Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 149.

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Sonntag, den 2. August.

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1903

Wenn auch keiner von dem eigentlichen Stamm, so doch ( Nachdruck verboten.) ein Ableger davon der Urban Lehner. Sein Großvater hatte auf den Hof geheiratet, welcher dicht neben dem alten Achenbacher- Anwesen lag, und man nannte es bei den beiden nicht anders als bei den Achenbachern dieser Urban Lehner war der Gegenkandidat

Die Achenbacher. Roman von Anton v. Perfall.

I.

Seit Monaten dauerten die Wahlumtriebe in der Ge­meinde Seehamm.

Sie rumorten lärmend in den Wirtshäusern, hemmten die Arbeit in den Werkstätten, schlichen sich in die Spinnstuben, wisperten in den Kirchenstühlen. Sie flangen zwischen den Worten des sonntäglichen Evangeliums hindurch, drängten sich zwischen Mann und Weib, zwischen jugendliche Liebes­

paare.

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Ein­

Man wußte sehr wohl, was ihn, den Bauer von Oster­ hofen  , bewog, sich der Opposition anzuschließen. gefleischter, altererbter Haß gegen seinen Nachbarn, den Achenbacher, der ebenso kräftig gedieh wie seine Ursache, der herrliche Wald, welcher in steilem, weithin sich dehnendem Gehäng den saftigen Hintergrund des Achenbacher- Hofes bildete, das Streitobjekt eines langwierigen, zuletzt zu Gunsten Besizers, ausgefallenen Prozesses. des Dominikus Achenbacher, des Vaters des gegenwärtigen

Der schweigsame, rastlose Schneefall, dieser köstliche Winterfriede, der sich herabsenkte auf das stattliche Dorf, war. der reinste Hohn auf die Leidenschaften, die jetzt unter den Ja, man wußte sehr wohl noch eine weitere triftige Ur­sanften, weißen, jeden Schall dämpfenden Polstern gärten. sache, die allerdings nur eine Folge der ersteren war. Es galt aber auch nicht etwa, ob der oder jener in den Land­Die Achenbacherin, das schöne Burgei vom Stillerhof, tag oder gar in den Reichstag zu den Preußen" gewählt war von Rechts wegen für den Urban Lehner bestimmt, mit werden sollte, ein Ultramontaner, oder ein Liberaler von dem sie lange genug herumgezogen. Da ging der Waldprozeß einem Roten wußte man damals noch nichts in Seehamm, zu Ende. Der alte Rehner war ein verschuldeter, abgehauster darüber ließen sich die Seehammer kein graues Haar wachsen. Mann und sein Sohn zu schlecht für die Stillerbauertochter, Hinum, herum, wie du's drahst, allweil das gleiche, der welche der Achenbacher mit samt dem Wald ihm vor der Nase Bauer zahlt die Bech." Nein, es galt jetzt etwas ganz andres. wegnahm. Schon hart! Und in Osterhofen   verstand man sich Eine uralte Dynastie war im Wanken unter dem Ansturm auf kräftigen Haß; aber so weit darf ein Bauer doch nicht neuer, fremder Elemente, die sich in Zeit von wenig Jahren gehen, mit so einem dahergelaufenen Volk gemeinsame Sach auf dem kräftigen Boden entwickelt hatten. zu machen! Kannte er doch sehr wohl den ersten Schlag, welchen diese Partei führen wollte: die Verlegung des sonn­täglichen Pfarrgottesdienstes aus der alten Osterhofener Klosterkirche in die neue Seehammer. Dann ging es an die Schule, zuletzt wohl an die Toten, die dort seit Jahrhunderten in Frieden ruhten.

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Seehamm, an dem idyllischen Bergsee gelegen, hatte sich in den letzten Jahrzehnten als Fremdenkolonie stark entwickelt. Ein großer Zuzug von Kleingewerbetreibenden, Spekulanten aller Art war die unausbleibliche Folge. Mietshäuser, Gast­höfe, Werkstätten und Krämereien verdrängten immer mehr den grundbesitzenden Bauernstand.

Der stetig wechselnde Spekulationspreis des Bodens, welcher in feinem Verhältnis mehr stand mit dem landwirt­schaftlichen Erträgnis, bestimmte allmählich den Zähesten zum Verkauf und Rückzug in entlegene Thäler. Nur von den Höhen winkte noch behäbiger, ehrwürdiger Besitz.

Anders lagen die Verhältnisse in dem nur einen Rilo­meter entfernt gelegenen, zu der Gemeinde Seehamm gehörigen Dorfe Osterhofen  , gegen welches die Villeggiaturen der Städter sehr bedenklich anrückten.

Hier hauste noch auf zerstreuten, in einem Wald von Obstbäumen begrabenen, stattlichen Gehöften der Großbauer in der ganzen Starrheit seiner Sitten, in dem ganzen Voll­bewußtsein seiner socialen Macht und sah mit ebenso viel Ge­ringschäzung als Unbehagen hinüber auf das aufstrebende, unruhige Seehamm mit seinem bunten Gemisch von daher gelaufenem Volt, seinen nagelneuen Ziegeldächern, lang­weiligen Mietshäusern und ihm schwindelhaft dünkenden Bauten. Seit undenklicher Zeit war denn auch Osterhofen  die politische Macht in der Gemeinde Seehamm, und dies im bestritten, naturnotwendig. Hier lag die Pfarrkirche, ein alter romanischer Bau, hier standen noch die Grundmauern der alten Abtei, welcher weithin alles Land zu cigen war, während die allerdings geräumigere Kirche in Seehamm schon in ihrem stillosen Aeußern ihren Mangel an Geschichte ver­riet. Hier thronten vor allem, nachweisbar seit zwei Jahr­hunderten, die Achenbacher", auf weithin sichtbarem Hof, als Gemeindekönige, an deren erblicher Macht alle Errungen­schaften einer neuen Zeit, alle Autonomie der Gemeinde ebenso wenig rütteln konnten, wie einst der sonst allmächtige Land­richter.

Und jetzt war das alles in Gefahrz die sechsjährige Amts­periode war zu Ende, eine neue Bürgermeisterwahl war aus­geschrieben. Früher war das eine leere Formel gewefen; die Achenbacher waren ja doch noch nicht ausgestorben. Da geschah das Unerhörte, die Seehammer hatten sich zusammen­gethan und stellten einen Gegenkandidaten auf! Diese Häusler, die nichts besaßen als das Dach über sich, die als Handwerksburschen hereingekommen in das Thal, dieses Frettervolk! Aber noch nicht genug, die Schande mußte eine bollständige sein: aus ihrer, der Osterhofener Mitte fand sich der Ueberläufer, den sie als Gegenkandidaten aufstellten ein Bauer! Alles noch nichts- ein Achenbacher selber war's!

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Das Pfarramt, in ständigem Kampf mit den wider­haarigen Osterhofenern, neigte sich längst auf Seite der See­hammer kleinen Leute. Aber was fann man sich da noch wundern! Ein Bauer, der eine armselige Krämerstochter als Ehefrau auf den Hof bringt, von dem ist alles zu erwarten! Und das hat er gethan, der Lehner Urban, dem Alois Kazer, einem abg'hausten Kaufmann, der erst vor einigen Jahren nach Seehamm gekommen ist, seine Tochter. Ein bleich­süchtig's, spind'ldürr's Ladenmädl.- Freilich hat er's grad aus Zorn und Verdruß gethan, der Burgl grad zum Troß. und d'Auswahl hat er grad auch nimmer g'habt mit seinem verschuld't'n Hof. Aber trotz alledem macht man so eine nicht zur Lehnerin am Achenbach, wenn man nur noch ein bißl einer is. Das gebet a Bürgermeisterin, no guate Nacht!

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Die Spannung der beiden Parteien war so weit ge­diehen, beeinträchtigte so sehr Handel und Wandel, daß man nachgerade sich nach der Entscheidung sehnte, so oder so­wenigstens wußte man, wie man daran war.

Und nun war der ersehnte und gefürchtete Tag an­gebrochen.

Ein eignes Gemeindehaus fehlte, weil es unmöglich war, eine Einigung betreffs des Bauplatzes zu erzielen. So wurde die Wahl in dem Saal zur" Post" abgehalten, der ältesten Wirtschaft Seehamms.

Neun Uhr war die festgesetzte Stunde.

Die Schule war geschlossen, da der Lehrer als Gemeinde­schreiber bei der Wahl beschäftigt war. Die männliche Jugend eröffnete vor der" Post", gleichsam als Vorspiel, ein Schnee­ballengefecht: Osterhofen   gegen Seehamm. Die Parteien unterschieden sich auffallend. Die erstere, an Zahl schwächere bestand aus blondköpfigen Bauernjungen, in dicken Loden, fast uniform gekleidet, während bei den letzteren schon das Aeußere auf wirr zusammengewürfelte Elemente schließen ließ: schwäch­liche Bürschchen in städtischer Kleidung neben handfesten Arbeiterkindern, die eben der Werkstatt entlaufen schienen.

Von allen Seiten stapften die Wähler durch den Schnee daher und drängten sich um die enge Pforte. Auffallend viel Werkleute im Arbeitsgewande, behäbige Hausbesizer, dann und wann sogar ein ganz herrisch Gekleideter, ein Gastwirt oder Kaufmann des Ortes. Die eigentliche Bauerngestalt ver­schwand völlig in der Menge, welche die untere Wirtsstube füllte. Dafür gruppierte sich die ganze bisherige Versamm lung- ganz Osterhofen   fehlte noch- um einen Mann,