-

58

End- lich nahmen sie Abschied! Und in langen Schritten| legte er die Diagonale dem Hause zu zurück, um ihr dort wie zufällig auf der Diele oder auf der Treppe zu begegnen und in zitternder Angst aus ihren geheimnisvoll glänzenden Augen und ihrer erregten Miene zu erraten, zu lesen, ob er die Diagonale, die direkt zu dem Elf führte, hinabstürzen mußte. Er sah sie so deutlich wie einen Tintenstrich über den Schnee direkt bis an die weißlich grünen Eisstücke führen, die halb schmelzend, eine schwarze Finsternis unter sich, in den Strom gegen einander anprallten.

( Nachdrud verboten.)

Europas gröfster flufs.

Rußland befikt in der Wolga, dem Ural , Dnjepr , der Kama , Petschora , Dwina sechs der größten Flüsse Europas . Der erst genannte, die Wolga , übertrifft alle andern großen russischen Ströme noch an Ausdehnung, ist aber im übrigen Europa nur wenig bekannt, obwohl er reichen Stoff zu Untersuchungen bietet und in geographischer, volkswirtschaftlicher, landwirtschaftlicher und naturwissenschaftlicher Beziehung von hohem Interesse ist. Der Riesenstrom durcheilt von der Quelle bis zur Mündung 3512 Werft( der Rhein nur 1243); seine Breite wechselt zwischen 700 und 2700 Meter und wird stellenweise zu einem unübersehbaren weer von 200 Werst Breite, so daß der Blick, wohin er sich wenden mag, nichts als Himmel und Wasser entdeckt. An manchen Stellen ist die Wolga 30 Meter tief und das durch sie entwässerte Gebiet über­Am Nachmittag schlich Minka auf den Saal hinauf. Sie trifft au Größe alles, was man in dieser Hinsicht in Europa zu stand an dem äußersten Fenster, von wo sie das hellgraue Sties- finden vermag. dach drüben beim Durchstich überschauen konnte. Der Ab- Twer bis zur Mündung für Dampfer fahrbare Wolga als Waffer­Dem entsprechend ist die auf der ganzen großen Strecke vom teilungschef Varberg wohnte nur eine kleine halbe Meile füd- verkehrsweg für Rußland von einer unberechenbaren Wichtigkeit; mit wärts auf einem Bauerngehöft am Elf.

Später grübelte er dann oben auf seinem Zimmer, fich die Hände zerkragend. War irgend etwas geschehen, war sie für ihn verloren oder nur auf dem Wege dazu? Und er gab sich, auf und nieder schreitend, rasenden, brüllenden Phantasien hin. Er wollte... er wollte.

Sie lauschte und lauschte. Es durchzuckte sie jedesmal, wenn die Dampfpfeife da drüben die Luft durchschnitt, als läge eine mystische Botschaft in diesem Pfeifen heftige, furze Stöße, lange, melancholisch klagende, plöglich) wild drohende, von einer Willenskraft erfüllt, die unwiderstehlich zwang. Feindselig pfiff und zischte es, giftig höhnend, mit lang aus gezogenem Nachlaut.

Wenn das Geheul der Eisenbahn in den tiefen, langen, anhaltenden Ton überging, lauschte sie in bleicher Ekstase. Das war sein Wille, der eine Brücke durch die Luft baute, bis hinüber zu ihr. Sie sah, wie sie sich zu einem feinen, ge­sponnenen, gleichsam aus Schatten gebildeten Nezwerk ge­staltete. Und sie mußte hinüber gehen, nur kraft seines Willens, auf höheren und immer höheren Bogen durch die Luft. Der Ton freischte in wild gellender Angst auf, und dann wurde es plötzlich still.

Das war ihre Schuld. Sie war kein genügendes Medium, nicht im stande, den ganzen Willen hinzunehmen. Tief unter ihr strömte schwindelnd der schwarze, schäumende Elf.

Und wiederum mußte sie sich weiter auf die Willens­bride hinauswagen. Denn es pfiff abermals und gellte zwingend, übermächtig.

Sie schwebte und schwebte, bis sie plöglich mit einem un fagbaren Entsetzen gewahrte, daß sie sich nicht mehr selber ge­hörte, daß sie im Begriff war, in eines andern, in seinen Willen und sein Wesen überzugehen, zu verschwinden, ihre Seele zu verlieren, unrettbar, umviderruflich.

Sie sah sein Gesicht mit dem verschleierten, rätselhaften Lächeln von gestern, das ihr sagte, wie fest er überzeugt war, daß er die Macht besäße.

Heute kam Varberg plötzlich nach Tische ins Zimmer, wo die Doktorin und Minta saßen, und fragte nach dem Doktor, der, wie er wußte, zu Hause erwartet wurde. Einer seiner Eisenbahnarbeiter hatte sich verletzt und bedurfte der ärztlichen Hilfe.

Er sah sich um, es war, als wolle er durch die Thür­öffnung dringen bis ins Eßzimmer hinein natürlich wollte er wissen, ob Thekla da sei. Schade, daß er sie nicht leiden kann, dachte Minka. Aber sie hatte auch so gar kein Ber­ständnis für alle seine Interessen. Und ein wenig verändert war sie jetzt auch und verheiratet, so ganz in Anspruch ge­nomumen durch ihre Frauenwürde.

Er wolle warten, fagte er, bis der Doktor zurückkäme, wolle nicht stören, bat Frau Baarvig, so lange hier sizzen und die Zeitungen lesen zu dürfen. Dann nahm er ein Notizbuch aus der Tasche und fing an, eifrig zu rechnen, wie es schien, in feinen Gedanken halb vertieft in die Angelegenheiten und Dinge da drüben bei der Eisenbahn.

Berthea kam und flüsterte der Mutter etwas ins Ohr, worauf diese sich erhob und hinausging.

Minka wußte, daß Berthea und Massi in den andren Zimmer auf der Lauer lagen, und daß es eine Kriegslist von Berthea war, die Mutter hinaus zu locken. Ihr lebhafter Geist phantasierte natürlich; jie war jo merkwürdig zartfühlend geworden, zwang ihr ihre Begleitung des Morgens gar nicht mehr auf.

Die Thür da drinnen öffnete sich und ein vorsichtiger Männerschritt knirschte mehrmals über den Fußboden. War nun Schulteiß auch da mit seiner unleidlichen Eifersucht! ( Fortsetzung folgt.)

Hilfe einiger ihrer Nebenflüsse, Seen und künstlich angelegten Kanäle vermittelt sie einen direkten Verkehr der Schiffahrt zwischen dem Staspischen Meer, der Ostsee und dem Weißen Meer . Der Verkehr, der sich auf diesem Riesenstrom beivegt, wird in jedem Jahr durch den nordischen Winter während eines Beitraumes von 5 Monaten ge­fesselt. Doch auch dann, wenn der russische strenge Winter erst seine Macht voll entwickelt und eine 2 bis 3 Fuß dicke Eisschicht die Wolga bedeckt, sieht man lange Züge mit Waren beladener Schlitten auch Hunderte von Kilometern weit auf der ebenen Eisbahn feinen nicht nur von einem Ufer zum andern den Fluß durchqueren, sondern Lauf verfolgen.

Interessant ist das ethnographische Bild, das das Wolgaland aufweist. Die Hauptmasse der russischen Bevölkerung an der Wolga bilden die Großruffen; sie sind derselbe Menschenschlag, den man in den mittleren Gouvernements, und auch sonst über das ganze Reich verbreitet findet; sie sind gekennzeichnet durch etwas derbe Züge, die hellcote, gleichmäßig über das ganze Antlitz verbreitete Gesichtsfarbe und das hellblonde oder goldigrote Haupt- und Barthaar, in dem man, gleich wie in den blauen Augen, den Beweis für eine starke Beimischung normannischen und finnischen Blutes zu sehen vermeint. Während der Großrusse der Wolga sich hauptsächlich industrieller oder gewerblicher Thätigkeit widmet, ist die Hauptbeschäftigung der Kleinrussen an der Wolga Ackerbau und Viehzucht; an den großen Salzscen der unteren Wolga trifft man sie am häufigsten als Fuhrleute.

Den Groß und Kleinrussen steht die große Menge der nicht­ruischen Bevölkerung gegenüber, welche der Russe mit dem Namen in ihren jetzigen Wohnsißen viel früher ansässig waren, als die Russen, Fremdvölker( Inorodzh) bezeichnet, trotzdem die meisten von ihnen und daher die Benennung folgerichtig viel eher auf die letteren An­wendung finden müßte. Die Fremdvölker an der Wolga gehören ebenso wie die ganze Bevölkerung des europäischen Rußland , zum Teil dem indogermanischen, zum Teil dem mongolischen Völkerstamme an, neben denen nur einzelne Vertreter des semitischen Stammes borkommen. Der mongolische ist der weitaus zahlreichere. Er teilt sich vieder in die beiden großen Gruppen der Tataren und Finnen, zu deren ersterer die kajanschen und aſtrachanschen Tataren, die Nogaier, die Baschkiven mit den Meschtscherjäken, Teptiären und Bobylen, die Kalmüten und Kirgisen gehören, während der letztere die Wordivinen, Tscheremissen und Tschuwaschen( die sog. Wolga­Finnen), die Permjaken, Wotjaken und Samojeden( permische oder nordische Finnen), die Wogulen( ugrische Finnen) und geringe Bruchteile der Karelen und baltischen Finnen( Finnen im engeren Sinne oder Tschuden) umfaßt.

Diese finnisch- mongolischen Völfer führen zum Teil ein ab­geschlossenes Leben in den Thälern und Schluchten der betaldeten Sie sind ein auf tiefer Kulturstufe stehender Menschenschlag von Uferberge und beschäftigen sich mit Jagd, Ackerbau und Viehzucht. meist fleiner Gestalt. Die Tataren zeigen dagegen die Kennzeichen der mongolischen Abstammung und sind Mohammedaner; auf dem Lande treiben sie Aderbau, Gärtnerei, Pferde- und Schafzucht. Die Tataren der Städte beschäftigen sich am liebsten mit Handels­geschäften aller Art, vom Trödler bis zum Großkaufmann, auch findet man in den Städten viele tatarische Stutscher, Haustnechte, Lastträger usiv. In dem südlichsten Wolga - Gouvernement, dem Astrachan­fchen, wohnen neben den Tataren die Kalmüten, die sich zum Buddhismus bekennen und lediglich Viehzucht treiben. Ihren ganzen Reichtum bilden ihre Herden, die aus Pferden, Kamelen und Schafen bestehen; mit der Zucht des Rindvichs befassen sie sich fast gar nicht. Unter den Kamelen sowohl die einhöckrigen Dromedare, wie die zwei höckrigen Trampeltiere vor. Die von den Kalmüten gezüchteten Schafe find die sogenannten Fettschwanzschafe, bei denen der Kortjuk, die Fettivucherung an Stelle des Schwanzes, oft das Gewicht von 20 Pfund erreicht.

Es kann hier nicht unfre Aufgabe sein, die landschaftlichen Reize der Wolga zu schildern. Mehr Interesse bietet für uns die volkswirtschaftliche Bedeutung des Stromes; und diese zeigt sich wieder in dem enormen Fischreichtum. Ueber das ganze russische Reich sind die Wolgafische verbreitet. Der große Fischfang nimmt seinen An­fang unterhalb von Sibirsk und wächst um so stärker, je mehr man