Cr streckte plötzlich den sehnigen Arm über den Tisch, ballte die Faust und lehnte sich hintenüber, so daß sein Gesicht zur Decke hinaufsah. Die Verantwortung, ja! Er ließ die Hand fast wie mit einem Schlag auf den Tisch fallen und sprang auf. � Ich glaube, ich bin heute verrückt, vollständig Wahn- sinnig! I ch habe ja den Rat gegeben, das Kommando erteilt. I ch habe die Johnstonschen Wälder verbrannt, habe mich direkt in das abscheulichste Verbrechen hineingestürzt. Möchte doch wissen, wie weit es morgen früh in die Schlucht eingedningen sein würde?—— fing er an zu grübeln. Das Gesicht bekam einen eigenartig versunkenen Doppelausdruck, das eine Auge starrte gleichsam unverwandt in etwas hinein. Plötzlich riß er den Hut vom Tisch und stürzte Zur Thür hinaus. „Ist das Dampfschiff gekommen? Ist Hauptmann 'Helgesen schon gereist?" rief er.„Fahr' zu Gaarder hin, Klaus, schnell� und hol' ihn her.— Ist der Bankdiener da?" rief er in das Hintergebäude hinein,„bitten Sie den Herrn Wege-Jnspektor, zu kommen, aber augenblicklich! Ich habe mir die Sache gründlich überlegt," rief er Gaarder entgegen, der ganz außer Atem hereingestürzt kam.„Die ganze Ge- schichte muß anders gedeichselt werden! Die Schlucht, die zu Johnstons Waldungen führt, muß abgeholzt werden, so schnell wie man nur da hinaufkommen kann! Es müssen Eilboten ausgesandt werden, um sie auf dem Wege anzuhalten, und Finkenhagen muß sofort zum Magistrat hin. Ich selber fahre noch heute nacht hinauf, so daß Hauptmann Helgesen mich treffen kann, und ich schicke Boten nach allen Richtungen hinaus. Es kommt darauf an, daß das Feuer nicht zu weit um sich greift.— Lauf zu Johnston hinüber, Klaus! Dann nehme ich Dich unterwegs mit dem Wagen auf. Erschreck' ihn nicht!— Sag' nur, daß alles geschehen soll, was in Menschenmacht steht!" „Ich sage ganz einfach, er könne ruhig sein� wenn der Vater,"— stürzte Klaus davon. XXII, Der neue Bürgermeister und Polizeidirektor der Stadt hatte draußen auf dem Sägewerk beim Direktor Bratt einen Besuch abgestattet, und prompt am nächsten Vormittag zog der Direktor an der Glocke vor dem Entree des Bürger- Meisters. „Ich hoffe, Sie werden entschuldigen, Herr Direktor, daß ich Sie auf dem Comptoir empfangen muß. Hier sind nur leere Zimmer mit aufgestapeltem Ilmzugsgut, bis in einigen Tagen meine Familie nachkommt. Mein Vorgänger hat mich so� übermäßig getrieben, das Amt sofort anzutreten — haben ötc die Güte. Hier ein bequemer lederner Stuhl! Und eine wirklich gute Cigarre habe ich auch anzubieten. Darf ich bitten?" „Danke bestens! Nun ja, daß Ihr Herr Vorgänger Eile hatte, den Staub von seinen Füßen zu schütteln und diese böse Stadt zu verlassen, kann ja nicht wunder nehmen. Er war selber schuld daran, daß er sich hier nicht gemütlich fühlen konnte— ein kleinlicher, spitzfindiger Jurist,— in all dem unruhigen Matrosen- und Hafenleben hier! Er zog stets den kürzeren." „Ein rechtschaffener Mann und ein guter Kopf," nickte der Bürgermeister ziemlich unbeirrt. „Ach ja, so einer, der stets unter die Räder des Wagens kam, den er lenken sollte. Er war schließlich gründlich über- fahren, wurde nicht gerade allzuviel mehr gefragt!" l Fortsetzung folgt. Ii (Nachdruck verboten.) Vor dem Husnahmcgefetz� Von F r. I. Ehrhart. (Schluß.) In Rücksicht auf den bevorstehenden wochenlangen Aufenthalt hatte ich ein Programm für die Ausfüllung meiner Zeit aufgestellt. Zunächst ging's ans Putzen und Scheuern. Mittags blinkte der Löffel wie Silber, die vorher ekelerregende Waschschüssel war rein und appetitlich, daß sie im Notfalle hätte als Suppenschüssel benutzt werden können. Die Pritsche war kunstgerecht gemacht und auf- geklappt, wie es die Vorschrift forderte. Am folgenden Morgen spazierte ich stolz, meinen„Daniel" höchst eigenhändig tragend, durch den Gang, es widersprach meiner Gesinnung, mich von einem andren Proletarier gerade solch diskreten Dingen bedienen zu lassen. Die letzte Nacht- ckdeckte ich Gesellschaft in meinem Lager; das Parasitenzeng r ,ir blutdürstig, sein letztes Stündlein hatte ge- schlagen. Ge-.e hätte ich ein viertel Liter meines roten Saftes geopfert, wr.n das Getier nur den Staatsanwalt fürderhin gebissen, meinetwee.n gefressen hätte. Die Welt hätte sich auch ohne ihn gedreht Aber das war ausgeschlossen, deshalb mußten sie ver- nichte' werden. Als die Glocke wieder die elfte Stunde schlug, waren sie alle zur Strecke gebracht, das Ricchhorn konnte es bestätigen, es war rein in der Zelle. Die Menage wurde heute in zwei Näpfen verabreicht, der eine war mit„Suppe", der andre mit dem unbeschreiblichen Gemengsel, das in der Gaunersprache Rumfutsch genannt wird, gefüllt. Auf letzterem klotzte ein Fetzen Kuhfleisch, es war nämlich Fleischtag. Beim Abliefern der Gefäße trug ich meinem Schutzengel den Wunsch vor. Lektüre zu erhalten. So weit, meinte er, gingen zwar seine Befugnisse nicht, aber er wollte sehen, was sich thun ließe. Rasch zeigte sich, daß, wo ein Wille ist, sich auch ein Weg findet. Das Holzmacherkonzert war längst wieder im Gange, ich arbeitete in Ermanglung von etwas andcrm an der Verdauung, als plötzlich ganz unerwartet mein weiblicher Kerkermeister in meiner Klause erschien. Er hatte oftenbar ein Anliegen, das mir vorzutragen ihm etwas unbequem zu sein schien. Ich konnte diese Gelegenheit be- nützen, das gütige Wesen zu mustern; die voll hereinflutenden Sonnenstrahlen begünstigten mich dabei. Es war ein allerliebster, gut ausgewachsener, rotbäckiger Backfisch, der etwa 18 Lenze zählen mochte, schöngewachsen, mit bezaubernden Rchaugen. Welche Ursache sollte ich haben, ihm zu zürnen? Nur eine Frage sollte ich ihm beantworten:„Was ist Preßvergehen?" Meine erläuternde Ant- wort schien ihn offensichtlich angenehm zu berühren, denn er, der zuvor noch nie mit politischen Dingen zu thun hatte, ließ durch- blicken, daß er sich so etwas mit Erpressung Verwandtes vorgestellt hatte. Später sollte es ja anders werden, sorgte doch das Socialisten- gesetz in überreichem Maße dafür. Von nun ab war ich in ihren Augen so eine Art Edelspitzbube. Schon ttt wenigen Tagen hatte ich Verbindung mit der Außenwelt. Freunde brachten zwar Bücher und Zeitungen, aber sie wanderten unter Verschluß des Herrn Ver- ivalters, der sie als Gefängnislcktüre nicht geeignet hielt. Mein Schutzengel— es war, wie ich inzwischen erfuhr, des Verwalters Töchterlcin— verstand es bald, die väterliche Censur zu über- springen, solche selbst zu üben, sie hatte ein vernünftiges, weniger engherziges Urteil, sie ließ sogar geistigen Kaviar ruhig passieren. Auch der schon längst so heiß ersehnte„Volksstaat" traf pünktlich ein. Auf den Verwalter machte meine Zelle, und mit ihr auch ich, der Bewohner derselben, den besten Eindruck; es war die properste im ganzen Gefängnis. Das, und vielleicht haben auch noch andre Einflüsse mitgespielt, veranlaßtc ihn, mich nach Nr. IS umzu- quartieren. Das war nämlich die Herrenzelle. Wie in allen andren Strafanstalten, so gab es auch im A Mannheimer Gefängnis zuweilen große, reiche Verbrecher standesgemäß aufzuheben.� Hier wohnte es sich ganz leidlich, der Raum hatte die doppelte Größe als Nr. 22, zwei Betten, einen freistehenden Tisch, zwei Stühle; dieser Komfort ging über meine Ansprüche. Bald wurde auch meine Thür des Tags über nicht mehr geschlossen, wodurch der Daniel überflüssig ward. Die Leidcnsgenossen katzbuckelten vor mir, ohne Beeinträchtigung konnte ich andre Gefangene besuchen. Was man doch alles durch Reinlichkeit erreichen kannl... Die Macht der Verhältnisse brachte es mit sich, daß ich meinem Schutzengel in wachsendem Maße zugethan war, ja. es begann an einer gewissen Stelle im Brustkorb zu krabbeln und zu prickeln, ein eigenartig krankhaftes Gefühl, es äußerte sich in der Dichteritis, die mich befiel. Bei vielen artet dieses Leiden in ein chronisches aus. Meine schlvärmerischen Verse— ich empfand es selbst— waren unter aller Kritik. Das erkannte ich, trotzdem die, der sie gewidmet waren, sie besser censierte. Lange gährte ein Gedanke in mir: dem Ver- Walter selbst wollte ich den Brustlatz öffnen, ihn das verzehrende Feuer, das unter demselben lohte, schauen lassen, ihn anflehen, den Brand zu löschen. Aber jeden Morgen fehlte mir der Mut, den in schlaflosen nächtlichen Stunden gefaßten Plan auszuführen: Schließlich kam es doch dazu, ich fand die ersehnte Audienz, sie dauerte fast eine halbe Stunde. Vernichtet kehrte ich in die Zelle zurück, der Verwalter begleitete mich selbst dahin, schloß höchst eigen- händig die Thür, sogar die Riegel hinter mir. Von nun ab war ich wieder ganz gewöhnlicher Gefangener. Der mir aufgelegte Eis- beute! brachte das arme Herz fast zum Zerspringen, es folgten des- halb recht traurige Tage. Selbst den treuen Pintscher„Phplax", der seit Wochen mein steter Gesellschafter war, den ich dressierte. entzog man mir. Das arme Tier kratzte und heulle die folgenden Tage stundenlang an den eichenen Bohlen, aber wir blieben ge- schieden. Glücklicherweise rückte Fastnacht heran. Für diesen Tag hatte ich mehrfache Besuche zu erwarten. Schon um 9 Uhr morgens stellte sich der erste, die Braut eines Freundes, ein; sie, wie die folgenden, mußte zu ihrem Besuche erst die Erlaubnis des Unter- suchungsrichters erwirken. Als meine Braut wurde sie bereitwilligst eingelassen. Ein Korb voll Kücheln drückte mir den Morgengruß aus. Kaum war sie verschwunden, so stellte sich mit derselben Gabe eine zweite Braut, und gegen Abend sogar eine dritte ein. Der letzteren bemerkte der gestrenge Herr Richter boshaft, daß sie etwas zu spät aufgestanden, daß ihr bereits zwei„Flammen" vorausgeeilt seien, so daß sie sich mit einem recht winzigen Herzfetzen des brummenden Sünders begnügen müßte. Auf ihrer Notlüge ertappt,
Ausgabe
20 (22.7.1903) 141
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten