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würde immer noch Zeit sein, diesen Banditen auf dem Blut- und verheerend ihre Lebensbahn durchbrauft hatte,- und in gerüst zu finden. Stumm und starr hörte dies Frau Karoline. diesen noch nicht erkalteten Schuttmassen fühlte sie schon einen Draußen, auf dem Gehwege der Rue Vivienne, wurde reichen Blumenflor aufkeimen, der in der Sonne sich üppig Frau Karoline von der Milde der Luft überrascht. Es war entfaltete. War auch die Türkische Nationalbank" zugleich sechs Uhr, an einem Himmel von duftiger Reinheit ging die mit der Universelle verkracht, so gediehen die Vereinigten Sonne unter und vergoldete weithin die hohen Aushänge- Dampfer" fröhlich fort. Sie sah die zauberhaft schöne Küste schilder des Boulevards. Dieser in erneuter Jugend so lieb- von Beirut wieder, wo mitten unter den ungeheuzen Lagerliche Aprilhauch durchdrang schmeichelnd ihr ganzes Wesen, häusern die Verwaltungsräume sich erhoben, zu Acher fie in bis tief ins Herz hinein. Sie atmete kräftig auf, befreit von diesem Augenblick den Plan abstäubte. Nun sta.id Marseille dem letzten beklemmenden Drucke, und fühlte sich schon glück vor den Thoren Kleinasiens ; das mittelländische Meer war erlicher in der Empfindung der zurückkehrenden und wachsenden obert, die Völker traten einander näher, vielleicht zu ewigem unverwüstlichen Hoffnung. Jedenfalls hatte sie der herrliche Frieden. Und hatte sie nicht bezüglich dieser Karmelschlucht Tod dieses Träumers, dessen letter Atemzug seinem Traum- auf dem Aquarell, welches sie soeben herunternahm, kürzlich bilde von Gerechtigkeit und Liebe gegolten hatte, jezt so weich durch einen Brief erfahren, daß eine ganze Bevölkerung dort gestimmt. Hatte sie nicht auch einmal den Traum einer vom emporgediehen war? Das zuerst um das neue Bergwerk gefluchwürdigen Uebel des Geldes gesäuberten Menschheit ge- wachsene Dorf von fünfhundert Seelen war jetzt eine Stadt habt? Dazu tam noch das Schmerzgeheul des andren, das mit mehreren tausend Einwohnern, die Gesittung befruchtete Aufschreien der verzweifelnden und blutenden Bruderliebe mit Landstraßen, Fabriken und Schulen diesen toten und öden jenes entsetzlichen Tigers, den sie für herzlos und der Thränen Winkel. Dann kamen die Pläne, Entwürfe und Messungen unfähig gehalten. für die Bahnlinie von Brussa nach Beirut über Angora und Am Boulevard angelangt, wandte sich Frau Karoline Aleppo, eine Reihe großer Blätter, die einzeln zusammengerollt nach links und schritt langsam durch das lebhafte Gewühl. wurden. Sicherlich müßten noch Jahre vergehen, ehe man Vor einem mit Syringen und Levkojen gefüllten Wägelchen die Tauruspässe mit vollem Dampf überschritt. Aber schon blieb sie ein Weilchen stehen. Der starke Duft umfing sie strömte von allen Seiten das Leben heran, der Boden der wie ein Frühlingsgruß. Und wie sie weiter schritt, stieg wie uralten Wiege des Menschengeschlechts barg eine aus einem sprudelnden Quell, den sie vergeblich mit beiden Menschenfaat, in diesem wundervollen Klima und unter dieser Händen zu verstopfen gesucht hätte, der Strom der Freude hellen Sonne mußte der Fortschritt von morgen mit unlangsam in ihr empor. Sie erkannte es und ließ es willig ge- gewöhnlicher Triebkraft emporsprießen. War das nicht das schehen. Nein, nein! die entsetzlichen Unglüdsfälle waren Erwachen einer neuen Welt, einer größeren und glücklicheren noch zu frisch, noch durfte sie nicht fröhlich sein, noch nicht Menschheit?- dem Aufsprudeln der unverwüstlichen Lebenskraft in ihr sich überlassen. Sie bemühte sich also, ihre Trauer festzuhalten und sich durch die vielen grausamen Erinnerungen zur Ver
zweiflung zurückzurufen. Wie? Beinahe hätte sie wieder ge- Auch eine Kaiferin
lacht, und dies nach dem allgemeinen Zusammenbruch, nach einer so grauenvollen Summe von Elend! Vergaß sie denn ihre eigne Mitschuld? Und sie zählte sich die Thatsachen auf, erst diese, dann jene, die sie eigentlich ihr ganzes Leben hindurch hätte beweinen sollen. Aber wie fest sie auch die Hand auf ihr Herz preßte, immer ungestümer sprudelte der Lebensfaft, der Lebensquell strömte über und schwemmte alle im Wege liegenden Trümmer fort, um freier zu rinnen, klar und siegreich im Sonnenschein.
Nunmehr gab sich Frau Karoline besiegt; der unwiderstehlichen Gewalt des Stromes ewiger Verjüngung mußte sie sich überlassen. Wie sie zuweilen lachend sagte: fie fonnte nicht traurig sein. Die Probe war gemacht, soeben erst war fie tief im Abgrund der Verzweiflung gewesen, und jetzt war die Hoffnung neu erstanden, blutend und zerschlagen zwar, aber zähe und lebenskräftig, von Minute zu Minute erstarfend. Freilich waren alle ihre Illusionen zerronnen, das Leben schien ihr entschieden ungerecht und unflätig, wie die Natur. Wozu also diese unvernünftige Liebe zum Leben, dieses Sehnen und Trachten nach seinem fernen, unbekannten und nie erreichten Ziel, wie ein Kind, dem man ein immer aufgeschobenes Vergnügen in Aussicht stellt?
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Beim Einbiegen in die Rue de la Chaussée- d'Antin ließ Frau Karoline von jeglicher Vernünftelei ab: die gelehrte und belesene Denkerin gab den Kampf auf; des fruchtlosen Grübelns nach den Ursachen müde, wollte sie nur noch ein glückliches Geschöpf unter dem heiteren Simmel und in der milden Luft sein, mit dem einzigen Genuß des Bewußtseins ihrer Gesundheit, wenn der Schritt ihrer fräftigen Füßchen auf dem Asphalt erklang. O, die Freude am Dasein! Giebt es überhaupt eine andre Freude? Die Freude am Leben, wie es ist, mit seiner Triebkraft, seiner Verworfenheit und seinem immerwährenden Hoffen!
neue
( Nachdrud verboten.)
von Gottes Gnaden.
In diesem Jahre feiert St. Petersburg sein zweihundertjähriges Bestehen. Die neue Hauptstadt ward durch ihren Gründer Zar Peter I. darum in möglichster Nähe der Weſtgrenze, fern vom Centrum Rußlands angelegt, um die Annäherung des bis dahin mehr als halbasiatischen Moskowiterreichs an die westeuropäische Civilisation zu dokumentieren und zu fördern. Von da ab datiert darum auch der Eintritt Rußlands ins europäische Staatenkonzert, in dem es bald die erste Geige spielen sollte; von da ab also auch die ebenbürtiges Mitglied der Aufnahme des Barenhauses als europäischen Fürstenfamilien, in deren internationaler Heiratshestandskandidaten figurieren. Zunächst waren da allerdings einige geschichte russische Großfürsten bekanntlich bis heute als geschätzte widerstände zu überwinden in Gestalt von aristokratischen Vorurteilen. Im hochwohlweisen Rat der ahnenstolzen Fürstenhäuser von Westeuropa ward nämlich Anstoß genommen an der Herkunft und dem Vorleben der Person, die seit nun ebenfalls zweihundert Jahren Peters I., wenn auch nicht sofort Ehegattin, so doch Lebensgefährtin war: der Zarin Katharina I .
Die hohe Dame war freilich nicht von allzu hoher Abftammung. Im Gegenteil war ihre Herkunft so dunkel, daß fie noch heute in fast undurchdringliches Dunkel gehüllt ist. Als sicher festgestellt kann nur so viel gelten, daß sie die unehe liche Tochter eines esthländischen Leibeigenen war. Ein Pastor Namens Görk zog sie in seinem Hause auf, und sie ward dann mit einem schwedischen Dragoner verheiratet. Da nun, in den Anfängen des nordischen Krieges, erstürmten die Russen 1702 die Festung Marienburg, wo die junge Frau sich aufhielt. Sie fiel in die Hände der Moskowiter und wurde von dem russischen General Scheremeteff als gute Beute in leibeigenen Besitz genommen. Das Vergnügen währte aber nicht lange. Zu seinem nicht geringen Verdruß mußte Scheremeteff auf gut Russisch Feinsliebchen nach kurzer Zeit an einen höheren Vorgesetzten, den Feldmarschall Menschtschikoff, abtreten. Auch der hatte sich noch nicht lange mit ihr verlustiert, als ein noch Höherer Gefallen an dem reizenden Weibe fand. Eines schönen In die Wohnung der Rue Saint- Lazare zurückgekehrt, Tages im Jahre 1703 erschien Bar Beter selber zu Besuch im Hauſe Menschtschikoffs, sah Katharina und verliebte sich stante pede in fie. aus welcher sie am nächstfolgenden Tage scheiden sollte, pacte Sturz darauf nahm Beter fie dauernd an sich und ist ihr bis an sein Frau Karoline ihre Koffer zu Ende. Bei ihrem Rundgang Ende treu geblieben, wenn man von öfteren Techtelmechteln abfieht. durch den schon ausgeräumten Zeichnungssaal wurde sie der Zu seiner„ legitimen" Gattin hat er sie übrigens erst 1712, nachdem Pläne und Aquarelle auf den Wänden ansichtig. Sie hatte sie ihm mehrere Kinder geboren, ohne Pfaffenfegen, fraft eigner sich vorgenommen, diese im letzten Augenblick in eine einzige Machtvollkommenheit erhoben; den 7. Mai 1724 schließlich ließ er Rolle zusammenzubinden. Träumend verweilte sie vor jedem fie feierlich zur Kaiferin frönen. Blatte, ehe fie die vier Nägel an den Ecken herausnahm. Sie Den exklusiven Hofgesellschaften Versailler Musters war natürlich lebte wieder der Erinnerung an die fernen Tage der Reisen der Gedanke schier unfaßbar, die ehemalige Leibeigene als Gattin des Baren aller Reußen ehren zu sollen, anstatt daß sie seine im Orient, in diesem heißgeliebten Lande, dessen strahlender Maitresse gewesen wäre, wie die hofifchen Anstandsbegriffe verlangt Glanz in ihrem Herzen verwahrt zu sein schien. Auch die hätten. Sie mußten aber bald in den fauren Apfel beißen und zulegt in Paris verlebten fünf Jahre zogen an ihrem Geiste Katharinen Reverenz erweisen. Im Jahre 1716 nahm Peter seine vorüber, diese Heze Tag für Tag, diese wahnsinnige Haft, Frau mit auf Reisen und präsentierte sie denn auch am Berliner diese ungeheuerliche Windsbraut von Millionen, die verwüstend Königshof. Ueber den Eindruck, den der hohe Besuch