«och immer mit krampfhaftem Griff vorn an der Brust zu» sammen hielt. „Was geht denn Di, elender Schleicher, unsre An» gelegenheit an?" „Weil wir z'samm'g'hör'n, wir drei, wia z'samm'- g'schmiedt," erwiderte Lenz. Urbans Hand festhaltend, die ihn zu würgen drohte.„Für's ganze Leben— drüber'naus," röchelte er unter den Fingern des Bruders, die sich konvulsivisch um seine Kehle schnürten. „Als was nacha? Als was? Als mein sauberer Bnwder vielleicht? Mei' Schand! Mei' Unglück!" knirschte wütend Urban. „Als Mörder!" brachte Lenz mühsam hervor. Burgl trat dazwischen und löste gewaltsam den tödlichen Griff Urbans. „Jetzt red klar! Trägst Du a Schuld am Tod vom Achenbacher?." (Fortsetzung folgt.)] (Nachdruck verboten.) Der Orden. Urban Stöpsel, verflossener Großhändler in amerikanischem Schweinespeck, besaß mehr harte runde Thaler, als die Hauptstadt des Deutschen Reiches Einwohner hat, und doch war er nicht zu- frieden. Der Anne besaß weder einen Titel noch einen Orden. Wenn Stöpsel nicht mehr hundertundflinsunddreißig Kilo, wie früher, sondern nur noch hundertundfünfundzwanzig wog, so ver- dankte er dies seiner Titel- und Ordenslosigkeit, die wie eine heimliche Krankheit an seiner Seele fraß und seine Verdauung störte. Seit nunmehr drei Jahren, seit ultiino März 1900, da er sich end- gültig von seinem Schweinespeck zurückgezogen hatte, war er ruhelos auf der Jagd nach dem Glück: einem Titel, einem Orden. Schon einige Male hatte es geschienen, als sei er seinem Ziele nahe, so damals, als er gegen Ucbeniahme von 100 Aktien der „Charitas, Aktiengesellschaft für Heimstätten in der Lüneburger Heide " Aufsichtsrat geworden war, mit der kostenlosen Aussicht, bei der„zweifellosen Prosperität und der nicht zu verkennenden kulturellen Bedeutung" des Unternehmens den Kommerzienratstitcl zu ergattern. Leider kehrten die Gründer der Gesellschaft von einer im Interesse des Unternehmens notwendig gewordenen Orientierungs- reise in die Lüneburgcr Heide nicht mehr zurück, was um so be- dauerlicher war, als sie bei ihrer Abfahrt außer einigen Aufsichts- räten und zahlreichen Aktionären nichts zurückgelassen hatten als die Regreßansprüche der letzteren an die ersteren. Ein andermal war es ihm gelungen, Aufnahme in einen äußerst exklusiven, feudalen Spielklub zu finden, wo es an einflußreichen Persönlichkeiten nur so wimmelte. Aber die hohen Herren ließen sich ivohl herbei, den Plebejer bei der Roulette ein wenig von dem im Laufe der Jahre angesammelten Fett zu erleichtern; fie vergaßen fich i;ar wohl im Zustande übergroßer Schwulität so weit, mit be- trickcnder Leutseligkeit Herrn Urban Stöpsel anzupumpen, aber die erhoffte hohe Fürsprache blieb aus. Schon hatte der Aerniste schier alle Hoffnung aufgegeben, da las er eines Tages im. Wappenbanner, Organ für die höheren Stände" folgende Annonce: „Titel sowie in- und ausländische Orden vermittelt diskret v. W. 300, Budapest , xosts rsstanto. Rückporto." Stöpsel schöpfte neuen Mut und es entstand nunmehr ein reger Briefwechsel zwischen Berlin und Budapest ; es stellte sich plötzlich ein starker Bedarf an großen und kleinen ungarischen Banknoten ein; Papiergeld läßt sich so viel bequemer für„außerhalb" verwenden. Das ging eine ganze Weile hin und her; endlich, Mitte Juli, traf folgendes Schreiben ein: „Hochverehrter Herr! Endlich werden unsre Bemühungen von Erfolg gekrönt sein. Wie ich Ihnen schon mitteilte, begiebt sich seine Durchlaucht Ende nächster Woche nach Aix-les-Bains und zwar im strengsten Jncognito als Marquis de la Marre. Es ist mir nun gelungen, einen Herrn seiner nächsten Umgebung, den Grafen Stecken, ins Berttauen zu ziehen. Sie werden sich nach Aix-les-BainS begeben und von diesem Herrn beim Fürsten eingeführt werden. Es wird nur noch von Ihrem Takt abhängen, ob der fragliche Orden schon in allernächster Zeit Ihnen zufliegen wird, Sie Glücklicher. Erbitte Drahtnachricht, wann Sie die Reise antteten, damit Sie zeitig genaue Adressen und Empfehlungsschreiben erhalten. Mit vorzüglichster Distinktton v. W. P.S. Falls Sie wegen fach- und standesgemäßer Auswahl Ihrer Garderobe in Verlegenheit sein sollten, bin ich gern erböttg, das Nötige hier für Sie einzukaufen. Es genügt, wenn Sie mir zu diesem Zweck einen alten Anzug für meinen Tailleur einsenden." Stöpsel schwamm in Wonne. In den acht Tagen bis zu seiner Abreise nahm er die verlorenen zehn Kilo wieder zu, so daß die aus Budapest einttcffendcn Kleidungsstücke fast zu eng waren. Da- gegen fanden die übrigen beigefügte» Dinge seinen größten Beifall. Ein charmanter Kerl, dieser Herr v. W. An was der nicht alles dachte I Handschuhe, Krawatten, Pomadebüchsen. Nagelscheren, seidene Schnupftücher, feine Leibwäsche. Morgenschuhe, Parfüm, Visitenkarten in ftanzösischer Sprache, kurz alles, was ein distiguierter Mann nur brauchen konnte. Allerdings hatte die Nachnahme gegen 2000 M. bettagen. Mit geheimnisvollen Andeutungen verabschiedete fich Stöpsel von seinen staunenden Freunden und traf just zu Beginn der baute Saison im Süden Frankreichs ein. Auf den dunkeln Wogen des Lac du Bürget, dieser Perle unter den Alpenseen, wiegte sich leicht und graziös eines jener niedlichen elekttischen Boote. die, mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet, nur solchen Sterblichen zur Verfügung stehen, die ihre Hundertftank- Roten in der Westentasche zu tragen pflegen. Auf dem kleinen Deck saßen drei Herren„en habit" um eine reich gedeckte, mit herrlichen Blumen und köstlichen Früchten gezierte Tafel. Einer von ihnen, der zur Schonung seiner delikaten Gesundheit eine weiche Decke über die Knie gebreitet hatte, wurde vom Grafen Stecken mit allen Zeichen höchster Ehrfurcht mit Monsieur le Marquis angesprochen; der dritte der Herren, circa hundertundfünfunddrcißig Kilo repräsentierend, horchte mit gespanntester Aufmerksamkeit auf die ernsten. würdigen Worte, die Durchlaucht zu äußern geruhte. Eben fuhr das Boot nicht fern von jener Stelle, wo das malerische Gemäuer einer alten Abtei sich über der Fürstengruft deS Hauses Savoyen erhebt. „Die da standen einst mit meinen Ahnen in naher Verwandt- schast," bemerkte der Marquis wehmütig und blickte nachdenklich auf die kleinen Wogen, die weitzschimmerd die Bahn des Schiffes be » zeichneten. Stöpsel empfand die Notwendigkeit, etwas zu sagen und da ihm nichts einfiel, erhob er sein Glas und rief: „Die Ahnen mögen geruhen zu leben I" dabei ließ er den perlenden Veuve Cliquot in seinem umfangreichen Reservoir verschwinden. Die beiden Aristokraten thaten mit feinem Lächeln Bescheid und der Marquis erkundigte sich eingehend nach den Ahnen des Monsieur Stoepfelle. „Mein Herr Urgroßpapa hieß Gottfticd vom Mühlendamm." „Also ftüher adlig?" bemerkte der Marquis und stigte wohl- wollend hinzu:„Wie kommt es. mon eher Monsieur Stoepfelle, daß Sie so wenig in der Geschichte Ihres Vaterlandes hervor» tteten?" Graf Stecken ttat Stöpsel bedeutungsvoll auf den Fuß und flüsterte schnell:„Haben Sie eine halbwegs öffentliche Stellung be» kleidet? Erzählen Sie— erfinden Sie etwas." Stöpsel geriet in große Verlegenheit. Erfinden? Er?— Er hatte nicht einmal das Pulver erfunden, wie man ihm oft genug versicherte. Was sollte er berichten? Von seiner Teilnahme an jenem feudalen Spielklub? Aber wer konnte wissen, ob Durchlauft das Hazardspiel nicht verpönt war. Da plötzlich ging ein frohes Leuchten über sein breites Gesicht und er rief triumphierend: „O. Monsieur le Marquis, ich habe versucht, mein Volk glücklich zu machen; ich war Aussichtsrat der„Charitas", Aktiengesellschaft für Heimstätten in der Lüneburger Heide ". Durchlaucht zeigte riesiges Interesse fiir dergleichen Unternehmen und schließlich stellte es sich heraus, daß er Höchstselbst Protektor einer ganz ähnliche» Gründung war, die den hehren Zweck verfolgte. für die Armen und Aermsten billige Heimstätten in der Pußta zu errichten. Nächstens sollte mit dem Bau der niedlichen Wohnungen begonnen werden— es fehlte an der zu zeichnenden Summe nur noch die Bagatelle von 30 000 Gulden. Durchlaucht schwieg und blickte zerstreut in die Ferne, während Graf Stecken mit aller Macht auf den gewalttgen Spreekähnen Stöpsels herunttranrpelte, daß auch nicht ein einziges Hühnerauge verschont blieb. „Fasten Sie die gute Gelegenheit beim Schöpfe. Sie werden Durchlaucht unendlich verpflichten und den Orden haben Sie in der Tasche," flüsterte er. „Wenn der Herr Marquis mir die Ehre anthun wollen, möchte ich gern diese Kleinigkeit zeichnen." stammelte Stöpsel vor Auftegung und versuchte schnell im Kopfe herauszurechnen, wie viel Mark diese 30 000 Gulden wohl ausmachten. Durchlaucht geruhte gnädig, das liebenswürdige, menschenfteund» liche Anerbieten zu acceptieren und der Rest des Abends floß ge» mütlich dahin. Beim Abschiede dankte Durchlaucht herzlich für die köstliche Gastfreundschaft Stöpsels und lud ihn für den folgenden Tag zu Gaste; dann könnte man auch gleich die„Geschichte da" in Ordnung bringen. Und so geschah es. Zwischen Obst und Käse brachte man am andern Tag die Geschichte in Ordnung. Stöpsel erlegte die Bagatelle und erhielt einen Haufen ungarischer Papiere, auf denen er nur die Ziffern lesen konnte. Durchlaucht war von bezaubernder Liebens» Würdigkeit und als man fich in den kleinen Rauchsalon zurückgezogen hatte, zog er plötzlich aus der Brusttasche ein blinkendes Ettn hervor und heftete dem vor Freude stummen Monsieur�Stoepfelle höchst- eigenhändig einen blitzenden Stern auf die Brust„in Anerkennung der großen Verdienste, die man sich um die Hebung der nnteren Volksschichten erworben hatte". Graf Stecken grattllierte mit über» ichwänglicher Herzlichkeit zum Orden des heiligen Wenzeslaus.-- Am andren Tage filhr Durchlaucht nach Nizza . Stöpsel zog eS vor, der fteundlichen Einladung, mitzukommen, nicht Folge zu leisten, denn es drängte ihn, die Freunde in Berlin mit dem errungenen Stern zu verblüffen. Ein zufällig stattfindendes Wohlthätigkeits-
Ausgabe
20 (13.9.1903) 179
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