Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 153.

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Freitag, den 7. Auguſt.

( Nachdruck verboten.)

Die Achenbacher.

Roman von Anton v. Perfall.

Das Schneien hatte aufgehört, schwerer, eintöniger Nebel umhüllte die Landschaft, früh fiel die Nacht ein.

Flori hatte im Stall Arbeit, das war sein liebster Auf­enthalt im Winter. Da führte er lange Reden mit jedem Stück, und jedes verstand ihn und antwortete ihm auf seine eigne Weise.

Die Bleß brüllte mit weit vorgeftredtem Hals, wenn er von der Alm erzählte, von Auf- und Abtrieb. Das Fräul'n" packte ihn mit Vorliebe bei der Joppe und ließ ihn nicht los, bis er ihr die Stirn fraute. Der Goliath", ein schwerer Rapphengst, wieherte und schlug die Planken. Das heimlichste Tierl aber war das Kranzl", eine zweijährige Simmen­thalerin vom reinsten Schlag. Ein weißer, schief sich ziehender Streif, der sich tokett um die Hörner herumwand, gab ihr den Namen. Die zerrte wie närrisch an der Kette, brüllte und stieß eifersüchtig der Nachbarin in die Seite, wenn er nur eintrat. Das Stück war auf der Alm gefallen in seinem Beisein und war nie aus seiner Pflege gekommen.

Was das Kranzl" schon alles anhören mußte! Alle Leiden und Freuden Floris. Da war ihr denn auch der Name Rest" nicht mehr unbekannt. Ja, beim vorjährigen Auftrieb hatte diese eigens ein mit Bändern geschmücktes Bäumerl gebracht fürs Kranzl" und ihm eigenhändig aufgesteckt.

Heute drängte es Flori mehr als je zu seiner treuen Freundin. Er vernachlässigte darüber fast die andren. Ein Umstand, der einen heillosen Spektakel zur Folge hatte.

Er setzte sich auf den Barren, legte den gelben Kopf auf seinen Schoß und kraute die lockige Stirn. So gut war's der Kranzl" schon lange nicht gegangen. Sie schloß wohlig die großen, schwarzen Augen und hielt sich ganz still.

Flar, der Zuchtstier mit dem mächtigen Nacken, schielte eifersüchtig herüber, seine kleinen Augen leuchteten wie brennende Kohlen, von dem Lichtstrahl der Laterne getroffen, welche zu Füßen Floris stand und die heimliche Gruppe in­mitten der dumpfen Finsternis fräftig beleuchtete.

Du hast's halt schön, mei Kranzl! Kein Haß! Keine Feindschaft! Wenn nur' s Futter langt! Gelt, Kranzl? Wenn's nur net gar so schwer war,' s Hass'n, für mi! Für andre is wieder leicht! Oder meinst, i lern's schon no?"

Das Tier richtete die glänzenden Augen auf ihn. " Ja, du bist die recht, du lernst mir's wohl net. Der da drüb'n schon ehnder."

Flori sah auf den Stier hinüber und reizte ihn mit einer raschen Bewegung. Er stieß ein dumpfes Brüllen aus, und die roten Augen blizten drohend auf.

Schau, der fann's! Das macht, weil er an Stolz hat! Muaß man a hab'n! Will i a! Den Lehner hass'n, des gang, aber' s Resei! Ja, das soll i, Kranzl, das soll i. Was sagst da dazua? Das herzguate Ding! Na, na, laß di net anführ'n, is ja net so, grad heirat'n soll i's net, meint der Großvater. Heirat'n!" Er lachte hell auf. Js das g'spassig! Gelt, da lachst a. Wir heirat'n ja überhaupt net, gelt, Kranzl?"

"

Da unterbrach sein Selbstgespräch ein Geklingel. ertönte von draußen, vom Nachbar her.

Es

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,, Was kam denn da heut noch für ein Fuhrwerk Wenn am End' s Reserl"" Da war er schon unter der Stallthür.

Stockfinstere Nacht, mur aus dem Lehnerschen Anwesen drang ein matter Lichtschein durch den Nebel, in welchem er die schwarzen Umrisse eines Pferdes erkannte, von dem das Geflingel ausging.

Er eilte hinaus, durch den Obstgarten, bis an den Zaun. Ein Schlitten stand vor dem Hause. Dem Doftor sein Schlitten!

Jetzt schlugen ihm die Zähne auf einander. Er hatte auch nichts an wie das leichte, zwilchene Stallgewand und die Schlappschuhe an den bloßen Füßen, aber daran dachte er nicht mehr.

1903

Der Doktor tam zum Reserl, kein Zweifel! Entsetzliche Bilder tauchten vor ihm auf in der Winternacht. Er sprang über den Zaun. Er achtete nicht darauf, daß er die Schuhe verlor, und watete bloßfüßig durch den Schnee, dem Lehner­hof zu. Dort schlich er zum beleuchteten Fenster. Der Kopf brannte ihm jezt trotz der Kälte.

deutlich sehen, und sein Hauch brachte sie nicht zum Weichen Die Eisblumen auf der Innenseite ließen ihn nur un­durch das Glas hindurch.

so zerflossen ihre Formen. Sie beugte sich wiederholt über Eine dunkle Gestalt schien das ganze Zimmer zu füllen, etwas, erhob sich wieder. Nur die Uhr tickte, sonst kein Laut. glizernden, phantastischen Schlingwerk des Eisbeschlages er­Plöglich trat sie zur Seite, und durch eine freie Lücke in dem blickte Flori das Antlitz Referls, genau so, wie er es im Arm gehalten, mit geschlossenen Augen, nur das schwere, blonde Haar fiel aufgelöst über das rotkarierte Kissen. Nur einen Augenblick sah er das alles, dann blizten tausend Farben vor seinen nassen Augen, und die Eisranken schlangen sich wieder um das schreckliche und doch so liebliche Bild. geben!" flang die Stimme des Arztes. Jetzt wurde gesprochen: Starkes Fieber! Sehr Obacht

jammerte die Lehnerin. So an arm's Kind! Wia ma nur so schlecht sein kann!"

hämisches Richern. Wart mur, Bürschl!" Der betrunkene " Ja, die guat'n Freund! Der saubre Flori!" Ein Lenz sprach diese Worte, welche Flori förmlich zurückprallen ließen.

Er wurde für den Thäter gehalten, aus Haß, aus Bos­für den Mörder am End?

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beit gessen. Die Hausthür stand offen. Er wußte selbst nicht, Der Gedanke ließ ihn jede weitere Ueberlegung ver­wie er sich auf einmal in der Stube des Lehners befand.

Im ersten Augenblick war man verdußt, sprachlos, auch Flori starrte, geblendet von dem grellen Lichte, auf die An­wesenden. Als er sich aber zu dem Bette wandte, vor dem der Lenz saß, der die Hand der Kranken in der seinen hielt und mit stierem Ausdruck auf das fiebernde Antlitz blickte, da brüllte der Lehner ein donnerndes Naus", gegen die Thür weisend. Sein Kopf berührte fast die Decke, seine ganze Haltung veriet höchste Gereiztheit.

Doch Flori hielt ihm stand. Seine Gestalt schien sich förmlich zu dehnen, zu wachsen. Das war ein Mann, kein Knabe mehr, der vor Lehner stand. Er vergaß in diesem Augenblick völlig seine Stellung zu dem verhängnisvollen Er­eignis, daß er der Sohn des immerhin Schuldigen war. Die Erzählung des Großvaters wirkte, von dem hundertjährigen Streit mit den Lehners. Der Todfeind seines Hauses stand vor ihm. In diesem Augenblick lernte er zum erstenmal die Macht des Hasses kennen, über welche er eben noch mit der Kranzl philosophiert.

geh' net! Geh' net!" erwiderte er trotzig. Der Lehner trat einen Schritt vor.

Nur der Arzt verhinderte einen Zusammenprall. Lassen Sie ihn wenigstens reden, Bürgermeister."

Der Titel wirkte. Er vernahm ihn zum erstenmal aus dem Munde einer Respektsperson. Er faßte sich mühsam. " Ihr glaubt's, daß i das' than hab'?" begann Flori, auf die Kranke weisend.

glaub's net, i weiß's ! D' Rest selb'r hat's g'sagt," erwiderte barsch Lehner. Das is a Lug."

Es lag die Erregung der absoluten Wahrheit in der hitzigen Einwendung Floris. Das wirkte auf Lehner.

Wenn's Dein' Nam alleweil nennt im Fieber, das langt, mein' i," erwiderte er, nicht so heftig, als zu erwarten war, und Dein' Spur hab' i a g'fund'n im Schnee, wo's g'scheh'n is. Di von Dein' Vatern a. Habt's halt mit anander ' than, das saubre Stückl?"

Flori fühlte sich in der Klemme. Er mußte den Vater verraten, oder die Schuld auf sich nehmen. Gegen das letztere sträubte sich sein ganzes Innere. Ueberhaupt schämte er sich einer Lüge, gerade vor diesem Manne.

" net! Ihr wüßt's recht guat, daß i der Rest nir Bös' anthuan kann, weil i f' dazua z'gern hab'." " Gern hat er f'? Ah, wirkli?"