Es war der Abdruck eines kleinen Fußes, und deutlich erkannte man daneben im Schnee das Streifen des Kleides. Flori berührte ihn mit dem Finger, er konnte nicht älter sein wie eine Stunde�, im zierlichen Stöcke! staken die Nägel in Kerzform. Flori schlug das Herz.Wo kann denn die nacha hin sei?" fragte er scheinbar gleichgültig Lipp, ohne sein Gesicht zu erheben. Wo wird sie sein? Glaub'n soll ma's halt net bei der Zeit, in d' Ferleskunt halt." In d' Kapell'n von der Maria Hilf?" fragte Flori. Was denn? Siehst's übra blitz'n?" Lipp wies auf die Richtung, in welcher die Fährte sich hinter der Wand verlor. Ein kleiner Punkt funkelte im Sonnenschein: das Kreuz auf der Marienkapelle. Mitten in den schroffen Wänden der Ferles- kunt, eines abgelegenen Felskessels, hatte frommes Gelöbnis in Lawinengefahr sie vor Jahrzehnten erbaut, und Marias Gnade waltete sichtlich darüber. Das Kreuz bildete förmlich den Brennpunkt des grellen, von dem Schneefeld rings umher zurückgestrahlten Lichtes. Flori blickte sprachlos auf das auf und ab zuckende goldene Sternchen mitten im Blau des Himmels. Weiht ma a Kerz'n in der Ferleskunt?" fragte er dann. Woll! Woll!" erwiderte Lipp, weiterstampfend. Flori folgte nur zögernd, der Atem ging ihm aus.Wird do net g'fährli sein in der Ferleskunt?" begann er nach ein paar Schritten. Mittala! Ganz mittala, bei der Zeit!" meinte Lipp. Da werd i do nachgehn wenn dem Mädel grad was fehl'n tät." Flori blieb stehen. A was, die hat an scharf'n Tritt, a Junge, wird halt um an Mann bet'n." Lipp stampfte erbarmungslos weiter. Bald war der Arbeitsplatz erreicht. Die beiden setzten sich zum Verschnaufen. Lipp kaute an einer Speckschwarte. Glaubst des auch, daß i no nia in der Ferleskunt war?" begann Flori von neuem. Woll! Woll!" knurrte Lipp. Wenn i halt do?" Flori warf einen bittenden Blick auf den Knecht. Wenn D' meinst! Js ja eh Floritag heut." Floritag heut? Weißt des g'wiß, Lipp?" Flori war aufgesprungen und zerrte den verdutzten Knecht an seiner Joppe. Der achtzehnte April! Da is do mein Lebtag der Floritag." Ja, der is! der is! Floritag! So was! Und i weiß gar nix davon. No, das tät mein Heilig'n anders verdriaß'n, Schindl mach'n an sein Tag. Lipp, i kann Dir net hels'n, aber i geh' in die Ferleskunt!" Helle Freude strahlte aus dem Antlitz Floris.Der heilige Florian wird mi schon führ'n." Der Knecht sah ihn sonderbar an, ein feines Lächeln glitt über die wetterharten Züge. I mein'. Du brauchst gar net Dein' Heiligen,'s langt die G'fpur schon von der fromen G'sellin, so klein s' a is." Flori eilte davon. Das war kein Wallfahrtsschritt, den er anschlug. Was do so a Fuaßerl für a schöne Form hat! Er scheute sich ordentlich, die zierliche Spur zu vertreten, und ging vorsichtig daneben. Wie die seine sich garstig dagegen ausnahm I Das blitzende Kreuz war jetzt hinter der Wand der- schwunden. Die Spur führte bald steil aufwärts, bald an abschüssigem Gehänge vorbei, wo jeder falsche Tritt unbe- dingter Tod war. Bald war sie tief eingegraben, daß man die Spur der Hand sah, die sich aufstützte, bald lief sie wie ein Hauch über die gefrorene Decke, welche unter dem schweren Tritt Floris einbrach. Die starren Fleswände der Ferleskunt schlössen ihn Plötz« lich ein. Eine abgeschiedene, erstorbene Welt, in die der Winter flieht, vom Frühling vertrieben, und mitten hindurch, im Zick- zack hinauf zwischen den Schroffen, das einzige Zeichen des Lebens, Resls Fußspur. Ein schneeweißes, flimmerndes Band, an dessen Ende der goldene Stern zu leuchten schien, das Kreuz der Marienkapelle auf weit vorspringender Stein- platte. Flori versagte schon der Atem, wiederholt mußte er Halt machen, während vor ihm die Spur so leicht und gleichmäßig sich hinaufzog. Mit einemmal, als er um eine Felsecke bog, lag die Kapelle dicht vor ihm, nur ein schmaler, dicht verschneiter Kraben trennte ihn noch von der Steinplatte, auf der sie lag, weit in das Land hinausblickend. Ein kleiner, ovaler Bau. kräftig gefügt, sich trotzig nach unten spreizend gegen Sturm und Wetter. Die altersgrauen Schindeln, mit welchen er völlig bedeckt war, glitzerten wie feiner Sammet im Sonnen- brand der Höhe. Die Thür stand offen, doch im Blendlicht des Schnees war das Innere in Dunkel gehüllt, welches eine sanfte Röte gleichsam belebte. Flori sah nichts von dem gewaltigen Gipfelmeer rings umher, das in dem blauen Aether seine zerrissenen blitzenden Wogen zu rollen schien, er sah nur das Heiligtum, aus dem es wie Morgenröte drang inmitten des Todes. Er zog den Hut vom Haupt und ließ sich in die Knie nieder.Heiliger Florian und Du, gebenedeite Jungfrau, bitt für mich!" Dann plötzlich, vom irdischen Drängen ergriffen, stürmte er hinunter in den Graben, wie ein flüchtiges Wild auf der andren Seite hinauf. (Fortsetzung folgt. X (Nachdruck verboten.) Dcrzlicbc Srulse. Von Stefan Großmann(Wien ). In den Junitagen fing es an und dauerte so fort bis anfangs August, daß immer wieder«in regelmäßiger Besucher des Cafe Europa sich zur großen Kredenz begab, in der die Kassiererin saß, und ihr mit selbstgefällig-gemütlichem Lächeln sagte: Also, Fräulein Louisi, heute sehen Sie mich für sechs Wochen zum letztenmal. Richten Sie sich ein paar Thränen her, morgen fahr' ich fort..." Das Fräulein Louisi hatte alleihre" Gäste gern. So wie ein Herr das dritte Mal hintereinander ins Cafe Europa kani, bekam er beim Weggehen nicht nur einen Guten Tag- oder Gute-Nacht-Gruß mit auf den Weg. sondern auch ein sanftes Lächeln auf den Lippen des Fräulein Louisi, ein herziges Neigen ihres Kopfes und einen auf- merksamen Blick aus ihren großen braunen Augen, der dauerte, bis die Glasthür des Cafes geschlossen war. Das waren im Tag gewiß mehr als dreihundert sanfte Kopfnicken und aufmerksame Blicke, und dafür verdiente sie es schon, daß die Gäste sie durchwegs nur Fräulein Louisi" nannten. Die dreihundert sanften Grüße wurden belohnt. Jeden Tag beugten sich ca. zwanzig sehr fein gekleidete Herren das Cafe Europa war ein sehr nobles Cafe, in dem nur Professoren, Priva- tiers, Offiziere, Ministcrialbeamte, Gcldverleiher und dergleichen vornehme Welt verkehrten über die Budel, hinderten Fräulein Louisi am Auffchrciben, Einschänken der Ligueure und Austeilen der Zuckerportionen, um dafür die bedeutungsvolle Frage zu stellen: Na, wie geht's Ihnen denn heute?" Fräulein Louisi antwortete immer sehr lieb, mit einem sozusagen in Worte übersetzten sanften Neigen des Kopfes. Das hieß:O danke, sehr gut." Kamen im Winter, etwa nach dem Konzert, Damen in rauschenden und blendenden Theatertoiletten mit ihren Begleitern nachts ins Cafe, so zogen sie bald ihre Lorgnons hervor, um die blasse Kassiererin mit dem schönen kastanienbraunen Haar zu be- gucken, vor der sich alle Augenblicke ein Herr über die Budel der Kredenz hinlümmelte, um eine sehr wichtige Frage an sie zu richten und sie im Aufschreiben und im Verteilen der Zuckerportionen zu stören. Es lag viel Bösartigkeit in diesem Begucken seitens der Damen, sie schienen dem sanften Fräulein Louisi nicht einmal die Frage:Na, wie geht's Ihnen denn heute?" zu gönnen. Seit sechs Monaten kam nun Fräulein Louisi jeden Mittag um 12 Uhr ins Cafe herunter(die Wohnung war im vierten Stock desselben Hauses) immer in einer lichten, frischen Bluse mit breitem Matrosenkragen, der Über ihren zarten Schultern andeutend lag, das reiche kastanienbraune Haar zur Krone aufgesteckt. Wenn man sie da mittags genau ansah, wie es etwa nachmittags der Mediziner Korde oder der Mnisterialsekretär Drucker oder der Lieutenant Hollitscher thatcn, so merkte man, wie ihr Gesichtchen infolge dieser ewigen grünlichgelben Gaslichtatmosphäre den rosigen Teint immer mehr verlor. Aber nachmittags war es. wenn diese Gäste kamen. schon wieder so heiß und dumpf im Cafe, daß Fräulein Louisis Wangen wieder ein Bisiel rot wurden, wenn es auch kein ganz gesundes Rot war. Ende Juni hörten die Belagerungen der Budel vor der großen Kredenz, in der die kleine Kassiererin saß, allmählich auf. Die Herren sagten mit selbstgefälligem Lächeln:Also, richten Sie sich ein paar Thränen her. ich gehe auf Ferienl", und Fräulein Louisi ersuchte ihre Freunde nur, indem sie mit ihren großen Augen noch viel inniger bat. wie mit ihrer sanften Stimme:Bitte, schicken Sie mir Ansichtskarten l" So lag das Cafe an den Sommertagen recht leer und still da. Die Zeitungen, sonst unauffindbar, an hundert Tischen verstreut, lagen alle vernachlässigt auf einem riesigen Haufen; die Kellner standen stundenlang vor den Spiegeln und studierten, ob sie gut rasiert waren, oder wie sie aussehen, wenn sie gähnen oder ein Auge schließen. Die Kassiererin aber saß bei Tag ganz in die Ecke der