Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 203.

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Kleinbürger.

Freitag, den 16. Oktober.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Elisabeth Kuylenstjerna. Tante Selma und Tante Malvina find draußen," sagte Dora mit einem kleinen Anflug ehrfurchtsvoller Ergebenheit im Tone.

Nein, was höre ich, Selma! Ich wußte gar nicht, daß Du in Stockholm seiest," trat Frau Luise voll freudiger leber raschung zu den beiden vornehmen Gästen, die selbst verständlich im Sofa Platz genommen hatten, in das Wohnzimmer. Guten Tag, liebste, beste Malvina, wie freue ich mich, Dich zu sehen."

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1903

Die Oberstin schauderte indessen bei dem Gedanken an den Cichorienkaffee, den sie womöglich zu trinken bekäme, und antwortete für beide, ihre Cousine und sich:

,, Nein, danke, beste Luise, die Mühe sollst Du Dir nicht machen; laß uns lieber ein wenig miteinander plaudern, wir haben ohnehin nicht allzulange Zeit. Man hat immer so viel zu thun. Meinst Du nicht, Selma, daß wir jetzt Quise von Marikas Vorschlag sagen müssen?"

Ja, freilich, willst Du, meine liebe Malvina-?" Fräulein Selma 30g sich bescheiden zurück, um das Feld der guten Malvina zu lassen, die ihre würdevollste, eigens für wohlthätige Zwecke" eingelernte Miene aufsetzte und

begann:

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,, Also, als ich neulich Marika auf einem Diner bei Oberst­lieutenant Crones trafja, die keunst Du wohl nicht, liebe Luise charmante Menschen! fragte sie mich, ob ich nicht Dora stand schweigend am Fenster und sah, daß die ein junges Mädchen kennte, der es nötig wäre, ein wenig Augen ihrer Mutter, wie stets beim Anblick einer der Ihren" herauszukommen. Marika beabsichtigt in ein Bad zu gehen strahlten, als fühlte sie sich in eine glückliche Vergangenheit und möchte gern eine junge Dame zur Gesellschaft und Hilfe zurückversetzt. Wie die Sonne über eine Herbstlandschaft, so haben; sie ist ja so allein jest, seit ihre Tochter in Italien ist." zog es über das kleine, welke Gesicht, und die kummervolle Aber hat sie nicht Geschwisterkinder?" wagte Frau Luise Alltagsmiene verschwand gänzlich daraus. Tante Selma" bescheiden einzuwenden und suchte behende die Zweige eines Fräulein von Harder erwies ihnen zwei- oder dreimal im neuen Stammbaumes in ihren etwas welt gewordenen Ver­Jahre die Ehre eines Besuches, und dann meistens in Bewandtschaftserinnerungen hervor. Ihre Schwester heiratete gleitung Tante Malvinas der Oberstin. doch einen

Als sie über die üblichen Redensarten von Wetter, Ge sundheit und dergleichen mehr hinweg waren, begann Tante Selma in ihrer würdevollen, gemessenen Weise:

Wir haben einen fleinen Auftrag, liebe Quise. Ich weiß nicht, ob Du Dich noch Marita Silfversvärds erinnerst, sie hat später einen Baron Ufjtöld geheiratet und ist jetzt Witwe.'

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Marifa, gewiß erinnere ich mich ihrer."

Wirklich, erinnerst Du Dich noch?" sagte die Oberstin, so verwundert über Frau Luisens gutes Gedächtnis, als ob dies bis in die Heidenzeit zurückgehen müßte, um die gute Marifa zu erreichen.

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" sa, alles aus meiner fröhlichen Jugendzeit steht so lebhaft vor mir!" sagte Frau Quise. Es ist ein großer Unter schied zwischen einst und jetzt, das muß ich sagen. Kein Mensch ahnt, welch ein Leben ich jetzt habe."

Dora errötete vor Scham darüber, daß die Mutter ihre Armut so zur Schau trug. Warum mußte sie diese immer wie einen Klingelbeutel jedem entgegenstrecken, um ein Alomosen des Mitleids zu erhalten?

Fräulein Selma fand ebenso wenig Wohlgefallen an den Klagen ihrer Schwester über ihre petuniären Verhältnisse. Mit einer gewissen, abweisenden Schärfe sagte fie:

Liebe Luise, versuche doch, das ständige Klagen und Stöhnen zu lassen! Mich dünkt, Ihr müßtest Euch jetzt recht gut stehen. Magnus, denke ich mir, hat auch wohl mit dem Reisegeld geholfen?".

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Ja, das Allernotwendigste hat er Sven gegeben." Run, liebe Dora," fragte Tante Selma diftatorisch, ,, was treibst Du denn zur Zeit, hilfst wohl Marie Luise?" Ja, das thue ich."

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Dora blieb beharrlich am Fenster stehen, immer darüber nachsinnend, was für ein kleiner Auftrag" es wohl sein mochte, der die beiden hierhergeführt hatte. Konnte da wo­möglich Aussicht auf irgend ein Vermögen sein? Ihr Herz schlug sehnsuchtsvoll bei dem Gedanken, unter Jugend hinaus­zukommen und vielleicht vielleicht mit ihnen vergnügt zu sein. Wie schade, daß weder Gustav noch Marie Quise zu Hause sind," sagte Frau Lejer bedauernd. Sie würden sich so gefreut haben, Euch zu sehen. Aber Ihr habt es vielleicht nicht so eilig," fügte sie fast bittend hinzu. Darf ich Euch nicht eine Tasse Kaffee anbieten? Er soll so schnell wie möglich fertig sein."

Die Infonsequenz, zu klagen, wie schlecht es ihnen ging, und schon in demselben Augenblick durchaus etwas anbieten wollen, hatte die kleine Frau Luise sich nie recht klar gemacht; ihre Gastfreiheit war eine nie versiegende Quelle, sie konnte deren Strom nicht hemmen. So lange man noch auf Kredit nehmen fonnte, so lange mußte auch der Besuch traftiert werden, das war ihr Ehreusache.

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Gadde, ja, das stimmt," unterbrach sie die Oberstin. Diese haben aber nur zwei Töchter. Aine und Ebba, und von ihnen will natürlich keine eingesperrt bei einer alten, kränklichen Tante sitzen, außerdem sind sie auch auf Reisen." " Ja, denke Dir, daß Marika so elend ist," fiel Fräulein Selma dazwischen.

" Sie hat aber doch alles, was sie braucht, das ist eine schöne Sache. Wer nicht weiß, was arm sein heißt, hat sich noch nicht viel versucht," fam Frau Luise wieder auf ihr altes Kapitel.

Dora stand voll Ungeduld am Fenster und war auf das Resultat gespannt. Natürlicherweise betraf es sie. Diese Marita wollte etwas für ein armes Mädchen thun, so würde der Schluß lauten. Dora hatte dergleichen früher gehört. Sie sollte sich dankbar verneigen und den Platz einnehmen, den Ebba natürlich nicht haben wollte, weil sie reich war. Sie setzte sich und fenfte ihr heißes Gesicht über die Handarbeit, welche sie erst unberührt auf dem Tische hatte liegen lassen. Jezt schien es ihr fast, als gehörte es zur Situation.

Die Ueberlegungen auf dem Sofa wurden fortgesetzt, und Frau Luise rief jetzt:

Komm her, Dora!"

Dora erhob sich; es fam etivas feindlich Steifes und Gerades in diese schlanke Mädchengestalt. Intensiv drängte sich ihr die Erinnerung auf, wie oft fie Parade gestanden hatte, um für ein abgelegtes Kleidungsstück, ein unbedeutendes Geldgeschenk oder dergleichen zu danken.

" Ja, liebe Dora, es handelt sich darum, falls Du Lust hast, im Sommer auf das Land zu kommen, das möchtest Du aber wohl gar nicht," versuchte die Oberstin zu scherzen und setzte sich fester ins Sofa.

" Ja, das mundet wohl nicht, feine, gute Speisen zu be­kommen und neue Orte fennen zu lernen," ging Tante Selma auf den Scherz ein, indem sie es sich auf der ganzen Sofabreite bequem machte.

Liebe Dora, Du bist wohl ganz bestürzt über so vick Gutes und Schönes," gefellte sich der Mutter dünne, müde Stimme als Refrain zu den Worten der beiden andren. Ich weiß nicht, wie wir Tante Malvina und Tante Selma, die so freundlich gewesen sind, an Dich zu denken, genug dafür danken sollen. Du wirst in einen Badeort kommen, Kind, und dort den ganzen Sommer bei der Baronin Ufsköld, der Tante Deiner lieben, kleinen Schulgefährtin Ebba Gadde bleiben. Nun, es wundert mich gar nicht, daß Du so verdutt dreinschaust, etwas so Großartiges hattest Du Dir wohl nicht träumen lassen?"

,, Nein," antwortete Dora wahrheitsgemäß, worauf sie sich zu einem stereotypen:" Ich danke Euch" verneigte.

" Du siehst so mürrisch aus, Dora, das taugt nicht; junge Mädchen müssen freundlich und vergnügt aussehen, wenn sich jemand um sie fümmern soll," ermahnte Tante Selma. Wenn