sein, daS kommt darauf an. Im Auslande würden Sie wie eine junge Offenbarung eines früheren einfacheren Gliedes eines Geschlechts aus den Zeiten einer Urgroßmutter oder Großmutter aufgefaßt werden.-- Da es nun doch einmal wieder zur Sprache gekommen ist, so will ich auch, daß Sie es wissen sollen, Gjertrud. Für mich sind Sie so begehrenswert, wie es keine Frau in der Welt jemals werden kann!" Sie waren beide sehr erregt� Gjertnids Hände, die die Näharbeit hielten, bebten. „Ich nehme Sie vom Nähtisch fort," rief er und ergriff ihre beiden Hände, sie an sich ziehend.„Komm mit mir, Gjertrud, und werde die Frau eines Künstlers!"-- Sie wollten einander nicht loslassen, jubelten zu Frau Vratt hinein, gingen Arm in Arm die Landstraße entlang bis nahe an die Stadt, �während der Mond den Abhang des Hügels beschien und der Strom brauste, und zurück bis an die. Hausthür. „Einen aller— allerletzten, Gjertrud!" „Ja, sagtest Du nicht, von Deiner Urgroßmutter oder Großmutter, Abraham?"-- XXIX. Der Direktor hatte sowohl gestern als auch vorgestern zu Johnston gehen wollen in Veranlassung von Gjertruds Verlobung. Aber Johnston war krank und hielt sich in seinem Schlafzimmer auf, er hatte die schlimmen Kopfschmerzen, die ihn in der letzten Zeit so quälten, die aber in ein paar Tagen vorüberzugehen pflegten. Heute kam ein Eilbote, um den Direktor zu holen. Johnston sei sehr bedenklich erkrankt und verlange sehnsüchtig danach� ihn zu sehen. Daß es hier nicht gut aussah, das erkannte der Direktor sofort an Fräulein Rönnebergs vergrämtem, verweintem Gesicht. „Der Arzt und Abraham halten sich im Krankenzimmer auf," flüsterte sie ihm zu;„sie fürchten, daß er das Bewußt- sein gleich wieder verlieren wird. Der Arzt meint, es müsse ein Blutandrang zum Gehirn stattgefunden haben,— ein Blutgefäß gesprungen sein." Bekümmert trat der Direktor an das Bett, wo das Tageslicht durch einen grünen Bettschirm gedämpft war.— Johnston lag dort auf dem Kissen, das Haar hing ihm zerzaust in feuchten, dünnen Strähnen bis in die Stirn hinein. (Schluß folgt.) (Nachdruck verboten.) Vie biliös. Eines der interessantesten und am wenigsten bekanntesten Völker der Erde sind die Ainos. Sie leben auf der großen südlichen Halb- insel der Insel Sacchalin, an den Msten und an den Ufern der Flüsse. Die Gelehrten sind sich nicht darüber einig, zu welcher Rasse sie die Mnos rechnen sollen. Einige Reisende halten sie für die Autochthonen der Inseln Sacchalin und Deso; andre betrachten sie als die Mitglieder einer großen Familie, die außerdem die primitiven Völker Nordamerikas umfassen würde. Andre rechnen sie zu den Mongolen, wieder andre zu den Koreanern. Der Doktor Kirilov, der lange als offizieller Distriktsarzt auf Sacchaln gelebt, und der mit dem größten Eifer die Ainos studiert hat, läßt sie von Polynesien kommen. Die Meinung von Dr. Kirilov wird von Dr. Boelz be- kämpft, der besonders die Ainos Japans studiert hat. Er ist der Meinung, daß Einfälle Völker derselben Rasse getrennt und die Vor- fahren der Ainos nach Osten zurückgedrängt haben; in einer seiner Broschüren bringt er eigentümliche Porträts von Russen und von Ainos, und mit Ucberraschung sieht man die Aehnlichkeit zwischen ihnen, z. B. zwischen dem Grafen Tolstoj und einem Einwohner Japans . Die Ainos glauben nicht an einen Gott, sondern an Götter: Jede Naturgewalt, die auf sie einstürmt, ohne daß sie sie begreifen, wird Gott oder Teufel genannt, je nachdem sie mehr oder weniger Uebles ihnen zugefügt hat. Gott lebt in dem Räume und nicht in dem Himmel, und er wird assistiert von zahlreichen Neinen Göttern, Unter- aöttcrn und Geistern jeder Art; es giebt außerdem Teufel, die immer bösartig und grausam sind. Sucht man in dieser Hinsicht eine Er- klärung von ihnen zu erlangen, so bemerkt man, daß sie Götter und Teufel durcheinanderwerfen und daß der eine Gott nennt, was für den andren Teufel ist. Nach der Ansicht des Reisenden Labbe sind das Wort und die Idee„Teufel" bei den Ainos neu und wurden ihnen von den Russen überliefert. Sie glauben auch an die Existenz des russischen Gottes, von dem ihnen die Popen erzählen; dieser ist nur eine neue Macht in der ohnehin schon langen Liste ihrer Gottheiten. Die Götter find auf einander sehr eifersüchtig; nicht nur, daß sie mit dem Menschen »hr böses Spiel treiben, streiten unk schlagen sie sich mit einander, und wehe dem armen Aino, der während des Kampfes unter sie gerät. Ter Wind und der Regen sind ebenso erbitterte Feinde als das Meer und der Donner, die Sonne und der Schnee, das Feuer und das Wasser. Die Geister des Feuers selbst hassen sich untereinander, und wenn es in einem und demselben Hause zwei Herde giebt, so darf man nicht Asche oder Kohlen von dem einen in den andren bringen; de« erbittertste Krieg würde unter ihnen ausbrechen. Wenn zwei Götter sich schlagen, so tötet bisweilen der eine den andren. Man darf auch nicht Feuer von dem Herde aus dem Hause hinaustragen. Endlich muß Sommer und Winter das Feuer in dem Herde brennen, ohne zu erlöschen, denn das erlöschende Feuer ist ein sterbender Gott. Wenn sie einschlafen oder ausgehen, bedecken die Ainos das Feuer mit Asche. um am andren Morgen noch einige glühende Kohlen zu finden. Die Ainos sind von ihren Göttern so in Schrecken gejagt, dafj sie jeden Augenblick an sie denken; wenn sie essen, wenn sie trinken. wenn sie rauchen, bekommt jedesmal irgend ein Gott einen Anteil- Auch auf Reisen finden sich zahlreiche Orte, wo Geister leben, die be- gierig nach Geschenken sind. Ebenso giebt es heilige Steine, die man ganz besonders ehren muß. Schließlich bieten sie ihren Göttern so- genannte„Jnaos" an. Das sind bald in Späne endende, bald den primitiven Archen Noahs ähnjiche Holzstücke. Bei jedem wichtigen Ereignisse errichten sie die Jnaos: Es giebt deren in allen Teilen des Hauses, in den Bärenkäfigen, im Nachen, im Schlitten. Bisweilen kennzeichnen Anekdoten am besten die Eigentümlich- keiten eines Volkes. Der schon genannte Labbe kannte einen recht jovialen, großen Aino Namens Puttka. Er trug einen langen, dunklen Bart, und in seinen zerfetzten Kleidern hatte er das Aussehen eines richtigen Räubers. Er war ebenso milde von Gesinnung als wild von Aussehen. Oft besuchte er den Reisenden mit einem älteren Aino Namens Otaka, der der intelligenteste der ganzen Gegend war. Dieser Otaka erzählte mit melancholischer Stimme Legenden und er- klärte den Volksglauben.«Der russische Pope," sagte er,«will mich zu seiner Religion bekehren, und er ist nur der Priester eines falschen Gottes. Er schildert uns seinen Gott als gut, als immer bereit, die Menschen zu schützen und ihnen zu verzeihen. Ein so guter Gott kann nicht existieren, und Ivenn er existierte, so wäre es unnütz, zu ihm zu beten, da er das Böse nicht thun und zulassen könnte. Die Geister sind böse, und sie machen sich ein Vergnügen daraus, uns Leiden zuzufügen. Ost geht eine kleine, arme Ratte aus ihrem Loche nah« dem Lager heraus, und unsre Hunde springen sofort auf sie zu. Sie bellen, und jagen jener durch dieses Bellen Schrecken ein. Sie versperren ihr den Weg, ergreifen sie. spielen mit ihr und lassen sie lange leiden. Siehst Du. die Geister und Götter sind den Hunden ähnlich, und die kleine, arme Ratte ist der unglückliche Aino. den sie nach Gutdünken quälen." Der Reisende fragte Otaka, ob er glaube, daß man durch Bitten die Götter und Geister besänftigen könne.„Nein, das glaube ich nicht," antwortete er,„wenn der Schnee fällt oder das Meer wütet. so weint der in dem Walde umherstreifende oder in seiner Barke um- hergetriebene Aino, und betet, aber der Schnee fährt ruhig fort zu fallen, und das Unwetter wird bisweilen noch stärker. Die Götter verschonen nur diejenigen Menschen, die ihnen Geschenke machen, ihnen zu essen und zu trinken geben. Ein Gebet hat für sie keine Bedeutung." Derselbe Otaka sagte eines Tages:„Der Pope hat mir erzählt, daß wir eine Seele haben, und daß diese Seele später bei Gott wohnen werde. Ich glaube das nicht. Wenn die Toten in einer andren Welt lebten, so würden sie sich noch mit uns beschäftigen. Ich habe einen Sohn gehabt, der jung gestorben ist, und einen Vater, der sehr lange lebte; ich denke oft an sie und erinnere mich ihrer Worte. Wenn sie heute bei Gott wären, so würden sie es mich merken lassen, denn sie liebten mich zu sehr, um mich, ohne Trost zu lassen und mich sa lange weinen zu sehen." Wie die Mehrzahl der Ainos, glaubte Puttka an die Seelenwandcrung. Nach seinen Auseinandersetzungen wird die Seele des Menschen, der einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat, später den Körper eines Tieres höherer Ordnung be- wohnen, d. h. er wird eine Robbe, ein Hund, vielleicht gar ein Bär werden. Otaka ließ unsren Gewährsmann gegen Abend heimlichen Zeugen einer eigentümlichen Scene sein. Ainos eines benachbarten Dorfes waren bei einem heftigen Unwetter auf dem Meere gewesen, und ihre Barke war an einem Riff zerschellt worden. Nach einigen Tagen warf das Meer Trümmer der Barke und zwei Leichen an das Ufer. Man brachte nun das, was den Verstorbenen gehört hatte, an das Meer. und beschloß, den Göttern des Wassers die wichtigsten Gegenstände zu geben, die Lanzen und die Säbel. Einige Männer ergriffen diese und zerbrachen sie. Dann liefen sie unter Geschrei zum Meere. schwangen in ihren Händen die Stücke und schlugen sie gegeneinander; dann stiegen sie in das Meer und warfen die einzelnen Stücke hinein. Frauen wohnten dieser Scene nicht bei; die Ainos stießen weithin schallende Trauerrufe aus. Dann gingen sie schweigend in ihre Wohnungen. Um die Häuser der Ainos befinden sich auf Pfählen errichtete Fischlager, ein Käfig für den Bären und eine lange, horizontale Stange, an der die Hunde befestigt sind. Mehrere Familien wohnen oft unter demselben Dache; 30 Personen leben bisweilen zusammen. und ein solch«5 Lager, daS nur drei Holzhütten umfaßt, hat den- noch 80 Bewohner. Ost giebt es unter ihnen mehrere Besitzer, aber immer einen Herrn. In das Ainohaus tritt man durch eine Art Hütte, die den Vorbau bildet. Es enthält oft zwei Herde und an zwei oder drei Stellen Fenster. Im Hintergrund, der Thür gegen» über, ist der Platz für den stets hoch geachteten Gast, links vom
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20 (30.7.1903) 147
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