Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 22.
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Sonntag, den 31. Januar.
( Nachdruck verboten.)
Thekla faßte ihre Aufgabe als Mutter durchaus nicht leicht auf. Sie hatte stets das Bedürfnis, die Seite des Lebens, mit der sie gerade in Berührung fam, völlig zu beHerrschen. Aber bei einem Kinde gab es so viele Fälle, bei denen der Verstand still stand. Und dann wurde zu Doktor Stenvig geschickt.
Sie bedurfte seiner einleuchtenden Erklärungen, hatte förmlich Sehnsucht danach. Er besaß eine merkwürdige Fähigkeit, eine Frage logisch festzuhalten. Und wenn doch irgend etwas rätselhaft blieb, wußte der junge Arzt in so liberaler Weise so ganz frei von jener autoritätsmäßigen Ueberlegenheit ihr einen Einblick in die verschiedenen ihr einen Einblick in die verschiedenen wissenschaftlichen Standpunkte zu gewähren, so daß sie dann selber sehen und urteilen konnte.
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Seine Theorien in Bezug auf die Pflege der Kinder ivaren gegen jeglichen Zwang gerichtet; er litt es nicht, daß das Kind in hemmende Windeln gezwängt, daß seine Hautthätigkeit sozusagen von der Geburt an erstickt wurde, daß man dem Körper den Zutritt der Luft entzog. Und das alles bewegte sich in direktem Widerspruch zu allem Althergebrachten. Er war unbedingt ohne daß auch nur ein Vergleich möglich gewesen wäre seinen Anschauungen nach der modernite Mann, der ihr seit den glücklichen Zeiten in der Hauptstadt vorgekommen war, ein Gemisch von Lehrer und Arzt! Und sie genoß als geheime Mitverschworene seine skeptischen Blicke und sein kritisches Lächeln, wenn die Rede ouf das fam, was rings umher in den Häusern in Bezug auf Kinderpflege noch Sitte und Gebrauch war.
Das vornehmste von ihren Principien war und blieb, daß man sich vor allen Dingen als Mensch zu bewahren habe. Man müsse seinen Kindern gegenüber Mensch sein, Mensch in seinem Hause nach innen und nach außen hin. Das war der große, rationelle Grund, weshalb sie sich gezwungen jab, das Kind der Amme und dem Kindermädchen zu überlassen, wegen nächtlicher Unruhe und so weiter
Sie waren nach dem Kaffee bei Baarvigs im Wohnzimmer siten geblieben: Frau Thekla, Finsland und Minka. Es sei wirklich bei den Schwiegereltern ein Hauch von der Luft der Zeit zu verspüren, meinte Thefla, seit der Dichter Finsland dort aus- und einging. Denn dies abergläubische nächtliche Gespenst, Ingenieur Varberg , verbreitete nur Finsternis in allen Eden und Winkeln.
Es sah übrigens recht mystisch aus zwischen ihm und Minka mit all dieser Spannung und den Verwickelungen und Launen, von welcher Beschaffenheit auch die Macht sein mochte, die er über sie hatte. So viel aber stand fest, augenblicklich schwärmte Minka für Verse und nicht für Geister.
Es würde einem übrigens schwer zu sagen, welcher von den beiden der rechte sei. Denn sie verkehrten dort beide gleich viel, der Dichter wie der Ingenieur, und ließen einander fein gutes Haar. Aber gewissermaßen nahm sie beider Huldigungen entgegen.
Thekla hatte es sich heute nachmittag angelegen sein Lassen, durch viele direkte und indirekte bohrende Fragen dem eigentlichen Princip von Finslands Dichtung auf den Grund zu kommen.
Und Finsland hatte pariert, war ihr ausgewichen. " Ich denke darüber nach," rief sie ganz erregt aus, ,, welch' einen unendlichen Nußen ein Mann stiften könnte, dem die Gabe des Wortes verliehen ist wie Ihnen, falls Sie fich einer Reformfrage annähmen, sich von der Not der Menschheit mit fortreißen ließen. Denn Sie wollen sich doch wohl taum eine geistige Luxusblume nennen?" schloß fie ironisch. Meine Blume heißt Unzufriedenheit, Bergänglichkeit, Verzweiflung. Möglich, daß ein andrer, der sie sieht und daran riecht, sich dadurch begeistern läßt, eine Arbeit in Angriff zu nehmen."
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Sie sollten mit Doktor Stenvig reden, Herr Finsland," empfahl ihm Thekla mit großem Nachdruck. Sie können mir glauben, das ist ein Mann mit lebhaften Interessen, der
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die Zeitfragen sowohl durchdacht als auch verdaut hat. Er würde Ihnen die Augen öffnen-"
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Und mich getrocknet in einen Medikamentenkasten legen als Nußpflanze, zu Kinderpulver," ergänzte Finsland. Minka lachte, so daß die Zähne blitzten; sie war längst vertraut mit Finslands Geist und seiner Lebensauffassung. " Die Menschheit ruft und schreit nach Hilfe, das verfichere ich Sie," eiferte Thekla.
,, Nun ja, gnädige Frau, ich selber gehöre zu denen, die schreien. Einige verlangen nach Essen und Trinken, andre nach Schönheit; ich füttere sie und mich selber, so gut ich tann; ich hungere und finge
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Aber welchen Nußen schaffen Sie denn eigentlich, Ich will es Fräulein Minka?" unterbrach er sich selber. Ihnen fagen: genau denselben wie ein Gedicht: eriſtieren... fo reich, so überschwenglich an Farbe, an brauner Farbe, daß Sie gleichsam abfärben, wohin Sie kommen. Man wird braun von Ihnen wie vom Blütenstaub, braun bis in die Seele und die Erinnerung hinein; man denkt braun, träumt braun, ich mache augenblicklich nur braune Seifenblasen Frau Thekla sah ein wenig bedenklich aus bei den Seifenblasen.
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Wissen Sie wohl, gnädige Frau," rief Finsland,„ es giebt Menschen, die ihre Farbe und Ueppigkeit aus den Spalten und Rissen der verfaulenden menschlichen Gesellschaft holen. Sie fingen das Lied der Vergänglichkeit, während die Sonne der Nacht weicht und an den Mauern verglimmt." land!" So lange hier so überwältigende Aufgaben für alle Die Menschheit befindet sich in großer Not, Herr FinsHände vorliegen, muß die Schönheit sich wirklich darin finden, ein wenig in den Hintergrund zu treten, zu warten wie die Fahne der Armee voran getragen wird, hoch in der ,, Bitte recht sehr, die Schönheit soll an der Spize stehen, Luft, Sehnsucht erweckend. Eine neue, schönere Zeit bricht nicht an, ohne daß man die Menschen so weit bringt, daß sie fich nach Schönheit sehnen."
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" Ich glaubte, die Not bewirkte, daß sch aber glaube, daß Leute mit Phantasie, Dichter und Künstlernaturen die Fähigkeit besäßen, etwas Besseres auszumalen."
Thekla schien ein wenig verlegen, schickte sich aber an, von neuem zu beißen.
Da ertönte plöglich Schellengeflingel und sie schaute zum Fenster hinaus, 30g aber den Kopf schnell wieder zurück und sagte in verbissenem Ton:
„ Ein Mensch mit Interessen sollte niemals heiraten!" Es war Kjel, der in seinem Schlitten vorfuhr. Er stampfte und wirtschaftete draußen auf der Diele, bis er die Reisestiefel abgeworfen hatte, und kam ziemlich angeheitert und rot ins Zimmer.
„ Teufel, ist das kalt! Mußte den Kaffeewhist drüben bei Berg aufgeben; es fam Damenbesuch aus dem Pfarrhaus. Da hatte ich den gescheiten Einfall, hier vorzufahren und Dich abzuholen, Thekla!"
Ich danke für Deine Aufmerksamkeit, aber wie Du weißt, ziehe ich es vor, bergab zu gehen."
Aber es war doch ein hübscher Einfall von mir, das mußt Du doch zugeben, mein Schnutechen!"
Thekla erwiderte nichts und verzog nur den Mund ver ächtlich.
Verstimmt, Theflachen, verstimmt?" fragte er, sich ihr nähernd. Habe ich einen hohen geistigen Flug unterbrochen? Daheim mache ich mich stets aus dem Staube, wenn Ihr Stenvig und Duanfangt, höhere Materien zu behandeln, das mußt Du doch zugeben, Theklachen!"
Thekla bohrte stumm die beiden schwarzen Augen in die Decke des Zimmers.
Nur so verteufelt intolerant!" rief er aus.„ Ich protestiere auf das bestimmteste dagegen, daß Eure Interessen auch nur einen Zoll höher sind als die meinen. Sie liegen nur auf einem andren Gebiet das ist das Ganze."
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Er setzte eine darlehenbewilligende, kritische Miene auf und klirrte mit dem Schlüsselbunde. Geschäfte sollten feine Kunst sein! Um Euch ein Beispiel zu geben: Monitor und Merimad im Potomafflusse das war ein ganz andrez Drama als Schillers oder Goethes veränderten den Krieg