Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 189.

8]

Sonntag, den 27. September.

( Nachdruck verboten.)

Ein gewöhnlicher fall.

Erzählung von W. Korolenko.

Wir schwiegen beide.

Ich bin zu schwach, zu schwach zum Beten,

Ach bete, lieber Freund, für mich!... Diese Hanswursterei verletzte mich sehr. Eben war dieses Gespräch... und da beleidigt er in meiner Gegenwart einen Menschen und dazu in einem Gefühle, das auf alle Fälle und von jedem Gesichtspunkte aus volle Achtung ver­diente. Auch vor Budnikow war es mir peinlich. Da fam bald danach auch Helene aus dem Thore heraus und ging ebenfalls in die Kirche. Und Rogow rief ihr zu:

-

Die reizende Ophelial Nymphe, schließ In dein Gebet all meine Sünden ein.

Das erboste mich aufs äußerste. Nun, Budnikow, das ist doch ein Mann, so zu sagen mit Sonderheiten, aber Helene, dieses schutzlose und hilflose Geschöpf. Sie schrumpfte förmlich zusammen unter diesem frechen Blick und den frechen, wenn auch ihr unverständlichen Worten, und ging mit eiligen Schritten zur Kirche. Hören Sie mal, Rogow! Schämen Sie sich nicht? Und dann muß ich Ihnen sagen, wenn Sie mich weiter aufsuchen wollen, muß ich Sie ergebenst ersuchen, sich anständiger zu benehmen

vor

1903

kommt da so ein Gespräch zwischen Alkibiades und Perikles  wenn Sie es nicht gelesen haben, empfehle ich es Ihnen entschieden, es ist zwar in einer toten Sprache, aber sehr lehrreich.

,, Und er ging fort, ein häßliches Lied singend.

"

Einige Zeit darauf suchte ich diesen Dialog heraus. Was soll denn das sein, dachte ich. Ja, wissen Sie, ein schweres Stück, aber ein fräftiges. Die Sache ist ungefähr so: Einmal " Das Gespräch fand, wie ich schon sagte, eines Abends fam Alfibiades zu Perifles. Perikles  , stellen Sie sich vor, vor meinem Hause auf der Treppe statt... Ich entsinne war zu dieser Zeit schon ein bejahrter Mann, umgeben von mich, man läutete gerade zur Vesper. Kurz darauf kam Herr allen bürgerlichen Ehren. Er hatte halt Verdienste, in seiner Budnikow aus dem Thore heraus, so aufgeputzt, wissen Sie, Vergangenheit und wie soll ich sagen, die Gloriole der in gerader Haltung... vergnügte Zufriedenheit in seinem Tugend. Vielleicht wissen Sie, schon so ein Bäuchlein und so ganzen Wesen. Es roch förmlich nach diesem Bewußtsein weiter. Nun, und Alkibiades war so ein Wüstling, ein lieder­einer erfüllten Pflicht, die nicht allzu schwer war. Ich erlicher Kerl, ein Bummler... mit den kleinen Athenerinnen, innere mich, daß seine Erscheinung mir unangenehm war, wissen Sie, machte er da Skandale, bekanntlich hieb er allen während sich Rogows Gesicht plötzlich veränderte. Er Hunden die Schwänze ab... und auch mit der Tugend nahm sprang von seinem Plaz, nahm eine theatralische Pose an, er es nicht so genau. Nun, da kam also dieser lasterhafte zog den Hut ab und sagte: Herrn Budnikow Simeon Nikola Junggeselle zu dem tugendhaften Perikles   und sagte: Hör' jewitsch, dem zur Abendmesse Schreitenden, beut Wanjka mal, Perikles  , du bist doch ein Mann von Tugend vom Stopf Rogow seine ehrerbietigste Hochachtung! Dann lüftete er bis zur Zeh. Ich aber treibe mich da ohne Zweck herum und den Hut so mit einer schwungvollen Geste und begann aus der aus lauter Rangerweile reiße ich da alle Säulen aus dem bekannten Romanze zu singen: Boden heraus. Die Mitbürger sind unzufrieden. Lehre mich die Tugend und löse alle meine Zweifel. Ich werde fragen und du, sagte er, erfläre. Perikles   war selbstverständlich ein­verstanden, sogar froh darüber. Warum sollte er denn nicht einen jungen Mann belehren? Vielleicht wird er doch solid. Gut, sagt er, frage. Jener fragte. Was ist denn die Tugend und wie wird man deren habhaft? Berifles lächelte nur, selbstverständlich: Ehre, sagt er, die Götter. Erfülle, ſagt wissen Sie, waren sie zu dieser Zeit unantastbar: Das Geſetz er, die Gesetze und damit ist die Sache erledigt. Bei jenen, und damit basta! Freilich, sagt er, ohne den geringsten Zweifel, die Geseze zu achten ist die allererste Pflicht des Bürgers und des Menschen. Nun, vorzüglich, entgegnete ihm darauf der junge Mann. Jezt sage mir nur, welche Gesetze ich erfüllen muß: Die guten oder die schlechten? Jener, wissen Sie, hat sich sogar ein wenig beleidigt gefühlt. Ist es ein Gesez, so ist es schon an und für sich gut, darüber ist kein Wort mehr zu verlieren. Nein, sagte Alkibiades  , warte mal, sei nicht böse... Zu dieser Zeit gerieten nämlich bei ihnen schon alle diese Grundgeseze ins Schwanken. Parteien. Zwist. Die einen raubten die andren aus. Verbannungen. Ostra­cismus. Usurpatoren kamen zum Vorschein, Diktatoren War einmal die Verwirrung da, so tauchte bald der eine, bald der andre auf und verfaßte Gesetze zu seinem, seiner Freunde und Verwandten Gebrauche. Die alten Götter sind ganz fonfus geworden, murmeln, Gott   weiß was, gar nicht zur Sache. Kurzum, das Klare im Leben wurde un­flar: Das Gleichgewicht ist schon nicht mehr da, die von allen anerkannte Wahrheit ist abhanden gekommen jüngung that not. Wolfen bedeckten, so zu sagen, den Himmel und die leitenden Sterne, weiß Gott  , wo sie waren. Also, fragte Alkibiades  : Welche Geseze, sagt er, soll ich erfüllen, diejenigen, die das Gute, oder die, die das Schlechte vor­schreiben? Freilich, sagt er, die das Gute. Wie kann ich aber erfahren, welche die guten sind? Was giebt es da für Merkmale? Erfülle halt alle, das Gesetz wird auch darum geschrieben... Folglich auch die, die durch die Gewalt der Tyrannen aufgestellt sind? Nun, die gerade nicht, aber, sagt er, die gesetzlichen Gesetze, so zu sagen. Nun gut. Wenn zum Beispiel die Minderheit die Mehrheit zu ihrem Vorteil ver­gewaltigt, gelten solche Gesetze? Nun nein! Und wenn die Mehrheit die Minderheit offenbar zu ihrem Vorteil und im Widerspruch mit der Gerechtigkeit vergewaltigt? Sie sehen, wohin er hinaus will: Aeußere Merkmale braucht er nicht, sondern zeige es ihm so, daß er die gesellschaftliche Wahrheit, so zu sagen, die höhere Wahrheit, die Wahrheit des Lebens, das Heiligtum innerlich empfindet. Nun, da konnte schon Perifles nicht viel sagen. Und nicht nur Perikles  .. Die ganze Lebensordnung war auf die Sklaverei, auf die be­wußte unwahrheit gestellt... Die Religion verlor ihre Kraft, das Heiligtum, das jeden Schritt, jede Bewegung, die ganze Ordnung, alle menschlichen Verhältnisse heiligte- empfand man nicht mehr. Nun, da drehte und wandte sich Perikles  . Sich selbst wollte er selbstverständlich nicht eingestehen, daß

Er wandte sich zu mir und ich sehe in seinen Augen diesen besonderen Ausdruck der schmerzlichen Wut. Er ist bereit, auch mich zu beißen.

" Ich wollte diese meine Schroffheit etwas mildern und sagte: Sehen Sie, Rogow, Sie kennen das Verhältnis dieser Leute nicht und erlauben sich, sie zu beleidigen.

,, Er schaute mich ironisch an und sagte: Sie meinen wohl dieses Idyll? Der tugendhafte Herr Budnikow macht das Glück zweier Herzen zurecht. Da kommt ja auch zur rechten Zeit Gawrilo! Und wirklich kam Gawrilo aus dem Hofe heraus und schaute der sich entfernenden Helene nach. Rogow blinzelte ihm so widerlich zu und klopfte ihm auf die Schulter: Ich gratuliere, Gawrilo," sagt er, zu den ab­gelaufenen herrschaftlichen Stiefelsohlen... ein fluger Kerl bist du... Du weißt wohl, wo der beste Platz am Ofen. Gieb' nur Obacht, daß dir nicht die gnädige herrschaftliche Frau derweile... Uebrigens fannst du auf meinen juristischen, Beistand rechnen." Ja, merkwürdig, wie diese Cynifer mit­unter den Nagel auf den Kopf treffen... Nur eines können sie in der menschlichen Natur nicht sehen, dafür aber haben sie für alles andre, so zu sagen, für die ganze schmuzige Seite, den echten Katzenblick im Dunkeln. Scheinbar wußte Rogow schon alles. Vielleicht wußte er schon damals von den Losen und hatte Gawrilo im Verdacht habgieriger Absichten. Er ging auf ihn zu und klopfte ihn auf die Schulter... Jener, wissen Sie, ein gutmütiger Mensch, fühlte doch offenbar diese Verachtung heraus Er wurde plötzlich böse und gab Rogow so einen heftigen Stoß. Dieser fiel fast hin. Dann lachte er und schlenderte mit wilder Ungebundenheit über das Pflaster. Als er bei mir anlangte, blieb er stehen und sagte: Ja, verehrter Bawel Semjonitsch.. schon längst wollte ich Sie fragen: Haben Sie nicht gelesen Bei Xenophon  

Eine Ver