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geregt nach der Afiche . Sie hatte nämlich keinen Brief erhalten und| So, von meiner Tante?" verfekte die junge Frau und schloß wollte wissen, in welchem Maße ihr die Tante ihre Freigebigkeit schnell die Thür der Küche, um ihn nicht sehen zu lassen, daß sie bewiesen. das Gas des Bratapparates wieder ausgedreht hatte. Mit fieberhafter Hand riß sie den Brief auf, während der Mann neugierig neben ihr stehen blieb. Na, was steht denn drin?" rief er ungeduldig.

Doch Herr Picard folgte ihr, und als er sah, daß sie die Schnur mit der Schere zerschneiden wollte, rief er: Laß doch, warum denn so hastig? Der Bindfaden ist doch noch zu benutzen. Gieb mal her!"

Frau Picard sagte aufgeregt: Aber Männchen, das kann ich doch ebenso gut!"

Aber Herr Picard nahm ihr das Paket aus der Hand und widelte es mit größter Ruhe aus; endlich löste sich aus der Hülle eine prächtige Henne mit feisten Keulen, deren Anblick ihn in Ent­zücken versezte. hübsch fett, fieh sie nur ein Vieh," versetzte seine Frau " Wie wär's, wenn wir sie zum Sonntag fertig machten?" sagte der Bureauchef.

mal an!"

Ein schönes Tier 1" lobte er, " Ja, allerdings, ein prächtiges

nervös.

" Bum Sonntag?" wiederholte die junge Frau, und Dein Ge­urtstagsdiner heute?"

Mein Geburtstagsdiner?" rief er in vorwurfsvollem Tone und nahm seinen Kneifer ab, ja, hast Du denn die Henne noch nicht getauft?"

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Nein, ich hatte keine Zeit, und dann hoffte ich auch

Aber diese hier wird doch nicht mehr gar!"

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" Oh doch, ich versichere Dich, wenn man sie sofort auffezt. " Run, und Du glaubst, sie wird auch noch zur richtigen Zeit talt werden?" " Aber gewiß, Männchen, gewiß. Während Du Dich ausziehst, setze ich die Bratpfanne auf... Uebrigens fieh nur, sie ist schon fig und fertig."

" Dann ist kein Augenblick zu verlieren," sagte Herr Picard und ging in den Korridor, um seinen Rock auszuziehen.

Als er wieder in die Küche kam und bemerkte, wie seine Frau die Henne eifrig sondierte, rief er erstaunt:

"

Was machst Du denn da? Du riechst wohl, ob sie frisch ist?" Nein..., das heißt, ja. aus Vorsicht," stammelte die ige Frau, die ihren Mann zu allen Teufeln wünschte. Herr Picard verlor sich in Erklärungen.

Aber Kind, sei doch vernünftig, wie kannst Du denn glauben, daß eine gestern geschlachtete Henne nicht frisch sein soll? Wenn es heiß wäre, wollte ich nichts sagen, aber jetzt, um diese Zeit, ganz ausgeschlossen.

Dabei beroch er sie ebenfalls, zur großen Verzweiflung seiner Frau, die atemilos dabei stand und jeden Augenblick fürchtete, er fönne das Versteck entdecken.

Na, nimm doch die Bratpfanne herunter!" fagte er ungeduldig, ,, worauf wartest Du denn?"

Frau Picard stieg auf einen Stuhl und holte den Apparat herunter. Doch dicke Schweißtropfen perlten auf ihrer Stirn. Die Situation war schrecklich; denn es war ihr doch unmöglich, die Henne im Beisein ihres Mannes an den Spieß zu stecken. Wenn die Tante in den Körper des Tieres eine Banknote hineinpraktiziert hatte, so konnte das Eisen ein unheilbares Unglück anrichten, und deshalb bat sie von neuem:

" Um Gotteswillen, Männchen, fümmere Dich doch darum nicht, ich werde das schon allein besorgen."

Doch Herr Picard schien heute um jeden Preis in der Küche bleiben zu wollen.

Na, störe ich Dich vielleicht?" schrie er plötzlich ärgerlich. " nein, durchaus nicht, aber.

Na, das ist doch ein bißchen start", polterte er, fortwährend beklagst Du Dich, Du hättest zuviel zu thun, und wenn ich Dir helfen will, dann ist es Dir auch nicht recht..." ,, Aber gewiß, gewiß..

Run also, dann gieb mir mal den Bratspieß her."

Frau Picard fühlte sich einer Ohnmacht nahe.

Wie, Du... Du wolltest?"

Ihr Mann sah sie verdußt an und wetterte:

Na, Du bist wirklich gut; was ist denn dabei so tomisches, daß ich die Henne braten will?"

Gar nichts, Männchen, gar nichts", murmelte sie tonlos. Ohne ein Wort zu erwidern, ergriff Herr Picard den Bratspieß und durchbohrte die Henne. Seine Frau sah alles um sich her ver­schwimmen. Was sollte nur werden, wenn die Henne mit einer Banknote im Leibe zu braten anfing? Das Geld war dann rettungslos verloren. Doch ohne von der drohenden Katastrophe auch nur das geringste zu ahnen, hatte er den Braten bereits in den Apparat gelegt und verließ die Küche erst, als ein helles Feuer an den Flanken des Tieres emporleckte.

IV.

As Frau Picard allein war, fiel sie fraftlos auf einen Stuhl und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Sie hatte taum Zeit, sich die Stirn zu trocknen, als es heftig an der Entreethür flingelte.

Herr Picard öffnete, es war der Briefträger, der einen Brief für seine Frau brachte.

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Germaine," sachte er, nachdem er das Couvert betrachtet, ein Brief von Deiner Tante."

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Germaine las den Brief vor, und als sie an die Stelle fam: Die Henne ist vollständig fix und fertig, Du brauchst sie nur an den Spieß zu stecken; ich habe Butter hinzugethan und sie sogar zweimal gepfeffert und gesalzen," da brach sie unwillkürlich in die Worte aus: Ach, die liebe, gute Tante!"

Herr Picard sah seine Frau verwundert an; sie hatte offenbar etwas. Daß fie fich freute, eine Henne aus der Normandie zu be­kommen, fonnte er schließlich begreifen, aber daß die Thatsache, die Henne sei zweimal gepfeffert und gesalzen, eine solche Begeisterung bei ihr hervorrief, das ging über sein Fassungsvermögen.

Endlich ging er in sein Zimmer, Germaine aber schloß sich in der Küche ein, nahm schnell die Henne vom Spieß und fand in ihrem Innern die beiden in dem Briefe avisierten 100 Frantſcheine. Der Spieß hatte sie glücklicherweise nicht getroffen.

Schnell steckte sie das Geld in die Tasche und machte sich, noch immer vor Aufregung zitternd, daran, den Braten wieder aufzusetzen. Sie war noch damit beschäftigt, als Herr Picard von neuem in der Küchenthür erschien.

Na, das ist doch aber start, was machst Du denn da?" Du hast sie ja wieder vom Feuer genommen?"

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Aber, nicht doch, Männe, nicht doch..."

Na, rede mir doch nichts vor!"

" Das heißt, die Henne... die Henne war auf der einen Seite zu schwer, der Spieß drehte sich nicht."

" Na, dem wollen wir gleich abhelfen, das wäre ja noch schöner; ich werde doch mit einer lumpigen Henne fertig werden," brüllte der Mann und durchbohrte das Tier.

Aber jetzt hatte Madame Picard nichts mehr dagegen, fie ließ ihren Mann sogar allein in der Küche, zog sich ins Nebenzimmer zurück und erholte sich von der schrecklichen Aufregung, die sie durch­gemacht hatte.

Am nächsten Tage schrieb sie der Tante und berichtete ihr das Abenteuer in allen seinen Phasen. Briefe und Pakete ließ sie sich aber von da ab nur noch post­lagernd schicken.

Kleines feuilleton.

k. ,, Automatisches Wandern". Ueber einen psychologisch merk­würdigen Fall von automatischem Wandern", das fünf Tage währte, berichtet Dr. W. S. Colman, Assistenzarzt am Londoner St. Thomas­Krankenhaus, in" The Lancet". Der Patient war ein Telephon­wärter im Alter von 37 Jahren. Er war mager, schien aber nicht völlig gesund zu sein. Sein Vater starb an" Gehirnerweichung; die genaue Natur der Krankheit konnte nicht festgestellt werden, aber er war nie im Irrenhause gewesen. In der Familie waren mehrere Epileptiker. Der Patient hat viele fürzere und zwei längere Anfälle von automatischem Wandern" gehabt. Der erstere längere Anfall ereignete fich im November 1900. Er verließ sein Haus in Wood Green, um zur Arbeit zu gehen, kam aber nicht an seinem Be­stimmungsort an. Er erinnert sich daran, gefrühstückt zu haben und fortgegangen zu sein; aber danach ist in seinem Gedächtnis eine Lücke, und zwar bis zum folgenden Nachmittag ( 30 Stunden später), wo er plöglich aufwachte". Er sagt selbst, er fühlte sich halb erschreckt", als wenn er aus einem gestörten Schlaf erwachte, und er fand, daß er ohne zu wissen, wieso, in Hampstead war. Beim Zählen seines Geldes merkte er, daß er zwei Schilling ausgegeben hatte, und da er nicht hungrig war, hatte er sich wahr­scheinlich selbst Nahrung gekauft. Er fühlte sich nicht besonders frank und konnte am nächsten Morgen wieder zur Arbeit gehen. Nach diesem Anfall hatte er in Zwischenräumen von einigen Wochen leichte Anfälle, die kamen, als er auf der Straße war. Er fand dann plöglich, daß er sich verloren" hatte und an einer andren Stelle als an der zuletzt erinnerten war. Er konnte nach der Richtung leicht berechnen, wie lange die Anfälle gedauert hatten. Gewöhnlich dauerten sie nicht länger als wenige Minuten, nur einmal kommte die Bewußtlosigkeit eine halbe Stunde gedauert haben. Die Anfälle tamen nie, wenn er bei Besichtigung der Telephondrähte auf der Leiter stand, sondern nur beim Gehen auf der Straße.

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ganz

Der zweite längere Anfall im Januar 1903 dauerte 52 Tage. Er wohnte damals in der Nähe von Kings- croß. An einem Montag, morgens um 634 Uhr, verließ er sein Haus, um in Wardour- Street an die Arbeit zu gehen. Er erinnert sich, daß die Uhr am Euston- Hotel 6 Uhr 50 Min. zeigte, als er vorüberging. Dann erinnert er sich an nichts mehr. Auf seiner Werkstätte kam er nicht an, und keiner seiner Freunde hat ihn gesehen. Am Sonn­abend in derselben Woche wachte" er um 4 Uhr nachmittags plöglich auf und fand sich zu seiner Bestürzung in einer fremden Stadt. Er befragte einen Polizisten und erfuhr, daß er sich in Leighton Buzzard befand, wo er nie zuvor gewesen war. Er hatte heftige Kopfschmerzen, die Hacken seiner Stiefel waren abgetreten, und seine

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