Kopf gegen ihre Knie und stammelte nur immer das eine Wort:Mutter, Mutter, Mutter!" Er nahm ihre mageren Hände in die seinen und be- deckte sie mit Küssen und Thränen und drückte sie und hieit sie fest und ließ sie nicht los bis er fühlte, daß sie kalt und immer kälter wurden! Da schwanden ihm zum zweitenmal die Sinne. Als er endlich wieder zu sich kam, fand er sich auf dem Sofa liegend und vor ihm, zu seinen Häupten, saß seine schöne Pflegerin und strich ihm leise durch das wirre Haar. Thyra!" seufzte er, wie aus einem seligen Traum von Liebe erwachend. Sie drückt ihm die Hand, und auch cnis ihren Augen rannen Thränen, als sie zurückslüsterte:Mein Bruder, ach! wir wollen uns nun sehr lieb haben!" Du weißt..?" Ja, Vater hat mir alles gesagt."-- In einer schmalen Thalspalte, wo es vor den Winden geschützt lag, hatte Kapitän Mortensen sich ein bescheidenes Gärtchen angelegt. Dort begruben sie Tante Petra am dritten Tage nach ihrem Hinscheiden. Noch war die Verbindung mit dem Festlande nicht herzustellen und ein Sarg daher nicht zu beschaffen. So hatten sie denn die Leiche auf ein Brett ge- bunden und den Dannebrog, die fröhliche Flagge Dännemarks, das weiße Friedenskreuz auf lustigem Grunde, darüber ge- breitet. Kein Priester konnte die Leiche einsegnen zur ewigen Ruhe; ein stummes Gebet und ein paar Thränen der weiter- harten Männer, die da entblößten Hauptes, während der rauhe Nordost sie in den Haaren zauste, an der frischen Grube standen, das war die ganze Feier. Thyra war bei dem Bruder, der von der heftigen Aufregung wieder einen leichten Fieberanfall bekommen hatte, im Hause zurückgeblieben. Ob sie mich wohl wiedererkannt hat? Ob sie wohl wußte, daß sie in den Armen ihres Sohnes gelegen hat, ehe der Herzschlag ihrem umnachteten Dasein ein Ende machte?" Mit solchen Fragen quälte sich Ole auf seinem Kranken- lager herum. Wer konnte das wissen! Aber als das Eis wirklich geschmolzen und das erste Boot vom Festlande nach Hjelm herübergekommen war. da war auch Ole Thorsten endlich über den Berg und auf bestem Wege, seine Jugendkraft wieder voll zurückzugewinnen. Eines schönen Tages, als gerade Ole Thorsten dem alten Kapitän Mortensen auf der Station Gesellschaft leistete, fing der Alte ein wenig zaghaft zu fragen an, wie er denn damals darauf verfallen sei, jenes Wiegenlied in dem wunder- lichen Dialekt zu singen. Und Ole erwiderte:Du hattest mir doch erzählt, Vater" er nannte ihn als Thyras Bruder nun gleichfalls VaterDu hattest mir doch erzählt, daß Tante Petra nur noch für Musik eine Empfänglichkeit und auch ein ganz merk- würdiges Gedächtnis zeige. Und so kam ich auf den Ge- danke, daß ihr vielleicht die Erinnerung an meine ersten Kinderjahre wiederkehren möchte, wenn ich ihr das alte dumme Liedchen sänge. Meine Mutter war von der Insel Bomholm gebürtig und hatte eine Magd von dort mit nach Island gebracht. Die lebt heute noch und steht bei meinem Oheim Gudleif im Dienst. Sie hat mich gewartet, als die Mutter- damals vor zwanzig Jahren mit dem Vater auf die große Reise ging, von der sie nicht wieder heimkommen sollten. Sie hatten höchstens ein Jahr ausbleiben wollen und darum mich dort gelassen, denn ich war schon sechs Jahre alt und sollte nun bald zur Schule gehen, deshalb' wollten sie mich wohl nicht der Gefahr aussetzen; auch darum nicht, weil ich ja der einzige Thorsten war. Denn Gudleif Thorsten, der um zehn Jahre älter war als mein Vater, rechnete auf keinen Sohn mehr, weil er doch schon an die fünfzehn Jahre ver- heiratet war ohne allen Kindersegen. Darum war seine Frau auch auf meine Mutter so neidisch, daß sie ihr kaum das liebe Leben gönnen mochte, besonders auch noch deshalb, weil sie so hübsch war, wie in unserem rauhen Lande fast nie ein Weibchen zu sehen ist. Mutter war auch schwach und bleich geworden in der langen Winternacht dort oben, und die Reise nach den Sonnenländern sollle ihr wieder aufhelfen, denn mein Vater wollte nach Spanien und Wein mit heimführen. Sie war eine zarte, kleine Frau und viel zu sanften Gemütes, um ihren Willen durchzusetzen, wenn ein andrer ihr entgegen- stand. Darum war es auch gut, daß sie mit dem Vater reiste, denn ein stilles Leben hätte sie gewiß nicht gehabt mit Tante Hekja allein im Hause! Mich aber hätte auch der Oheim durchaus nicht mitreisen lassen, selbst wenn meine Eltern es gewollt hätten: denn das stand schon damals fest, daß ich sein Erbe werden sollte, wenn an seinem Weibe nicht noch ein Wunder geschah. Und deswegen nahm er sich auch das Recht heraus, über mein Leben mit zu bestimmen meinte auch, ich hätte es nötig, daheim zu bleiben im rauhen Lande- und unter seiner �ucht, damit ich hart würde! Ach, was habe ich nicht alles hören und erttagen müssen, von Tante Hekja be­sonders, darum, daß ich meiner Mutter weiches Gemüt geerbt hatte! Die alte Bornholmsche Magd war die einzige, der ich ganz recht war, so, wie ich nun einmal beschaffen, und die mir von meiner sanften schönen Mutter erzählte, wenn ich so traurig und voll Herzeusgram zu ihr gelaufen kam, um mich auszuheulen. Sie hat mich auch alle die Lieder gelehrt, die Mutter an meiner Wiege gesungen hatte und das Visseliroa mit lillja Barn", das soll ihr Lieblingslied ge- Wesen sein darum fiel, mir das auch zuerst ein.Thyra" hieß meine Mutter auch, und nach ihr hatte Pater sein Schiff getauft. Es konnte ja immerhin noch mehr Schiffe des Namens geben; aber das Lied in der eignen Bornholmschen Sprache, wenn sie das noch kannte, die arme Frau in ihrem Irrsinn, dann mußte sie es sein! Dann konnte ich doch nicht mehr zweifeln, meinst Du nicht auch?" Ja, das sollt' ich wohl meinen," versetzte der Alte langsam und bedächtig,das ist nun einmal ganz sicher!" Und dann paffte er einige mächtige Wolken aus seiner Pfeife und fuhr abgewendeten Blickes fort:Na, es hilft jetzt doch nichts mehr, und ich bin Tir's schuldig, Ole, daß ich Dir's gestehe: das Bornholmsche Liedchen hatte ich schon oft von ihr gehört, damals in den ersten Jahren, ehe sie so ganz einschlief und für alles abstarb. Sie lief gar oft so in der Stube herum und that als ob sie einen Säugling auf den Armen wiege, gerade so wie in ihrer letzten Stunde. Aber die kleine Thyra hat sie nie so genommen und gewartet es war, als ob sie gar nicht mehr wüßte, daß das ihr Kind sei! Sie hat wohl immer nur an Dich gedacht, Ole, wenn sie auch nicht vernünftig antworten konnte, wenn man sie um die Vergangenheit fragte. Und, weißt Tu, Ole, was ich Dir gestehen wollte: der Sing- sang und die Bornholmsche Sprache ich hielt's erst für Schwedisch, aber ein Kamerad, der's einmal hörte, sagte mir, daß es Bornholmisch sei das hätte wohl einen Anhaltspunkt für neue Nachforschungen gegeben; denn es wären gewiß Leute in Bornholm gewesen, die sie gekannt hätten nach einer ge- nauen Beschreibung in den Blättern. Ich war aber so glücklich, daß sich nach dem ersten öffentlichen Aufruf keine Seele um die Frau und das Kind gemeldet hatte, denn nun konnte es ja mein Kind sein und bleiben. Und ich hatte das Würmchen bald so lieb es sollte mir ja alles werden, was ich einst für mein Herz am unrechten Orte gesucht hätte! Ich glaube, ich hätte es nicht verstanden, wenn man mir mein neues Glück und meine fülle Hoffnung wieder geraubt hätte. Und darum that ich das Unrecht, darum gab ich auch verhältnismäßig früh das Seefahren auf und ließ mich auf den einsamsten Leuchtturm im Königreiche setzen, ehe ich hierherkam, wo man doch schon nicht mehr so ganz aus der Welt ist. Willst Du mir das vergeben, mein Junge?"' Ole Thorsten drückte die dargebotene Hand fest in der seinen und versetzte in tiefer Bewegung:Da ist nichts zu vergeben, Vater, Du hast es damit nur gut gemacht; denn Du mußt wissen, was mir dann später'mal, als die schlimme Tante Hekja schon längst begraben war, die alte Magd erzählt hat: da Tante nun einmal gegen Gudleif Thorstens ernsten Willen nichts ausrichten konnte, so wollte sie doch wenigstens etwas von dem schönen Erbe ihrer Familie zu gute kommen lassen und hatte es mit ihren Leuten abgekartet, daß ich später 'mal ein Kind ihrer Schwester heiraten müßte. Nun, daraus wäre freilich nichts geworden, denn ich konnte das Mädel nachher gar nicht leiden, und außerdem ging es auch noch vor ein paar Jähren mit einem Norweger davon haha!- Daß ich noch eine Schwester bekommen hatte, das haben wir nie erfahren, wir da oben, es wäre auch wohl der Tante Hekja sehr zuwider gewesen, wenn sie's hätte erleben müssen, daß noch eins von der fremden Brut sich bei ihr im Hause ein- genistet hätte! Und so wie ich sie kenne, sollte mich's auch wahrhaftig nicht wunder nehmen, wenn sie es mit Gewalt hintertrieben hätte, falls der Alte etwa von den Geretteten der Thyra" doch was zu wissen bekommen und Lust verspürt hätte, die kranke Schwägerin und die kleine Nichte zu sich zu holen. So erklärt sich's ja auch am leichtesten, daß damals auf den Aufruf gar keine Antwort kam." Hör', Ole..." begann der Feuermeister nach längerem Schweigen mit leicht bebender Stimme.Wenn Du jetzt heimfährst, wirst Du die Schwester mitnehmen?" Ehe er antworten konnte, trat Thyra selbst in das enge Wachtstübchen herein und meldete sich fröhlich zur Ablösung.