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über sein Gesicht huschte ein listiges Lächeln. Mit einem Auge zwinkernd, ergöhte er sich an der Aufregung des Mädchens und zögerte abjichtlich.
Mit herabhängenden Armen, ohne sich zu rühren, stand Annuschka mitten im Sorridor, als warte sie auf etwas. " Durchsuchen!" rief der Gelbe mit seiner freischenden Stimme und deutete auf das Mädchen.
Die Menge stieß einen dumpfen Laut aus, der sehr schnell erstarb.
Die Aufseher machten sich daran, den Befehl auszuführen. Der eine untersuchte die Aermel, knöpfte das Kleid auf und entblößte den Hals des Mädchens. Der andre kehrie die Taschen um, sah in den Falten des Rockes nach und betastete die Strümpfe. Das Mädchen war starr ob der empörenden Behandlung und schauderte bei der Berührung der rauhen Hände des Wächters zusammen. Die Menge starrte sprachlos auf muschka und zog die Schultern ein, als hätten diese groben, falten Hände sie selbst berührt.
Der Gelbe stand daneben. Mit gierigen Bliden verfolgte er alle Einzelheiten der Untersuchung; ein gehässiger Ausdrud trat auf sein Gesicht, und seine glattrajierten Wangen zudten.
Es war ein peinlicher Augenblick. Alle fühlten sich gleichsam mitschuldig an der schimpflichen Handlung, die man an einem wehrlofen Geschöpfe vollzog, und konnten sich nicht gegenseitig ansehen. Richts," meldete der Wächter, indem er von dem Mädchen zurüdtrat,„ feine einzige Cigarette."
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" Laufen lassen," befahl der Gelbe und ging triumphierend die Akazien- Allee nach dem Hauptgebäude zu.
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Die Menge atmete auf; man pfiff, drohte dem Gelben mit den Fäusten und zerstreute sich.
Das Mädchen stand vor Scham wie versteinert; von den Strahlen der Sonne beleuchtet, stand sie mit entblößtem Hals, regungslos wie eine Statue, auf dem Korridor des Durchganges. Die Arbeiter gingen lärmend nach Hause und sprachen davon. Man vernahm ein Gesumme von lebhaften Reden, so daß die einzelnen Worte nicht herauszuhören waren, ein Chaos, aus dem einzelne Bemerkungen herausdrangen, wie:„ Solch ein Lump!" Annuschta ist nicht 10... Nur die Alten gingen mürrisch und schweigsam von dannen; fie waren an solche Scenen gewöhnt und glaubten nicht, daß sich der artige Zustände je ändern fönnten.
" Bei der ist nichts zu machen!"
Kleines feuilleton.
Nedartreise erscheinende" Leinthal- Bote" vom 9. d. M. enthält einen Scheiden thut weh! Der in Schwaigern im württembergischen Artikel, mit dem sich der Gerichtsvollzieher von Schwaigern , der unter dem Spiznamen„ Der Better von Schwaigern" in der Gegend bekannt war, vom Publikum verabschiedet. Das ebenso ungewöhnliche, wie rührende Schriftstück lautet: Des scheidenden Gerichtsvollziehers Abschied.
Motto:
Gefährlich ist es, Haß zu weden. Bergänglich ist der Leute Gunst, Und jedermann es recht zu machen Ist eine nie erlernte Kunst.
Der Better von Schwaigern tommt nicht mehr," so hört man allerorts die Leute sprechen. Ja, dem ist so.
Erlaube mir einige heitere Episoden aus meinem Tagebuche zum besten zu geben.
Ein Knabe, welcher seinen Vater holte, fagte mit lauter Stimme auf öffentlicher Straße zu ihm: Bater, geh' sogleich heim, der Better von Schwaigern ist gekommen." Als er fam, siehe da, der Gerichtsvollzieher stand in der Stube, welchen er mit verdugtem Gesichte anjah.
Eines schönen Tages mußte ich einen Besuch in einem Hause machen; dabei angekommen, fragte mich die allein anwesende Ehefrau, was ich wolle und was ich sei, worauf ich derselben entgegnete, daß ich der Hausleerer" sei.
Hierauf gab sie mir zur Antwort: Mann, da ist er in's leẞ Haus gefommen: er muß ins Schul- oder Pfarrhaus gehen." Lachend darüber setzte ich dieser Frau auseinander, daß ich der Gerichts. vollzieher sei, worauf sie mich mit großen Augen figierte. Nachdem ich 24 Jahre das schwierige Amt eines Gerichtsbollziehers im Bezirk Brackenheim mit mancher Todesgefahr befleidete und altershalber zurückgetreten bin, im Bezirk Heilbronn aber immer noch als Gerichtsvollzieher in Thätigkeit sein muß, nehme ich Anlaß, nach so langer Zeit mich mit dem Bemerken zu verabschieden, daß ich ein ehrlicher Makler jederzeit war und mit dem Bewußsein scheide: „ Ein ruhiges Gewissen: Ist ein sanftes Ruhelissen."
ein herzliches Lebewohl!
Als die Menge in Straßen und Gassen verschwunden war, kam Annuschka mit mehreren Freundinnen aus dem Durchgange; sie sage daher Freunden und Bekannten auf diesem Wege ging eilig mit ihnen den andren nach. Das Mädchen sah sich ers schrocken nach der Fabrik um, und hatte jetzt immer noch das Gefühl, als wenn man sie betastete... Ueber ihr Gesicht rannen dice Thränen Sie wollte schreien, um Hilfe bitten, doch neben ihr gingen ihre Freundinnen ebenso stumm und gebückt wie sie, und ebenjo hilf und ratios.
Weine doch nicht, mein Täubchen," sagte eine der Arbeiterinnen, indem sie eifrig die von dem Wächter umgekehrten Taschen glatt strich. Bist Du vielleicht die einzige, die man so beschimpft hat? Ueberall dasselbe, in den Webereien, in den Zwirnfabriken, überall dieselbe Geschichte. Es ist ja bekannt, der Gelbe läßt nur die Schamlofen in Ruhe, die es mit ihm halten."
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„ Und ein anständiges Mädchen muß er eben beschimpfen," sagte eine andre Arbeiterin.
Annuschka schüttelte den Kopf, wollte etwas sagen, konnte aber nichts herausbringen. Ihre Lippen verzogen sich trampfhaft, die Augen füllten sich mit Thränen.
" Du solltest Dein Kleid zumachen, meine Liebe; die Leute sehen ja her; sie denken Gott weiß was... Knöpfe Dein Kleid zu, Kindchen!"
Dabei stellten sich die Frauen um sie herum, um sie den Blicken der Passanten zu entziehen.
Annuschka wollte ihr Kleid rasch zumachen, doch die Knöpfe geHorchten nicht, die Hände zitterten, fie raffte das Kleid mit der einen Hand zusammen und wischte sich mit der andren die Thränen ab. Wenn er die Tochter des Fabrikbejizers so beschimpft hätte, so würde man dem Hallinken den Standpunkt flar gemacht haben," fagte eine ältere Frau und hustete herzbrechend. Der Tabafitaub that das Seinige, und die alte Arbeiterin fonnte lange Zeit das Husten nicht unterdrücken; die Alte that allen leid, und das Drückende der gemeinsamen Stimmung wurde dadurch noch verschärft.
Vor einem fleinen, schiefen Häuschen verabschiedete sich Annuschka von ihren Freundinnen und verschwand hinter der Thur. Die Arbeiterinnen gingen ebenfalls nach Hause und unterhielten sich dabei halblaut.
Wie sie getveint hat!... Na ja, ist ja auch eine Schande; daß sich ihr Bräutigam das gefallen läßt...
Was kann fie denn dafür?"
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Rückwärts die Blicke voll Dank und Loben Aufwärts das Herz zum Himmel erhoben, Borwärts in Hoffnung durch Freud' und Leid Zielwärts zur feligen Ewigkeit!
K. Bahm, Gerichtsvollzieher.
Der Mann hätte Pastor werden sollen.-
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Theater.
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Schiller Theater. Ein DuelL" Schauspiel in drei Aften von Franz Wolff.„ Ein Sonnenstrahl." Schauspiel in einem Aft von Robert Bach. Franz Wolff ist mit seinem Schauspiel Ein Duell" in die Reihe der Schriftsteller getreten, die sich die Aufgabe stellen, von der Bühne herab gegen Institutionen in unfrem gesellschaftlichen Leben anzutämpfen, die mit dem Geiste der Zeit offenbar in Widerspruch stehen, aber für bestimmte Streise immer noch maßgebend find. Die Handlung bietet in ihrer Entwicklung ein Beispiel dafür, wie durch den konventionellen Duellzwang oft aus ganz geringfügigen Anlässen Menschenleben ge= fährdet und rüftig emporstrebende Existenzen in ihrer vollen Schaffenstraft und Schaffensfreude gelähmt und bernichtet werden." So heißt es in den Bühnenblättern des SchillerTheaters. Der Ausdrud trifft das Charakteristische: Sandlung bietet ein Beispiel" in der That nichts als ein Beispiel. In sich selbst, in den Personen, die es uns vorführt, ohne jede Spur selbsteignen Interesses, lebt das Drama allein von dem, was es als Beispiel demonstrieren soll, und was irgend eine aus dem Gesellschaftsleben herausgegriffene Zeitungsnotiz genau so gut, ja, viel mehr, da sie nicht nebenher durch allerhand gesuchte Kon struktionen einen ärgert, besser und wirksamer erläutern fann.
Das Stück spielt in Wien . Der Sohn des LandesverteidigungsMinisters, ein hoffnungsvoller, jungverheirateter Bildhauer, gerät mit einem befreundeten Offizier über secessionistische Kunst, speciell über die pioletten Kühe der Maler, in Streit. Er behauptet, ein gebildetes Auge fieht auch in der Natur die Kühe violett, und als der andre das tomisch findet, nennt er in seiner burschifosen Künstlerart ihn einfach
" Ja, du lieber Gott, denken die Männer denn daran? Man blödsinnig. Der Herr entfernt sich, und nach einigen Minuten rüden hat sie beschimpft und
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Bielleicht werden sich ihre Eltern ihrer annehmen Was können denn die Eltern thun?" unterbrach die alte Arbeiterin, während sie die andern anfunkelte, an wen sollen sie sich denn halten? Wenn der Gelbe will, fann er uns morgen ebenso behandeln, und wir können nirgends anders hin. Die Eltern du lieber Gott, die Eltern!" wiederholte sie und hustete wieder.
Alle schwiegen und gingen, in trübe Gedanken vertieft, weiter; fie bemerkten nicht den schönen Sonnenuntergang und achteten nicht der vom Duft der Afazienbäume getränkten Luft und des herrlichen Strahlenfächers, der jich am Himmelsgeivölbe ausbreitete.-
die Sekundanten mit der Forderung an. Der Künstler, sehr ver nünftig, schickt sie lachend heim, er denke nicht daran, sich wegen folcher Kinderei zu schlagen. Sein Vater, der Minister, ein enragierter Berehrer alles Konventionellen, ist entsegt ob solcher Blamage. Da Drohungen nichts mußen, versucht er es mit einem Appell an das Mitleid. Wenn der Sohn sich nicht schlage, werde er um seine Benfionierung eintommen. Darauf stellt sich der junge Mann dem Gegner und wer sich in Gefahr begiebt, tommt darin um! erhält einen Säbelhieb, der seine rechte Hand auf immer lähmt. Mit einem Schlag sind alle seine Künstlerhoffnungen vernichtet. Es dauert aber lange, bis er über das Unglück, das der Zuschauer aus
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