Nntsrhaltungsblatt des vorwärts Nr. 122. Donnersra�, OK CX- MM. 1903 7] ßöle JVIächtc. Roman von Jonas L i e. IV. (Nachdruck verboten.) Am folgenden Tage saß Klaus auf dem Comptoir des Direktors in der Strandstraße. Die Nachmittagssonne fiel schräg über das grüne, geräumige Pult und auf die Wand- karte mit allen den roten, gelben imd blauen Linien� welche die Dampfschiffsrouten bezeichneten. Er hatte das Hauptbuch auf die Kante gestellt, um sich Schatten gegen die Nachmittagssonne zu verschaffen, während er ein paar Seeschadenberechnungen durchsah, die ihm der Vater hingelegt hatte, ehe er auf die Sparkasse ging. Er stieß einen zornigen Ausruf aus,— wie dieses grelle, scharfe Frühlingslicht blendete!— jetzt war es das dritte Mal, daß er diese lange Addition wieder von vorne beginnen mußte! Er ging hin und tauchte das Handtuch in die Wasch- schale und hielt es gegen seine Stirn;— diese Operation hatte er heute schon mehrmals ausgeführt, hatte auch den Kopf ganz ins Waschbecken hineingesteckt. En unschlüssiger Blick fiel auf die Pfeife, deren Mund- stück aus dem Tabaksbecher hervorguckte, bis er zögernd heran- trat und stehen blieb und Tabak hineinstopfte. Eine Er- innerung an etwas Amüsantes tauchte gleichsam in seinem matten Lächeln auf.----— „Ach was,— Tabak,"— er ließ die Pfeife wieder in die Dose fallen. Wenn nur der Vater nicht Wind bekam von der Sache da draußen gestern abend-- fing er erst an, so etwas schief anzusehen, dann,— Prost Mahlzeit!— Das war kein Vergnügen!--„Die Jugend soll sich ja amüsieren," äffte er im Tone des Vaters nach. Er machte sich wieder an die Berechnung, da, wo er stehen geblieben war.-- „Zun? Teufel auch, es war, als schlüge er einen gerade auf den Schädel, dieser Bursche, der das Eis dort im Thorweg aufklopfte."— Jetzt war da wieder jemand an der Thür!— die Sonn­abendszeitung fiel in den Briefkasten hinein. Er setzte sich auf den Comptoirstuhl de? VaterS, um sie zu lesen, das eine Bein herabbaumelnd, den Rücken gegen das Pult gelehnt. --„Den steilen, glatten Kirchenhügel sich mit Gottes Mondschein begnügen lassen, aber die Prügeleien der Schiffer beleuchten."— Die Schraube unter dem Ledersitz knirschte infolge eines beistimmenden Ruckes.■ t „Der Sauferei und dem Skandal die Fackel halten und ehrbare Leute im Finstern tappen lassen."--- „Hi, hi, hi"— er zupfte mit den Fingern an dem Hals- kragen, der zu eng wurde.--„Jetzt hatte, weiß Gott  , die Schlacht begonnen! Der Artikel war nicht übel! Redakteur Tröan versteht es, ihnen einen zu versetzen!" Er faltete die Zeitung sorgfältig zusammen und legte sie auf das Pult des Vaters, öffnete das Fenster und schaute hinaus. Da kam Agent Thesen, die Zeitung guckte ihm aus der Tasche, er focht mit der Cigarre in der Luft und hielt Rechts- anwalt Garder einen Vortrag mit seinem selbstbewußten Lächeln: „Ich halte mich an das Eine„ Einfache, Einleuchtende,"— hörte er ihn unter dem Fenster wiederholen—„den steilen, glatten Kirchcnhügel."— „Weiß Gott, der Vater hat schließlich doch recht, wenn man die Sache richtig erwägt," nickte Klaus; er hatte es nötig, seine etwas schwankende Ueberzeugung hin und wieder ein wenig zu befestigen. „Ha!— Herrlich, die frische Luft einzuatmen!"--_ Er schloß das Fenster und machte sich wieder an die Arbeit. Die letzte Rechnung war abgeschlossen, als der Vater die Thür öffnete. t-j- 5 eirt u leSte c*u Bündel Papiere vor sich auf das Pult,— nahm ganz wie sonst den Schlüssel aus der Tasche, öffnete das Pult und wühlte zwischen den Papieren. den Deckel mit den Kopfe stützend. Da war keine Spur von einem unangenehmen Wissen zu bemerken!— Er wollte gewiß wieder fort, da er den Rock nicht abgelegt hatte, nur die Mütze.-- Er nahm die Zeitung, sein Blick verweilte einen Augenblick bei dem Artikel, — er mußte ihn bereits gelesen haben,— und steckte sie dann in die Brusttasche.— Ja, er wollte wieder fort. Der Direktor ging ein paarmal pfeifend durch das Zimmer, setzte sich dann auf das Ledersofa und spielte mit dem Schlüsselbund. � Klaus fühlte, daß sein eines Auge, das linke, von der seite nach ihm hinüber schielte, gleichsam aus einem Hinterhalt. Es fing an, schwül zu werden. „Was für ein Leben hast Du denn eigentlich gestern abend aufgeführt, Du? Es ist c�n ganz'stadtbekannter Skandal!" „Skandal? Wer untersteht sich zu sagen, daß ich Skandal gemacht habe?" wagte Klaus. Er mußte das Terrain aus- kundschaften, um zu erfahren, wieviel der Vater im Grunde wußte. „Konimst Du nun mit Schleichzügen und Ausflüchten, Junge!" brauste der Direktor auf, fo daß die Pockennarben hervortraten.„Reinen Bescheid will ich haben!" „Ich sagte nur, daß nicht gerade ich es gewesen bin, der—" „Nicht gerade Du! Hör' einmal, Klaus, ich verlange, daß Du mir reinen Wein einschenkst! Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß, wenn ich mich an meinen Sohn wende, ich mich an der Quelle befinde, wo ich authentischen Bescheid bekommen werde." „Ich wußte wirklich nicht, daß ich so ein Bruder Lieder- lich bin!" fuhr Klaus hitzig auf, sich förmlich auf dem Stuhl bäumend. „Ich glaube, Du erlaubst es Dir, unhöflich zu antworten. Nimm Dir das nicht heraus!" Klaus duckte den Kopf ganz in das Pult hinab; die Haltung seines Rückens zeugte von Trotz und unter- drücktet Wut. „Während andre junge Leute im Schweiße ihres An- gesichts arbeiten, um es zu etwas zu bringen, besudelst Du nur Deinen und Deines Vaters Namen nach besten Kräften." „Wenn Du das sagst, so—" kam es gleich einem Geheul zwischen den zusammengebissenen Zähnen heraus. „Ha!" Er beugte sich mit einem unterdrückten Laut tief über das Pult. „Und dann ist es gerade ein recht günstiger Augenblick, um Skandal zu machen," fuhr der Direktor höhnend fort, „gerade jetzt, wo Dein Vater in offener Fehde mit dem Polizei- direktor begriffen ist. Er wirft mir natürlich meinen eignen Sohn an den Kopf!" „Die Polizei hat nicht das geringste mit der Sache zu thun, falls Du nicht selber hingehen und es erzählen willst. Abraham hat dafür gesorgt." „Abraham Johnston? War der mit dabei?" Es entstand eine Pause, während welcher nur das Schlüsselbund an dem Zeigefinger klirrte. „So— o, zieht Ihr den nun auch mit Euch?" „Abraham?— Er hat mich vielmehr mitgezogen." Klaus schäumte vor Wut.—„Er soll stets so ein Muster- bild sein!" „Wie. bummelt der auch?" „Das habe ich nicht gesagt! aber er ist doch mindestens viermal so oft des Abends ans als ich." „Nun kann man denn wohl endlich den Zusammenhang erfahren? Heraus damit. Junge! Du bist jetzt ein viel zu langer Bursche, um das nicht vertreten zu können, was Du thust. Nun— also?" Der Ausdruck des Direktors hatte sich bedeutend be- sänftigt, was nicht rinbeachtet geblieben war. „Drei von den Schülern der obersten Klasse und Hand- lungsdiener Lund   und Steuermann Bäkkevold und dann ich und Abraham, wir hielten gestern abend einen kleinen Schmaus."
 
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