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schüchternen, scheu verschleierten Blick hinter den scharfen Brillengläsern, einem feinen Profil und schmaler, hoher Stirn; das dünne, dunkle Haar ringelte sich über den umgebogenen Halskragen, der vorn von einem kurzen, struppigen und schlecht gehaltenen Bart verdeckt wurde.

Seine Feder war zu hart für den Idealismus; es war der Herbst und das Rascheln welter Blätter, das sich seine Muse auserfor. Auch unter den Menschen giebt es Maulwürfe, und von diesen darf man keinen Lerchenflug verlangen; in seiner Bitterkeit, seinem Streben einen Platz auf dem Welt­theater einzunehmen, warf Gustav Lejer seinen Haß gegen die Bessergestellten, der durch jahrelange Entbehrungen geboren und ernährt worden, rücksichtslos auf das Papier.

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( Rachbrud verboten.)

Zur Helthetik der Städte.

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Das tapitalistische Zeitalter ist zugleich das Zeitalter der großen Menschenanhäufungen. Vor unsren Augen vollzieht sich eine Er hatte in Upsala studiert und sich dort den Doktor- grandiose Verschiebung der Bevölkerung. Der Geburtenüberschuß, grad erworben, dann jedoch plötzlich seine Studien ab- der in allen civilisierten Ländern, mit Ausnahme von Frankreich , gebrochen, um sich der litterarischen Laufbahn zu widmen. sehr beträchtlich ist, drängt hierhin und dorthin und verteilt sich in Welches Genre er für seine Schriftstellerei wählen sollte, ungleichen Massen auf die vorhandenen Siedelungen. Karl Bucher machte ihm fein Kopfzerbrechen. Seine eigne Stellung nicht mit dem einfachen Schlagwort vom Zuge nach der Stadt" ab­hat schon darauf hingewiesen, daß man diese Bevölkerungsverschiebung im Leben übte dabei ihr Recht. Er wurde natürlich Realist; thun kann, denn gerade die Orte, deren Bevölkerung am meisten es tam ihm lächerlich vor von Gold und grünen Wäldern zu zugenommen hat, und noch heute am raschesten zunimmt, sind Land­dichten, wenn man wußte, daß die Wirklichkeit den meisten gemeinden, und die Orte, deren Bevölkerung stehen geblieben oder nichts von alledem bot. gar zurüdgegangen ist, find Städte." Aber dieser Gegensatz zwischen der landläufigen Ansicht und den Thatsachen entsteht doch in der Hauptsache nur, weil der überkommene und in unserm öffentlichen haben ihre historische Mission erfüllt, find sozusagen untergegangen; Recht festgelegte Begriff der Stadt" veraltet ist. Viele alte Städte an ihrer Stelle sind neue sociale Gebilde aufgetreten, zum Teil unter Benutzung des Standortes der alten Städte, zu einem nicht unerheblichen Teile aber find sie auch aus Landgemeinden hervor gegangen. Was die städtischen Bevölkerungsanhäufungen der Gegenwart vor allem von den Städten der Vergangenheit unter­( Bucher ). Organisch ist dieses Wachstum, weil es tief im Wesen scheidet, das ist die organische Art ihres Wachstum 3." unsrer fapitalistischen Wirtschaft ruht. Die Arbeitsteilung hat die Bevölkerung erst aufgelockert und beweglich gemacht wie Flugsand. Noch vor hundert Jahren waren bei uns viel mehr Menschen in der Landwirtschaft" thätig als heute. Warum? Damals stellten die Bauern noch zumeist alle Hauptstücke ihres Lebensbedarfs in der eignen Wirtschaft her, ein Bauerngut war eine Eigenwirtschaft fchaft. Weder die gewerbliche Produktion noch die berufsmäßige in mehr oder weniger loderem Zusammenhange mit der Volkswirt­Ausübung des Handels hatten damals dieselbe Bedeutung wie heute. Daher denn auch die Städte, als Siß gewerblicher Produktion und berufsmäßigen Handels, von geringerer Bedeutung waren als heute. Vor hundert Jahren gab es noch keine hundert Siedelungen im damaligen Königreich Preußen, die nach unsren heutigen Begriffen den Namen Stadt verdienten.

Er trat mit seinen Schriften in die Deffentlichkeit, und die Kritik schwieg sein Buch keineswegs tot, im Gegenteil er­hielt es ganz umfangreiche Recensionen, doch bedauerte man, daß der Stil so ungewandt, die Materie so einseitig be­handelt, der Gesichtskreis zu eng sei und riet dem jungen Verfasser, zu reisen und das Leben kennen zu lernen, bevor er die nächste Arbeit in Angriff nähme.

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Einige Zeit darauf gelang es ihm, an einer Zeitung an­gestellt zu werden, das Gehalt war nicht groß einige Tausend Kronen aber der Dottor entschloß sich doch jetzt zu heiraten. Er war schon mehrere Jahre verlobt gewesen mit Luise von Harder, einem armen, kleinen adligen Fräulein, das jedoch vergnügt und hoffnungsvoll sich, zugleich mit ihrer älteren Schwester, die Zeit mit Romanlesen, Sticken und Bällebesuchen vertrieb, um dort wo möglich einen reichen Freier zu fangen. Ihre Mutter war tot, und der Vater, ein penfionierter Stapitän, hatte nichts weiter als seine Pension, um sich und seine Töchter zu erhalten.

Daß der Lejersche Name nicht im Adelskalender stand, war ein Kummer, das ließ sich nicht leugnen, doch Luise tröstete sich; sie war siebenundzwanzig Jahre alt, ohne die berauschenden Liebkosungen eines Mannes kennen gelernt zu haben, unmöglich konnte sie auf dieselben verzichten, weil Gustav nicht von edler Geburt war. Gnädige Frau konnte sie sich darum ja doch nennen lassen.

Wenn nun aber auch das organische Wachstum der modernen städtischen Bevölkerungsanhäufungen feststeht, so wird es doch in widerspruch zwischen der äußeren Gestaltung unfrer städtischen ihrer Gestaltung dem Beschauer nicht offenbar. Es besteht ein Siedelungen und ihrem inneren Werdegang. Aeußerlich sind die Die Kleine Luise hätte fast vor Wonne einen Luft- meisten weder nach einem weitausgreifenden Plane angelegt noch nach sprung gemacht, als ihr eines Abends Gustav Lejer seinen dem Geschmack, der hygienischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse, Antrag machte. Sie waren auf dem Heimweg von einer meinetwegen nach der Laune der Bewohner gefügt, sondern sie sind Feier; man hatte viel viel gesungen, teils Vaterlands- usammenspekuliert worden. Der Grund- und Boden­lieder, teils Ritterballaden und Liebesweisen, hatte auf ſpetulant im Verein mit dem Baulöwen hat uns die modernen alles mögliche angestoßen, und als dann der Doktor in den dieses wurde maßgebend, wenig eingedämmt durch obrigkeitliche Bau­Massenansiedelungen geschaffen. Das Spekulanteninteresse und nur Mondschein hinauskam, fühlte er sich erotisch gestimmt. ordnungen, die nur die bescheidensten Forderungen der Gesundheits­pflege und der Feuersicherheit durchzusehen suchen, im übrigen aber die Dinge gehen lassen, wie sie gehen. Daher haben wir diese gräulichen Steinwüften, in denen wir vegetieren müssen, diese lang­weiligen Pflasterzüge und Asphaltbahnen, die das Schönheits­empfinden abstumpfen, abtöten. Ist es nicht schon selbstverständlich Theodor Fischer in Stuttgart , daß man die Städte flieht, sobald geworden," so flagt der beste deutsche Meister des Städtebaues, man fann; ist es nicht ein öffentliches Geheimnis, daß jedermann Sie heirateten; die Jahre vergingen, jedes von ihnen die Bebauung unsrer Umgebungen fürchtet, ja geradezu haßt? So machte sie um irgend eine Hoffnung ärmer. Die gnädige verkehrt find die Dinge, daß, was dem Menschen ein Vergnügen, Frau" Luise tam zu der Einsicht, daß es in ihren jezigen der Natur ein Schmuck sein sollte, als das Widertvärtigste empfunden Berhältnissen lächerlich sein würde, sich anders als Frau Wir wissen wohl, daß es vordringlichere Aufgaben giebt, als die, Lejer nennen zu lassen. Jetzt waren die Kinder den menschlichen Massensiedelungen wieder eine anmutige, eine groß, so daß sie sich nunmehr recht gut hätten schöne Form zu geben. Wichtiger ist die Befferung der skandalösen stehen können, wenn nicht Lejer durch Bankrott der Zeitung Wohnungsverhältnisse, unter denen die ärmeren Schichten der Be­seine Anstellung verloren hätte und jetzt ganz darauf an­gewiesen war, von Feuilletonübersetzungen und gelegent­lichem Verdienst zu leben. Ein Buch hatte er nie wieder herausgegeben, höchstens schrieb er eine oder die andre Skizze, wenn noch allzuviel an der Miete fehlte.

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Das Drdnen der Zimmer war bald besorgt. Frau Lejer räumte den Frühstückstisch ab und wusch die Tassen, indem sie dabei ihre hausmütterlichen Sorgen Marie Luise, die in dem fogenannten Kinderzimmer saß, mitteilte. Sie mußte jedoch nahe zu der Tochter herantreten, um das Summen der Maschine zu übertönen.

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Wenn ich nur wüßte, wie ich es einrichten sollte," flagte Frau Luise; Vater verdient jekt ja so wenig. Ich kann fein Essen schaffen mit zwei leeren Händen. Ich möchte die sehen, die so sparsam wirtschaftet und so lange mit dem bißchen Geld auskommt wie ich."

( Fortsetzung folgt.)]

wird."

völkerung an Leib und Seele notleiden, wichtiger ist die Beschaffung von Luft und Licht in den Quartieren des Elends, die einwandfreie Reinigung der Straßen, die Einführung gefunden Trinkwassers in die braucht nicht Not zu leiden, wenn man das Nützliche thut, und das Häuser und die Wegschaffung der Abfallstoffe. Aber das Schöne höchste Wohlgefallen hat der Mensch an dem, was zugleich schön und nützlich ist. Darum ist die Forderung berechtigt und gut, daß auch für die Stadtanlagen ein moderner Stil ausgebildet werde.

Vor

Mit der Aesthetik der Städte hat man sich nicht erst seit gestern und heute beschäftigt. Das gute deutsche Volk der Theoretiker hat darüber schon eine ganze Litteratur. Nur geholfen hat sie uns bisher so gut wie gar nicht. Indessen ist auch in ihr eine Vorwärts­einem Dußend Jahren veröffentlichte der Ingenieur Camillo Sitte betwegung nach einem bestimmten Ziele deutlich erkennbar. in Wien ein Buch über den Städtebau nach seinen fünstlerischen Grundfäßen; ein treffliches Buch in seiner Art, das auch heute noch seine gute Wirkung auf Baukünstler ausüben wird, aber doch für uns aus einem wichtigen Grunde veraltet. Gitte hat sich mit emsigem Fleiße und großer Liebe in die Eigenheiten der alten Städte vertieft und besonders die Schönheiten der italienischen Städte studiert. Er ergründet die besonderen Wirkungen der verschiedenen