Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 252.
Freitag, den 25. Dezember.
esb
1903
Von dieser Höhe kann ich schauen Hinab in das beschneite Land, Wo still die Dämm'rungsnebel brauen Um Turm und Giebel , Dach und Wand. Der Abend kommt mit leisem Schritte Und düstert sacht den grauen Flor Und ruft aus jener Häuser Mitte Ein Licht, das erste Licht hervor.
Noch eins. Und dort. Die Winde treiben Ein leises Jauchzen zu mir her, Und hinter ungezählten Scheiben Flammt wogend auf ein Kerzenmeer. Wie alle Fenster jäh erwachen, Vom warmen Atem angehaucht! Das Leben glüht in Lust und Lachen Und ist in Glanz und Licht getaucht.
Der Schein fällt auf die trüben Gassen; Der Abendnebel weicht und flieht; In finst're Ecken kriecht das Hassen, Und siegend rauscht der Liebe Lied Klang nicht hindurch ein leises Stöhnen? Was murrst Du, ewig wacher Groll? Die Welt ist rings von frohen Tönen, Don Schimmer, Pracht und Freude voll.
Blast nur ins Horn, ihr frohen Jungen! Du, Mädel, schmück dein Püppchen nur Der arme Tand ist bald zersprungen, Und rastlos weiter tickt die Uhr. Pflückt Nuß und Süßigkeit vom Baume, So lang' er voll von Früchten hängt, Wiegt euch im hellen Wundertraume, Mit dem die Weihnacht euch beschenkt..
Ich aber laß mein Auge wandern Noch einmal in das weiße Land, Wo eine Scheibe bei der andern Sieht flimmernd aus der grauen Wand. Wollt nicht das Licht so zaubrisch quellen,
Daß alle Finsternis zerrann?
Nun aber sehn mich zwischen hellen Auch dunkle Fensterhöhlen an?
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Wer bist du, der nicht Baum, nicht Kerzen Aus seiner Plage siegend trug, Dem in dem Festtag junger Herzen Nicht dankbar eine Seele schlug? Der nicht dem Jubelchor von Tönen Bringt heiter seinen kargen Zoll, Der in das Lied ein bitt'res Stöhnen, In Lust und Freude mischt den Groll?...
Der Abend schweigt. Auf Turm und Giebel Senft tiefer sich die Weihenacht.
Natur, fie öffnet ihre Bibel:
Des Werdens majestätsche Pracht.
Viel tausend Sterne glüh'n und funkeln
Bm Glanz, der alle Nacht durchbricht,
Und senden in die trüben, dunkeln, Die blinden Scheiben helles Licht.