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Frau Baarbig betrachtete ihn finnend.

Also dieser junge Mensch war einer von Endres Art, der es wirklich zu etwas gebracht hatte. Bei Tische mußte sie zu­geben, daß sein ganzes Wesen davon zeugte, daß er im stande sei, den Kampf mit dem Leben aufzunehmen. Er beobachtete alle, verhielt sich defensiv bescheiden oder ergriff voller Selbst­vertrauen das Wort, je nach den Umständen, verhielt sich die ganze Zeit Berthea gegenüber leicht scherzend, während er mit schmeichelhaffer Aufmerksamkeit der kleinsten Bemerkung aus Minkas Munde lauschte.

Es war sonderbar, diese kleine, wohlproportionierte, elastische Gestalt mit der breiten Stirn und dem kleinlich schlauen Untergesicht zu sehen. Es war, als wenn es nicht so recht zusammenhing, man fühlte sich unwillkürlich versucht, es bei der Nase zu teilen. Die falten, blauen Augen mit dem hastigen, verständnisvollen Aufblitzen ließen durch sein warmes Wesen hindurchfühlen, wie unendlich mehr egoistisch und falt­blütig er in der Beurteilung seiner Umgebung war als Endre, der Aermste, es jemals sein würde.

Die beiden Herren saßen nach Tische in angeregter Stimmung in der Laube, die blau von Cigarrenrauch war. Alles Neue in Bezug auf Litteratur und Kunst wurde lebhaft debattiert, beißende Schlagwörter, geißelnde Kritik über die Koryphäen des Tages flogen hin und her, berühmte Namen wurden vernichtet, gestrichen wie Blätter von einem Zweig. Berthea huschte in Hörweite bei der Spireabecke und zwischen den Blumenbeeten umher.

Und jetzt wurde ihnen der Kaffee in die Laube gebracht. Berthea, ach, Berthea," nickte und winkte Endre ge­heimnisvoll. Du, die gerissenste von meinen Schwestern-" Berthea protestierte lebhaft; sie sei gar nicht gerissen", Endre erinnere sich nur noch aus der Zeit, als sie flein   war.

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Hör' einmal, Berthea," Endre schlug mit dem Zipfel ihrer Schürze hin und her, meinst Du nicht, daß Du uns etwas ertra Gutes zum Kaffee auswirken könntest, zum Beispiel ein wenig in fleinen Gläsern-"

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Berthea kicherte, den Dichter mit ihrem hellen, vor Bonne strahlenden Antlig anschauend, und schnell wie ein Pfeil sprang sie von dannen, so daß ihr das blaue Sommerkleid um die baumwollenen Strümpfe und die leichten Schuhe schlug.

Sie fam zurück mit einer kleinen Flasche Cognac aus dem Reise- Etui des Doktors, mit einer Schachtel Streich hölzer und einer roten Wachsferze, die sie drinnen vom Nipp­fisch genommen hatte, damit die Herren ihre Cigarren daran anzünden sollten.

Schwester Berthea, Du übertrafft meine kühnsten Er­wartungen."

" Ja, das geschieht hente nur, weil Du eben erst nach Hause gekommen bist," erwiderte Berthea mit einem ver­schmitten Blick zu Finsland hinüber. Ich kenne Dich noch ganz gut, Endre, thue ich heute etwas für Dich, so verlangst Du es morgen als Dein gutes Recht."

Warte nur

Sie strich ein Streichholz an und zündete die Wachskerze für Finsland an. Meinen Sie denn, daß es mit mir weniger Gefahr hat?" scherzte er.

" Ach, das eine Mal, denn Sie müssen nicht glauben, daß ich Ihnen Streichhölzer anzünden werde, wenn Sie einmal wiederkommen."

" Ich komme sicher wieder. Sie plaudern so allerliebst wie die junge Dame" Sorglos".

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" Ist das ein Märchen?"

sid Nein, nur eins, was mir in diesem Augenblick einfiel." Wovon handelt es denn?"

Von einem allerliebsten kleinen Fräulein, das noch nie, ja, wie soll ich mich ausdrücken, das noch nie an irgend welchem Herzweh gelitten hat, mein Fräulein."

Ah!" Berthea sah beleidigt auf den Tisch hinab, als ob sie wohl könne, aber nur nicht darüber reden wolle.

Meine Dame hatte von einem einzigen Mal derartig genug, daß sie nie wieder einem Herrn ein Streichholz, an­zünden wollte, feinem, wer es auch sei, ausgenommen einem alten, zahnlosen Pastor. Und das ist nämlich die Moral des Märchens: nie Streichhölzer anzünden eine Dame ver­brennt sich so leicht die schönen

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Großer Gott, welch' ein Unsinn!" Sie blieb stehen und drehte Endres Hut herum, der auf dem steinernen Tisch lag.

Warte einmal, ich will Dir die erste Nelke, die gebrochen ist, daran befestigen," rief sie dann plötzlich und sprang nach dem Nelkenbeet hin.

auf­aus

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Finsland nahm seinen Hut ab und sprang ihr nach: Könnten Sie den meinen nicht auch mit derselben Blume schmücken, dann würde es mehr gleichmäßig festlich für uns."

" Das weiß ich nicht, ich habe Ihnen gar nichts ver­sprochen," rief sie ihm schnippisch, kokett 311, blieb aber ganz erstaunt stehen, als Finsland plötzlich den breiten, kies­bestreuten Weg verließ.

Er hatte Minkas dunkeläugigen, braunroten Kopf und ihren schönen Nacken, der sich über die Hecke beugte, erblickt. " Da Ihre Schwester so spröde ist, will ich lieber meine Zuflucht zu Ihnen nehmen, Fräulein Minta," rief er. Ich bat fie um etwas Hübsches für meinen Hut. Ich kann es Ihnen ansehen, daß Sie keine Nelfen mögen. Rohe, brutale Pflanzen, den Zwiebeln verwandt. Die Thränen kommen einem in die Augen, wenn man daran riecht. Und um sie goutieren zu können, muß man ein sehr unerfahrenes junges Mädchen sein, oder auch eine jener wilden Vierzigjährigen. Deshalb werden sie auch so abscheulich zum Lügen verwendet," er sah Minka bedeutungsvoll in die Augen, von jenen kalten, Klugen Frauen, die die Liebe nachahmen, die Leidenschaft ver­fälschen wollen sie bieten brennende, verzehrende Brat für all das, was sie nicht haben. Ich ver­ofenglut für fichere Sie, ich würde den Hut fortwährend abnehmen, um zu fehen, ob er nicht in Brand geraten sei, wenn ich wüßte, daß eine Nelke daran steckte." ( Fortsetzung folgt.);

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Harlekin.

( Nachdrud verboten.)

bunten Maskenspiels. Uralte Sitte römischer Luperfalien lebt in Es ist Karneval  , die Zeit fröhlichen Mummenschanzes und katholischen Landen im Fasching fort. Im Rausche weniger Stunden tauchen lange Tage und Wochen unter; vor Opfern und Fasten tollt Fleischeslust. Und Gestalten kommen herauf, die sonst vergessen find, Gestalten, die diese gefährliche Verschlingung von tändelndem Spiel und heimlichem Ernst knüpfen Pierrot   und Kolombine und Harlekin, romantisch- romanische Gäste. Sie waren früher uns Königen und Aschermittwoch, sondern ergößten zu jeder Zeit, und weniger fremd. Sie tamen nicht nur zwischen den heiligen drei fie thatens nicht in festlichen Sälen, sondern von der Bühne herab.

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Heute grüßt uns Harlekin, der buntfchedige Gesell, nur noch im Kasperle- Theater auf Messen und Jahrmärkten, Stirchiveih und Bogelwiesen, im Wurstlprater und im Pariser Jardin des Tuileries, heute lacht der übermütige Sterl wohl noch als Marionette zappelnd auf die Bühne der Lebenden steigt, dann nimmt er eine ernſte das heisere Lachen des Marionettenspielers. Und wenn er wirklich Miene an. Bajazzo lacht und springt unter wilden Schmerzen. Er tötet im Ernst: Die Komödie ist aus." Harlekin   flammt auf in wilder Leidenschaft und ersticht seinen Herrn, der die zierliche Kolombine liebt, ersticht ihn und wirft vom Balkon den Leichnam ins Meer

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So tragisch war Harlekin nicht immer. Er hat getollt und den Hebermut und die Derbheit, die groteske Frechheit und Un gelebt, hat wißige Einfälle und satirische Hiebe gespendet, er hat verschämtheit aufs äußerste getrieben, so daß sie ihn Anno 1737 einmal feierlichst von der Bühne verbannen mußten. Aber selbst diese Harlekinade" hatte ihn nicht gleich umgebracht. Man muß ihn als kein Individuum, sondern als Gattung betrachten," meinte Lessing  , und die Gattung leidet tausend Barietäten!" Gleichwohl starb die typische Bühnengestalt des Harlekins   allmählich ab, nach­dem sie zwei Jahrhunderte lebendig gewesen war und eine fast tausendjährige geschlossene Entwicklungsreihe durchlaufen hatte. Es ist uns in diesen Tagen ein Buch beschert worden, das Dr. Otto Driesen   über den Ursprung des Harlekin"( Berlin  , dieser Entwicklung nachspürt, eine kulturhistorische Studie von Alexander Dunder, 1904). Vermutungen werden darin bestätigt und große Zusammenhänge mit gutem Geschick und reicher Kenntnis aufgedeckt. Die Geschichte des Mythos, der Kirche und des Dramas bereinen sich, um die Lösung des interessanten fulturgeschichtlichen Problems der Entwicklung des Harlekins herbeizuführen. Figur des Arlecchino ein. Die bunte Mannigfaltigkeit und die Uns allen fällt mit dem Namen Harlekin   zunächst die italienische geistreiche Lebendigkeit der alten Stegreiffomödie verdankt ihm ein qut Teil ihrer Bedeutung. Und dennoch liegt die Heimat Harlekins  nicht im Lande Goldonis, und der Ursprung dieser scheinbar national italienischen Maste führt nicht zur lateinischen Komödie zurück! Seine Wiege ſtand vielmehr in Frankreich  , d. h. in Paris  . Dort ward der Jahrhunderte alte sprichwörtliche Rüpel Harlekin  , ein in gegen gekleideter Lump teuflischen Namens und von teuflischer Körperbeschaffenheit, etiva um 1572 von einem italienischer Schaus spieler in die Commedia dell' arte   eingeführt.

In abenteuerlich- mhthische Vorstellungen verliert sich die lette Spur dieses Harletins von teuflischer Herkunft. Wie in der ger