Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 196.

115]

Kleinbürger.

Mittwoch, den 7. Oktober.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Elisabeth Kuylenstjerna. Die abgehenden Schülerinnen hielten sich gerade und legten feierlich ernste Mienen an den Tag. Sie blidten auf merksam zu den Reihen der Lehrer und Lehrerinnen hinüber und schienen ganz die ausgelassene Lebhaftigkeit der Kinder­jahre hinter sich gelassen zu haben. Ein paar der jüngeren Lehrer verzogen den Mund bei diefer Paradestimmung und flüsterten sich Bemerkungen zu.

" Sie sind ja verteufelt elegant, diese jungen Damen, alias Backfische."

Ja, Potz Donner, so fein in weiß und rosa und was sonst noch für Farben; nur die arme Dora Lejer ist dunkel."

" Sie ist wie ein fleiner schwarzer Schönheitspfleck von brillantem Effekt zwischen all diesen hellen Farben. Aber still jetzt, der Rektor will reden, hoffe, daß er es nicht zu Tang macht!"

,, Meine lieben, jungen Freundinnen

Der Rektor batte zwei Generationen aus der Schule geredet und verstand sein Bublifum zu nehmen; er wußte genau, wo er etwas mit der Stimme vibrieren mußte, um Sensation bei den Eltern und Angehörigen zu erregen; ja, er hätte den Augenblick voraussagen können, wo alle Mütter Taschentücher auf dem Wege zu den Augen die Luft parfümierten.

Eine Viertelstunde ungefähr chassierte er hin und zurück auf dem gebohnerten Boden der Redegewandtheit, bewegte sich untadelhaft zwischen zarten Knospen", der Jugend Lerchen­flug" und des Lebens Frühling", ohne auch nur ein einziges Mal die Begriffe zu verwechseln, zuletzt machte er chaîne mit allem zugleich, ein besonders stattliches und geschmackvolles Finale.

Frau Lejer und Marie Luise saßen in der äußersten Ede des Saales, dicht aneinander gedrängt von einer diden Frau, die Platz für sich wie auch für ihre Spitzen und Perlen be­anspruchte. Sie ließ ihr Seidenkleid vornehm über den Boden schleppen und betrachtete den Rektor durch ihre goldgefaßte Lorgnette. Dann und wann glitt ihr Blick zu den beiden Töchtern hinüber; die ältere konnte feinen großen Erfolg er­warten; sie war schief, das arme Kind, und hatte kaum etwas in einem Badeorte wie Marstrand zu suchen, aber die jüngere -o, sie würde die Königin der Saison werden, und sicher im Herbst verlobt sein. Verlobt! Eines Schwiegersohnes Säbel­geraffel flang bereits in der Schwiegermutter Ohren, und sie lächelte sehr zur rechten Zeit übrigens, denn der Rektor war gerade beim Lerchenflug".

Frau Lejer hatte die Hände mit den schwarzen, baun­wollenen Handschuhen um das Taschentuch geschlossen und faß andächtig still, dann und wann zur Bekräftigung mit dem Kopfe nickend, und langsam wackelten die alten, lila Federn auf ihrem Kapothut mit.

Wie schön er sprach, der Rektor, sie hätte diese Worte auf schreiben mögen von der Blütezeit der Herzen", welche welche, nein, sie hatte es schon vergessen, denn sie mußte jetzt gerade daran denken, daß die Kalbskoteletts gewiß nicht zu Mittag ausreichten.

Als dem Rektor von Lehrpersonal gedankt war, begann der Gesang. Die frischen, jungen Stimmen waren schnell mit den Liedern: Der Winter streicht durch unsre Wälder" und Der Frühling ist gekommen" fertig, darauf folgte ein feier­liches Vorspiel, die Orgel sette in langsam erhabenem Tempo ein, die ganze Versammlung erhob sich, und voll tönte der Gesangvers: Herr segne Tu und rate" und so weiter durch den ganzen Saal.

Es war zu viel für Frau Lejer, sie schluchzte laut, als sie so in ihrer Ecke stand, zurückgedrängt, wie sie eigentlich ihr ganzes Leben hindurch war. Sie war so schön, so erhebend diese Andacht, die hier in weichen Tönen aus den jungen Herzen strömte. Als sie Schulmädchen gewesen war vor vielen, vielen Jahren, hatte sie denselben Vers gesungen; fie er­innerte sich so vieler fleiner Begebenheiten aus jener Zeit. Es stand ein kleines, gelbgemaltes Landfuhrwerk vor dem Schulhause, um die kleine Luise von Harder zu holen; und

1903

ihre ältere Schwester, das schon erwachsene Fräulein Selma, flüsterte ihr von den kommenden Vergnügungen in die Ohren, von den Kadetten, welche man zu Hause erwartete, von den Krebspartien und den Ruderfahrten im Mondschein! Ach ja! Das war damals! Frau Lejer trocknete sich wiederholt die Augen. Sie mußte nun ja gleich herantreten und der Vor­ſteherin für Dora danken. Sie strich das Kleid glatt und rieb auf einem eigensinnigen Fleck, der immer wieder hervor­fam, obgleich sie ihn heute morgen gründlich mit Benzin be­handelt hatte.

Marie Luise ging schon nach Hause voraus, es würde ja noch lange währen, bis es der Mutter gelänge, sich einen Weg zu der Vorsteherin zu bahnen, es war nicht wert, darauf

zu warten.

schüchtern und verlegen zwischen aller Eleganz und allen Im Konferenzzimmer stand Frau Lejer ein wenig Komplimenten, dieſem Duft von Parmaveilchen und füßesten Schmeichelworten, diesem Gedränge von ausgestreckten Händen und elegant gewählten Worten. Endlich kam die Reihe auch an fie.

,, Vielen, vielen Dank für alle Güte gegen meine kleine Dora!" stammelte sie, die feine, scharfgeäderte Haut ganz rot vor Erregung.

Beste Frau Lejer, es ist mir eine Freude gewesen, daß ich etwas für das junge Mädchen habe thun können!" sagte die Vorsteherin mit ihrer gemessenen, dünnen Stimme und streckte herablaffend drei Finger ihrer weißen und ring­geschmückten Hand der kleinen, bescheidenen Mutter" ihrer Freischülerin entgegen. Sie bekommt ein gutes Abgangs­zeugnis, von dem sie, hoffe ich, Nußen für die Zukunft haben wird!" fügte sie hinzu. Sie suchen wohl eine Stelle für sie, kann ich mir denken."

Frau

Ja, wenn sich nur etwas Passendes" fände." O, Sie haben ja einflußreiche Verwandte." " Ja, meine Schwester, Fräulein von Harder," Luise betonte leise das bon" verkehrt in unsren an­gesehenſten Familien, aber sie ist so selten in Stockholm . Sie wohnt in Upsala; meistens jedoch ist sie bei irgend einer ihrer Bekannten auf Besuch."

" Jaja!" erwiderte die Vorsteherin und nickte mit einem liebenswürdigen Lächeln über dem ganzen Gesicht. Wer sie kannte, wußte, daß dies Lächeln so viel hieß als: jetzt habe ich nicht länger Zeit, und Frau Lejer beeilte sich auch, sofort zu verschwinden.

Vor dem Eingang traf sie mit Dora zusammen, die ganz blaß und verweint nach dem Abschied von den Mitschülerinnen dastand. Sie hatten sich freilich verabredet, sich bald wieder­zutreffen, aber wenn auch Dora in diesem Augenblick nicht daran zweifelte, daß sie ihr Gelübde halten würden, fürchtete sie doch, daß sich ihre Wege vielleicht nie mehr mit denen der Freundinnen freuzen würden.

Am Abend begleitete sie Ebba zur Bahn. Es waren eine Menge junger Mädchen auf dem Perron versammelt, und Ebba bekam so viele Blumensträuße und Konfekttüten, daß eine ganze Ecke des Coupés damit gefüllt war. Sie selbst stand eifrig schwabend und nickte im Fenster. Der kofette Hut mit seinen Veilchenbouquets am Rande und seiner hohen Tüll­rosette saß keck auf dem blonden, lockigen Kopfe, und das hell­graue Bolerojäckchen schloß sich eng um die anmutige Mädchen­büste.

Sie tauschte so viele Versprechen aus, Briefe schreiben und Photographien schicken zu wollen, daß man leicht an­nehmen konnte, sie würde die Hälfte davon vergessen, es fiel indeffen kein Hauch des Zweifels in diese jungendlich begeisterte Stimmung.

Endlich ertönte das Abfahrtssignal, einige vergnügte Studenten riefen der fortgehenden Ballflamme ein Hurra nach, ein paar Mädchenstimmen fielen halblaut ein, ein lebtes Bouquet wurde fühn in das Wagenfenster geschleudert; und ein paar Minuten später hatte die schnaubende Lokomotive den ganzen langen Zug von Wagen mit sich durch den Tunnel unter den Straßen von Södermalm gezogen.

Dora ging ein Stück des Heimweges in Gesellschaft einiger Kameradinnen, beim Königsberg trennten sie sich und Dora sette alleir ihren Weg den steilen Berg hinauf, der still und unbelebt im blassen Licht der Abendsonne dalag, fort.