Sie ist jedenfalls nicht sehr pünktlich."

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Um 3/46 erschien eine Dame; ein altes Mütterchen, die mit einem Lorgnon die Gemälde musterte. Um 6 Uhr rasselte ein Lieutenant im Paradeschritt durch die Nische. Um 47: ein alter Hustender Herr im Pelz; fünf Minuten vor 127: ein junges Ehe­paar, beide fehr chie, er Cylinder und hellgraue Handschuhe, sie Tuchtoftim auf Seide gearbeitet, rauschend und fnisternd. Nun ist's genug eine Stunde warte ich! Gans! Na warte, schreibe Du mir wieder! Es ist höchste Zeit, ich muß in die Oper."

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Er erhob sich und schritt hinaus; draußen in den Anlagen, die die Galerie umgaben, wurde er milder gestimmt. Lieber Himmel, fie kann ja auch plötzlich behindert worden sein. Ein Mädchen aus guten Kreisen fann sich nicht immer frei machen. Da kommt viel­leicht Papa oder Mama, oder eine Tante dazwischen einmal will ich noch Gnade üben." Als er so lautlos auf dem schneeüberwehten Pfade dahinging, schlugen Stiminen an sein Dhr. Die Sprecherinnen waren offenbar zwei junge Mädchen, die auf einem Parallelweg daherschritten und es nicht vermuteten, daß die klare Winterluft den Schall des ge­sprochenen Wortes weit trägt. Zuerst achtete der Sänger nicht auf diese Stimmen, als aber die Worte Holländer" und" Opernhaus  " an sein Ohr schlugen, wurde er aufmerksam.

Aber wo denn, Lilly, ich habe mich nicht getäuscht! Ich hatte doch mein Opernglas mit, man kann ja aus Saal XXIV bequem in die Nische hineinsehen. Und es saß ja auch kein andrer drin." Du meinst also sicher, daß er es war, Grete?" Sicher! Er war es ganz bestimmt!"

"

Nun, dann ist ja Dein Wunsch erfüllt; dann hast Du ihn ja ganz aus der Nähe gesehen."

Ach, Lilly, ich wollte, ich hätte ihn nicht bestellt; nun sind alle meine Jllufionen dahin. Der schöne Don Juan  , der rührende Holländer, der ideale Zampa ein gräßlicher alter Kerl mit dicken Falten unter den Augen und Krähenfüßen fingerlang. Der Mensch ist sicherlich nicht weit von sechzig." " Du übertreibst, Grete-!"

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" Fünfzig aber mindestens brrr! Werft das Scheusal in die Wolfsschlucht."

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IV.

Im Opernhause wartete man schon mit Schmerzen auf den Sänger der Titelrolle: Marschners" Heiling" sollte in Scene gehen. Endlich kurz vor 7 Uhr erschien der Erwartete, sehr einfilbig und in fich gefehrt.

Während er sich in seiner Garderobe ankleidete, hatte der Intendant und der Oberregisseur ein Zwiegespräch im Direktorial­Bureau.

Bitte, mein Lieber, arrangieren Sie die Sache," sagte die Exzellenz. Gleich darauf klopfte der Regiffeur an die Garderobenthür. ,, Darf ich' reinkommen?"

"

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36. Sie sind es 1 Bitte fehr I was giebt es Neues?" Nichts rein nichts. Will mich nur nach Befinden erkundigen! Sie haben neulich wieder einen famosen Holländer" herausgestellt. Heiliger Wagner! Die Arie fingt Ihnen keiner nach. Keiner zwischen Lissabon   und Moskau  !"

Der Sänger antwortete nicht, er schminkte sich gerade. Na, überhaupt die alte Generation," fuhr der andre fort, der sich auf ein Sofa gesezt hatte, die Alten, da ist noch Talent, Schule und Fleiß. Sie haben jest in zehn Tagen vier große Rollen gesungen, den Don Juan  , Wolfram  , Holländer und heute den Heiling. Das foll' mal einer von den Jüngeren leiften! Aber nun müssen wir Sie auch' mal schonen. Für den Lohengrin  " in kommender Woche werde ich Strömer als Telramund ansetzen."

Aber weshalb, Berehrter? Das ist ja wohl die Gala­Vorstellung zu Ehren des Besuches der fremden Majestát? Ich kann es sehr gut schaffen." ,, Nein, nein Sie sollen sich nicht überanstrengen. Sie sind für solche Feste zu schade."

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Aber erlauben Sie, es sind doch nur erste Kräfte an diesem Abend beschäftigt, und als Ortrud habt Ihr Euch sogar die Humann Scheint verschrieben? Da gehöre ich doch wohl auch auf die Scene?"

V

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" Ja natürlich, selbstverständlich aber wissen Sie was? Jch würde doch an Ihrer Stelle nicht fingen. Ist ja eigentlich eine gräßliche Partie, fein bel canto, feine große schöne Linie, und das ist doch gerade Ihr Fach, Liebster."

Der Sänger drehte sich langsam um.

Ja

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Sagen Sie mal offen: Ihr wollt mich wohl nicht mehr?" Aber Gott   bewahre wie kommen Sie auf den Gedanken? Wir Sie nicht wollen!! Den ersten Bariton der Welt!" ,, Also werde ich im Lohengrin  " singen?" gewiß! Das heißt, ich weiß nicht­" Wieso wissen Sie nicht? Was soll das heißen Ach, lieber Gott, gar nichts der Herr Intendant deutete nur an, daß es die fremde Majestät vielleicht interessieren würde, Strömer zu hören Der Sänger entgegnete nichts mehr, er fah nur lange in den Spiegel; draußen flang die Glocke des Dienstthuenden, beide Männer begaben sich auf die Scene.

"

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V.

Das Haus war mäßig gefüllt, aber der Beifallsdonner, der zur Bühne hinaufbrauste, ließ faunt eine Lücke in den Reihen ahnen:

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so herrlich hatte er lange nicht gefungen. Und große Thränen standen den Leuten in den Augen, als Heiling noch einmal, zum letztenmal die ganze weite Welt in seine Blicke faßte, in der er selig gewesen, als er von dieser Erde schied, um imten im Geisterreich an der Mutter Herz zu vergessen, was oben so lieb, so hold ihm gelacht.

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Alle Achtung, er fann doch noch," sagte am Schluß der Oper der Intendant, wir wollen ihn am Dienstag doch als Telramund nehmen. Arrangieren Sie die Sache, lieber Oberregisseur." Sehr wohl, Excellenz!"

Als der Oberregisseur in die Garderobe des Sängers trat, hatte dieser bereits das Kostüm mit dem bürgerlichen Kleid ver­tauscht. " Herrlich, herrlich, lieber Freund! War das ein Heiling"! Excellenz ist hingerissen. Er hat erklärt, daß er sich um die Wünsche aller Majestäten der Welt nicht schert. Sie, Sie müssen den Telramund fingen, der liegt Ihnen ja so prächtig, als ob der Wagner Ihnen jede Note auf den Leib geschrieben hätte."

Der Sänger nahm Hut und Stock und sah sich in dem Raum nach allen Seiten um. Er nickte hier und da hin und strich auch einmal über die Fläche des Spiegels, die so oft sein Bild wieder­gestrahlt hatte. Dann gab er dem Oberregisseur die Hand. Seiner

Adieu, Herr Oberregisseur. Empfehlen Sie mich Excellenz und sagen Sie ihr, Herr Strömer müsse schon in der Gala- Oper fingen."

"

Aber das geht feinesfalls, Bester."

lich find

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Es geht doch, verehrter Herr. Ich habe mich sechsundzwanzig Jahre redlich bemüht, der Kunst zu dienen und die Kunst zu ver­stehen. Kunst".- das kommt von Können" her. Und dazu gehört auch, daß man rechtzeitig gehen kann." Wie verstehe ich Sie recht? Sie der Sie noch so jugend­Sie wollten uns verlassen?" " Jugendlich? Heute morgen hab' ich's auch noch geglaubt, aber dieser Tag hat mich eines Besseren belehrt. Das geht manchmal sehr schnell! Und nun Adieu! Ich mache von meinem Rücktritts­paragraphen Gebrauch!" " Aber Bester- Einzigster der Lohengrin- 1" " Zum Lohengrin  " bin ich übrigens da, aber mit einem kleinen Unterschied gegen früher."

"

"

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Und der wäre?"

Daß ich ihn mir vom Parkett aus ansehe. Guten

Abend!"

Kleines feuilleton.

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gc. Vererbung überzähliger Finger und Zehen. In dem Siwilecki- Prozeß hat die Frage der Familienähnlichkeit eine große Rolle gespielt. Wie sehr charakteristische Merkmale mit einer Familie fich vererben, beweist die Thatsache, daß überzählige Finger oder Zehen in einer Familie seit mehreren Generationen vorkommen fönnen. Ein franzöfifcher Tierarzt hat darüber kürzlich interessante Einzelheiten berichtet. So hatte in der Familie Camelon der Urälter vater an jedem Fuße zwei große Zehen und an jeder Hand zwei Daumen. Dieselben waren bis zum letzten Gliede verwachsen; die letzte Phalang war frei und jede trug ihren Nagel. Bei seinem Sohne, dem Urgroßvater, waren Hände und Füße regelmäßig ge­baut. Der Sohn dieses Mannes, also der Großvater, besaß wieder an jedem Fußze zwei bis oben verwachsene große Zehen, deren jede einen Nagel trug. An den Händen waren die Daumen einfach, aber an jeder Hand waren der Mittelfinger mit dem Ringfinger verwachsen bis zur obersten Phalang, wo sie sich trennten und jeder einen Nagel zeigte. Sein Sohn hatte wieder, wie sein Urahn, an Händen und Füßen zweifache Taumen. Er ist kräftig, robust gebaut, gleich seinem gleichaltrigen Weibe. Dieser Ehe entsprossen sechs auffallend hübsche Kinder, drei Söhne und drei Töchter. Die Hände und Füße der drei Söhne und der einen Tochter find ganz normal; aber die zweite Tochter hat an der rechten Hand zusammengewachsene Daumen und an der linken Hand, wie ihr Großvater, den Mittelfinger verwachsen mit dem Ringfinger. Die andre Tochter besikt gleich ihrem Urahn und ihrem Vater an jedem Fuße und an jeder Hand zwei Daumen. Von ihren fünf Kindern besigen bier normalgebildete Extremitäten; bei dem fünften, einem Knaben, sind die beiden Daumen an den Händen in Gestalt eines verlängerten C nach außen gebogen. Einen ähnlichen Fall hat Quatrefage an Hühnern beobachtet. Ein Hahn mit zwei Sporen gab Anlaß zur Bildung einer neuen Species von vielzehigen Hühnern. Die Spielart hat sich verbreitet; in der ganzen Gegend findet man jeht nur Hühner mit überzähligen Zehen. Der neue Typus erhält sich und wird sich ohne Zweifel noch weiter fertpflanzen, gleich wie sich in der Familie Camelon das Verwachsen der Finger an den Händen vererbt hat. Man kann aber auch den umgekehrten Fall nachweisen, nämlich, daß das Fehlen eines Fingers sich vererbt. Ein solcher Fall hat sich vor mehreren Jahren zu Neu­ markt   in Krain   zugetragen.

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Berlensischerei bei Ceylon. Nachrichten aus Colombo   zufolge hat die Perlenfischerei, die zu Beginn d. J. nach einer ergebnislofen Bause von 11 Jahren aufgenommen und bis Ende April fortgesetzt worden ist, großen Erfolg gehabt; denn der Wert der gewonnenen Perlen wird auf 1 100 000 20. geschäßt. Bisher ist nur in fünf Jahren während der britischen Herrschaft dieser Betrag überschritten worden, zuletzt 1891, und da die einzelnen ertragreichen Perioden