Vögeln hergetragen wurden.— — Anwendung von Tnbaksaft im Gartenbau. Im Garten wimmelt es jetzt wieder von Ungeziefer. Wiederholt ist man in neuerer Zeit auf die Vernichtung der Insekten durch Tabaksaft zurückgekommen. In der That, die Vernichtung durch schwefelsaures Nikotin bietet außerordentliche Vorteile, sie muß nur in der richtigen Weise geschehen. Die Lösung wird in einer Stärke von 16 Proz. Nikotin hergestellt. Vor der Benutzung nimmt man von dieser Lösung zehn Kubikcentimeter und versetzt die Menge mit einem Liter Wasser, außerdem mit etwas schwarzer Seife und Soda, damit sich die Flüssigkeit an die Pflanzenschädlinge anhängt. Prof. Cornu hat. wie der„Leipziger Zeitung" geschrieben wird, noch ein besonderes Verfahren erprobt, um die Nikotinlösung zur Vertilgung von In- selten in Treibhäusern zu verwerten. Er erhitzt auf einem Herde Eisenstangen bis zur Rotglut, bringt sie dann bis zu den Pflanzen und begießt sie an den glühenden Enden mit Tabaksaft. Dieser verwandelt sich sofort in Dampf, der als dunkle Wolke aufsteigt und auf die Pflanzen niederfällt, wodurch die Insekten mit großer Schnelligkeit getötet werden. Eine schädliche Wirkung auf die Pflanzen ist dabei erfahrungsgemäß nicht zu fürchten.— Musik. „Jetzt schneid' ich das Ueberbrettl schon dreimal ab, und noch immer ist mir's zu kurz!" In dieser Weise scheinen die Teilnehmer des lleberbrettls die bekannte Weisheit eines Bauern auf ihre Sache anzuwenden. Kurz: es ist versucht worden, die„Lebenden Lieder" vom Vorjahre, oder wie sie eben hießen, in neuer Weise brauchbar zu machen. Die Sache heißt jetzt:„Liederspiele und Idyllen im L i e d e rs p ie I h au s des Neuen König- lichen Operntheaters(Kroll). Direktion: Karl Jahnke." Laut einer gewaltigen ästhetischen Programm- Einleitung soll nicht dramatisierte Lyrik gegeben werden, sondern — usw. Nun scheint es uns zuvörderst am besten, nicht zu viel zu grübeln, sondern ab und zu, wenn gute Mittel vorhanden sind, schlechtweg etwas zu wagen, dessen Mißerfolg nicht gleich eine Katastrophe bedeutet. Goethes„Epiphanias" wurde am Drei- königsabend 1761 von dreien vorgetragen. Mehr als einen ge- legentlichen Scherz soll man darinnen freilich nicht sehen. Aus die Dauer wird das Agieren von Personen um eines kleinen Vers- stückchens willen immer unnatürlicher, zumal wenn das Material an sich schon so viel Minderes enthält, daß es nicht auch fähig ist, ein falsches Princip zu tragen. Wir besuchten die zweite Vor- stellung. Pfingstsonntag. Die Nachlässigkeit, mit der das Unternehmen sein Publikum behandelt, war da noch durch mündlich angesagte Programmänderungen gesteigert. Unter dem Gestrichenen befand sich gerade H. Wolfs Komposition des„Epiphanias", und das Hinzu- gefügte war nicht genau zu behalten. Von den hier vertretenen Komponisten ragten Ludwig Mendelssohn und etwa noch Richard Krause(mit einem netten Singspiel„Der Teufels- trank") sowie James Roth st ein hervor. Das schlimmste war eine Pantomime mit erklärendem Gesang eines Nicht- spielenden: Titel. Verfasser und Vertaner seien verschwiegen. Als Hauptnummer erschien ein„Tanz- Idyll" von Prinz JoachimAlbrecht. Gern hätten wir ein Hinausschreiten de«
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20 (3.6.1903) 106
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