Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 212.
21]
Kleinbürger.
Donnerstag, den 29. Oktober.
( Nachdruck verboten.)
Roman von Elisabeth Kuylenstierna. Frau Lejer mußte bekennen, daß die Tochter sich dieser Verschwendung schuldig gemacht hätte, worauf Fräulein Selma mißbilligend mit dem Kopfe schüttelte, so daß die echten Federn auf ihrem Kopfe wackelten.
So trennte man sich draußen vor der Kirche, und das junge Paar fuhr in sein neues Heim.
Es war eine fleine einfache Wohnung zu Anfang des Luntmakaregatan, drei Treppen liefen sie wie ausgelassene Kinder um die Wette hinauf, um in ihr erträumtes Königreich zu kommen.
1903
sicht beiseite. Dann reichte er die Hand über den Tisch und sie legte ihre hinein. Sie schauten einander innig in die Augen, ohne ein Wort zu sagen, aber dieser feste, schweigsame Händedruck war auf beiden Seiten ein redliches Gelübde, in allen Prüfungen der Zukunft zusammenzuhalten und zu versuchen, einander die Wege zu ebnen.
Dora fühlte sich so einsam zu Hause, seit Marie Luise auch fort war, die beiden Schulknaben waren das einzige jugendliche Element im Hause, und die lernten entweder oder zankten sich, boten also auch keine interessante Unterhaltung für eine Neunzehnjährige.
Margit und sie waren allerdings viel zusammen, doch einerseits war Margit so ernsthaft und bitter, und andrerfeits war sie so interessiert für ihre Arbeit, daß Dora mit ihrem lebhaften, unruhigen Sinn ihrer bald überdrüssig wurde. Eines mittags, als sie vom Comptoir nach Hause ging,
" Sesam , öffne Dich!" rief Marie Luise atemlos, als sie vor der Thür standen, und Nils drehte mit stolzem Eigentümer- fam ihr von ungefähr eine junge, elegant gekleidete Dame recht den Schlüssel im Schloß. entgegen.
Jetzt waren sie in ihrem eignen kleinen, engen, dunklen Flur, die Thür wurde eilends geschlossen, die Welt, jene Welt, in welcher der Kampf um das Leben von keiner Ruhe weiß, lag draußen- in diesem Augenblick fern dem Bereiche ihrer Gedanken.
Marie Luise vergaß, daß sie gefahren war und putzte sich die Füße auf der neuen Strohmatte ab, dann hängten sie beide ihre Mäntel an den kleinen Zeugriegel, es sah so bewohnt aus, meinten sie.
Wie hübsch in Ordnung doch alles war, da hing die Bürstentasche, die Frau Hedwin gestickt, und darüber der Spiegel, stolz in aller Einfachheit.
" Jezt gehen wir in unser Wohnzimmer," sagte Marie Luise unter einem nervösen Fieberschauer des Glücks; die Träume langer Jahre waren nun endlich verwirklicht, und nach Ungewißheit, Thränen und Kämpfen hatten sich des Paradieses Pforten geöffnet.
Es war ein anspruchsloses Paradies mit alt gekauften Möbeln, ohne viele Kunstgegenstände und mit unzähligen Mängeln, aber alles dies sah Marie Quise nicht, für sie war es das Heim, nach dem sie sich unaussprechlich gesehnt, und das, mit den Augen der Liebe betrachtet, ihr reich und warm und hell erschien.
Ein Mädchen wollten sie nicht annehmen, Marie Luise konnte sich so gut selbst behelfen, wenn sie nur für die gröbften Arbeiten eine Hilfe bekam, und als sie an diesem ersten Abend ein den Umständen nach ganz lukullisches Mahl bereitet hatte-- Nils hatte überdies decken geholfen erschien ihr das Wirtschaften wie eine Spielerei.
Die Lampe leuchtete auf dem weißen Tischtuch, wo die drei oder vier Assietten mit Aufschnitt die Butter umrahmten. Eine neusilberne Theekanne hatten sie wirklich als Hochzeitsgeschenk bekommen, doch wenn sie allein waren, sollte sie nicht benutzt werden, dann mußte eine einfache Sanne aus Thon Dienſt thun. Marie Luise hatte ein Veilchensträußchen vor Nils Play hingestellt, und mit unermüdlichem Eifer bereitete sie jetzt Butterbrote für ihn. Er erwies denselben alle Ehre, und ihr machte es findliche Freude, dieselben so lecker wie möglich herzustellen.
Siehst Du, Nils, jetzt haben wir den Lohn für unser geduldiges Warten," sagte sie warm,„ übrigens sind drei Jahre gar nicht lange, wenn man darauf zurückblickt. Es giebt viele, die sieben, acht Jahre lang verlobt sind."
" Ja, das ist freilich wahr, aber da haben sie wohl bessere Aussichten, auf die sie warten. Wenn wir noch zwanzig Jahre gewartet hätten, wäre es wahrscheinlich auch nicht besser geworden, aber wenn Du zufrieden damit bist, wie es ist, will ich auch versuchen es zu sein. Ich finde, es ist ein ruhigeres Gefühl, jezt da alles klar ist.".
" Ja, viel ruhiger ist es. Jetzt kann keine Macht der Welt Dich mir entreißen. Bis jetzt war es immer, als müßte ich Dich mit vielen andren teilen. Deine Mutter und Schwestern wollten Dich wenigstens ebenso sehr besigen wie ich, und dann trennte uns die Arbeit. Jezt habe ich hier alles in einem Rahmen, und ich bin so dankbar, so glücklich, mein Nini."
Sie waren mit essen fertig, und er legte die Serviette mit einem sonnigen Ausdruck auf seinem sonst so ernsten Ge
,, Guten Tag, Dora," rief eine frische, leicht schnarrende Stimme, kennst Du mich nicht wieder?" ,, ja, gewiß, Ebba Gadde!"
Doras Gesicht leuchtete auf und strahlend reichte sie der Freundin die Hand.
„ Es ist entseglich lange her, daß wir uns nicht gesehen haben," sagte Ebba, ich habe mich ordentlich danach gesehnt, einmal mit Dir plaudern zu können. Auf die Dauer ist es nichts mit dem Schreiben, außerdem habe ich solche große Korrespondenz, ich bin es wohl, die Dir einen Brief schuldig ist?"
" Ja, es ist über ein Jahr her, daß ich zuletzt schrieb. Ich dachte, Du hättest mich vergessen."
Nein, Liebste, sicher nicht, aber wir sind ja selten in Stockholm , ich bin hier im Winter einige Monate zu meinem Vergnügen, sonst wohnen wir auf dem Lande. Ich reise heute abend nach Hause, aber was hast Du diesen Sommer vor, Dora, fannst Du mich nicht besuchen?"
" Ich bin am Comptoir, aber ich werde wohl Urlaub bekommen, und es wäre so reizend, zu Dir zu kommen, aber ich weiß nicht.
11
" I
„ Du bist dieselbe dumme, schüchterne, stolze Dora wie früher. Nie willst Du mir glauben, daß ich etwas von Dir halte," rief Ebba in ihrer rückhaltlosen, herzlichen Art aus, indem sie ihren Arm in den der früheren Schulfreundin schob. Laß mich nur Deine Adresse wissen, dann will ich schreiben und Dich einladen. Wohnst Du noch in der Vasavorstadt?" " Ja," versetzte Dora und nannte zur Sicherheit Nummer und Straße zweimal, bevor sie sich trennten, fie mußte immer daran denken, ob Ebba es wohl vergessen würde oder ob es nur eine Redensart gewesen wäre, und sie teilte ihre Besorgnis Margit mit.
"
,, Nun, ich möchte Dir immerhin raten, nicht allzu fest darauf zu bauen," sagte Margit herbe, solche Versprechen werden im selben Augenblick gegeben und vergessen, das ist das Recht des Reichtums, zu versprechen und nicht zu halten." Dora saß still und niedergeschlagen da.
" Ich glaube nicht, daß Ebba derart ist," sagte sie endlich, doch ohne ihre gewohnte, kampfeslustige Heftigkeit im Tone. Margit hatte sie mißtrauen und zweifeln gelehrt, und die unbewußten Lektionen schienen Frucht in Doras empfänglichem Gemüte zu tragen. Seit des Vaters Tode war etwas Müdes, Gedrücktes über sie gekommen; der stille, einförmige Kreislauf der Tage erschöpfte sie viel mehr als lärmende Vergnügungen es gethan hätten. Margit war auch gerade keine erheiternde Gesellschaft. Der Frühling ist eine schwere Zeit für alle zarten Gemüter. Es liegt so viel Aufreibendes und Aufregendes in der lebensfräftigen Luft, dem sprießenden Grün, dem jubelnden Vogelgesang.
Die beiden Mädchen, welche den ganzen Vormittag in dem düsteren Comptoir saßen, waren blaß und mager geworden, und über ihrer ganzen Erscheinung lag etwas Ernstes, Mattes. Margit beobachtete mitleidig Doras verändertes Aussehen und dachte bitter, daß die große Lebensmühle sie auch bald zu einem Zahn in ihrem schweren Arbeitsrade machen würde.
Weißt Du, Margit," sagte Dora an einem Sonnabend. nachmittag, Anfang Juni, morgen will ich mir einmal