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Zum Glück verstummte die Musik. Sofort fühlte er sich erleichtert. Madeleine stand auf und setzte sich neben ihn, und wieder schien der Duft, den das junge Mädchen ausströmte, der An­blickt ihres schöngeformten Halses, über dem das schöne Haar saß, wie Vergessen und Entzücken auf ihn zu wirken.

"

Sind Sie ein Freund der Musik?" fragte sie. " Ja, doch ohne besondere Unterscheidung. Die Welt der Töne ist mir nicht klar. Ich verwechsele eine Sonate von Beethoven   mit irgend einer Rhapsodie. Ich bin wie ein Mensch, der das Licht liebt, ohne seine Farben unterscheiden zu können."

Wie aufrichtig Sie sind!" sagte sie bewundernd. In allem, was Sie sagen, fühlt man die Aufrichtigkeit Ihres Wesens, Sie verbergen nichts."

Diese Worte trafen ihn wie die Berührung eines heißen Eisens. ,, Glauben Sie nur das nicht," entgegnete er bitter. fann lügen wie jeder andre."

Seit uralten Beiten ist sie auch in allen Zeilen Indiens   ein Gegenstand der Verehrung gewesen. In engster Beziehung stand und steht sie hier mit der Schlange. Auf allen Tempeln Indiens  , heimnisvollen Kriechtier auch die Gans vereint. Bei den Buddhisten die mit Schlangenbildern geschmückt sind, findet man mit dem ge­steht die Hansa, wie man die Gans bezeichnet, noch heute hoch in Ehren, weil angenommen wird, daß sie auf ihren Wanderzügen nach dem mythischen See Manafa fliege. Kalidasa   hebt in einem seiner Gedichte hervor, daß sie Sehnsucht habe, den heiligen See zu erreichen. Wie der Löwe als König der Vierfüßler, so wird die Gans als das höchste aller gefiederten Tiere erachtet. Sie war das ursprüngliche Symbol Brahmas; erst später trat der Schwan an ihre Stelle.

Ihre Würde behauptete sie auch noch im Zeitalter der Griechen Herrscherin der Unterwelt, heilig. Man schätzte sie hoch, weil sie und Römer. Bei den Griechen war sie der Persephone, der sie wegen ihrer Schönheit. Schon die vielumworbene Penelope be ihren Jungen eine aufopfernde Fürsorge erweise, und bewunderte sitzt in der Odyssee eine fleme Herde von zwanzig Gänsen, die aber Ich mehr zum Schmud für den Hof, als des Nuzens wegen gehalten werden. In Rom   war die Gans Juno geweiht. In ihrem Tempel " Notgedrungen vielleicht!" sagte sie lebhaft. Aber Sie auf dem Kapitol pflegte man jene geheiligten Gänse, deren Vor­lügen nicht aus Ihrer Natur heraus, darauf würde ich fahren einst bei dem Einfall der Gallier unter Brennus durch ihr schwören." Geschrei die Besagung gewedt und die Burg gerettet haben sollten. Voller Anerkennung äußern sich die klassischen Schriftsteller. Aristoteles   erklärt sie für ein scharfsinniges Tier, Aelian   lobt sie als mutig und dem Menschen zugethan, und Ovid   behauptet, fie sei an Mlugheit dem Hunde überlegen. Mehr kann selbst die größte Gans nicht verlangen.

,, Notgedrungen!" dachte er.

Und das Wort senfte sich tief in seine Brust wie ein Stein in einen Abgrund."

Wenn Sie wüßten, welche Notwendigkeit mich zwingt!" Es war bald zehn Uhr, er erhob sich. Wir dürfen das Gebot nicht verlegen," sagte er heiter. Madeleine begleitete ihn wie gewöhnlich. Doch ohne wie sonst an der Glasthür stehen zu bleiben, ging fie diesmal bis zur Thür des großen Salons mit. Dort reichte sie ihm die Hand.

Er war sehr bewegt. Der Reiz dieses jungen Mädchens, der Wunsch, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden, hatten ihren Teil an seiner Ergriffenheit. Doch hauptsächlich wurde er von dem Wunsch verzehrt, zu wissen, was fein Schicksal sein werde, wenn er den Sieg davontrüge, und was ihm entgehen würde, wenn er unterläge.

Er sah sie unvermittelt an und sagte mit tiefer Stimme: Verzeihen Sie mir... das, was ich Ihnen jekt sagen möchte, ist gewiß nicht recht... aber wann und wo soll ich es Ihnen sagen? Und wenn Sie es befehlen, werde ich dann nie wieder darauf zurückkommen...

Er senkte den Kopf und sagte ganz leise: ch liebe Sie!" Sie zitterte, ihre Augen wurden größer, aber sie ant­wortete, ohne zu zögern, ganz schlicht:" Und ich, ich erwidere Ihre Liebe!"

Er war tief ergriffen. Von allen Ereignissen seines Lebens war dieses doch das süßeste. Er sah jedes ferne Glück, alle geheimnisvollen Seligkeiten, all das holde Unbekannte, von dem er längst nicht mehr zu träumen wagte. Dieses schöne junge Mädchen hatte ihm mit wenigen Worten wieder die Welt erschlossen. Und wer weiß, sie wäre vielleicht trotzdem die Seine geworden, troß seines Ruins, trotz des ganzen zu fammenbruchs!

( Fortsetzung folgt.)

( Nachdruck verboten.)

Im Zeichen der Gans.

Das letzte Stündlein ist jetzt für die Mehrzahl ihres Geschlechts gekommen. Vordem, zwar nicht frei, wie der Vogel in der Luft, aber doch unbeschränkte Herrin der Weide und Brache, muß sie jetzt wohl oder übel ihre letzten Federn lassen. Heuchlerisch, wie immer, täuscht der Mensch auch sie mit Ränken und Tücken. Wie oft mag eine Gänsejungfrau sich verhätscheites Schoßkind dünken, wenn die Bauernmagd ihr Bissen um Bissen in das Schnattermündchen stopft, daß sie fast wähnt, in ihrem eignen Fett ersticken zu müssen. Die Unschuldige, die nicht ahnt, wie alle liebende Fürsorge schnöder Ge­winnsucht entspringt! Je mehr sie gehegt und gepflegt wird, desto ärger wird sie gerupft. Zu spät erkennt sie, daß ihr ganzer Lebens­zweck darin bestand, den Menschen behaglich schmaßend sagen zu Taffen: eine gute gebratene Gans ist eine gute Gabe Gottes.

In dem alten Pyramidenlande galt die Gans als heilig. Sie war Seb, dem Gott der Zeit, geweiht. Das Gänseei war das Sinn­bild des Welteies, aus dem die Welt hervorging. Man daher die Gänseeier nicht, wohl aber die freundlichen Legerinnen selbst. Denn höher noch als seine Götter stand dem Menschen die eigne liebe Person jeder Zeit selbst. Die Gänsezucht war im alten Aegypten sehr ausgedehnt. Auf den Grabgemälden werden große Gänse­herden dargestellt, und von dem vornehmen Würdenträger Ti wird in einer Grabinschrift gerühmt, daß er Tausende von Gänsen besaß.

Auf deutschem Boden hat die Gans einstmals eine ganz ähn liche Stellung bekleidet. Man hat an verschiedenen Orten kleine Bronzewagen ausgegraben, auf denen eine Anzahl von rohen Figuren die Götter mit ihrem Gefolge und ihren heiligen Tieren darstellt. Sie erinnern an jenen heiligen Wagen, auf dem nach dem Bericht des Tacitus die Erdgöttin Nerthus  , gezogen von Rindern, durch das Land fuhr. Diese fleinen Bronzewagen, die man für ein Kinderspielzeug halten könnte, haben zweifellos als Kultusgegen stände bei den Götterfesten Verwendung gefunden. Die Vögel, mit denen sie verziert sind, dürfen für Gänse angesehen werden. Die Gans als Wasservogel war denn auch der Schutzvogel des Ge­der regnerischen Jahreszeit in der symbolischen Bedeutung, daß, wenn wittergottes Thor. Man bereitete aus ihr die Festspeise am Ende der Wasservogel gestorben sei, das goldene Ei gefunden werde, d. h. die Sonne alsbald wieder höher steige. Als später der alte Gott Thor durch den heiligen Martin ersetzt wurde, trat die Gans auch zu diesem in Beziehung, und so verwandelte sie sich schließlich in den allwillkommenen Martinsvogel.

In ihrer Eigenschaft als Haustier hat die Gans gleichfalls eine wechfelvolle Bergangenheit hinter sich. Es hat den Anschein, als ob man noch im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. die Gans mehr des Aesop wenigstens ist die Gans und nicht das Huhn die frucht der Eier als des Fleisches wegen gehalten hat. In den Fabeln bare Eierlegerin. Daß die Griechen ihre Schönheit rühmten und sie als Schmuckvogel schätzten, wurde bereits erwähnt. Als ver­ständnisvolle Freunde des Gänsebratens erscheinen zuerst die Römer. Sie hatten zivar die Gänse zu den heiligen Wächtern des Kapitols erhoben, das hinderte aber diese skrupellos praktischen Herren der Welt nicht, die Gans auch auf ihren inneren" Wert zu prüfen. In den Zeiten des Kaiserreichs besaß man große Anstalten zur mehr und mehr in den Hintergrund, und diesen Platz nahm jetzt erst Zucht für die Tafel. Gleichzeitig trat die Gans als Eierlieferantin das Huhn ein. Besonders beliebt wurde ein kleiner Schlag, der von den Morinern, einer germanischen Völkerschaft an den heutigen belgischen Küsten, gezüchtet wurde. Zu Plinius  ' Zeiten trieb man große Herden nach Rom  . Ledermäuler, wie die römischen Großen waren, verstanden sie bereits die treffliche Kunst, Gänse mit Mehl, Milch und Feigen zu mästen, um große und schmackhafte Lebern zu erzielen. Horaz   erwähnt in den Satiren" die Leber der mit faftigen Feigen gemästeten weißen Gans.

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würdigen. Im gegenfakvollen Mittelalter entspann sich auch über Die germanischen Bärenhäuter wußten die Gans wohl zu sie ein hitzig geführter Kampf der Meinungen. Vorwiegend galt ihr Fleisch als ungesund. Der gelehrte Zoologe Aldrovandus  , im Jahre 1531 Lehrer der Arzneimittellehre in Bologna  , erklärte, Sänfefleisch mache hartnäckig. Nach dieser eigensinnigen Behauptung muß er selbst sehr viel verzehrt haben. Aber das eigentliche Kar­nickel des wilden Streites wat weniger die Hausgans, als vielmehr die Ringelgans  , oder, wie sie bezeichnet wurde, die Bernakelgans. Man fing jie, wie heute noch, an den holländischen und deutschen Küsten mit Hilfe von Lockgänsen, wenn sie aus dem hohen Norden eintrafen, und mästete sie mit Getreide zu sehr schmackhaften happen. Mit diesen Bernafelgänsen hatte es nun eine ganz sonderbare Be­wandtnis. Nach dem Zeugnis weitgereister Männer und den Forschungen tiefgründiger Naturkundiger entstanden die Bernakel­gänse nicht auf die gemeine Art aus Eiern, sondern aus faulendem Holz von Bäumen. Dieses faulende Holz fiel in das Meer und wurde hier in ein Krebsgeschlecht, die Entenmuschel, verwandelt. Die Enteumuschel war der Jugendzustand der Bernakelgänse, aus dem sie allmählich zu leibhaftigen Gänsen heranwuchsen. unsrer wunderbaren Welt ist ja alles möglich, und so lieh die gläubige Zaienwelt dicfen erstaunlichen Enthüllungen der aufklärenden Wissens

In

$ 199