Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 23.

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Niobe .

Dienstag, den 2. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Jonas Lie

Minka fühlte, daß sie vor der unvermeidlichen Ent­scheidung stand.

Dieser Blick ergriff sie wider ihren Willen; sie erhob fich mechanisch, um ihm zu folgen.

Indem sie den Rest des Garnes abwand, begegnete sie Finslands spöttischer Miene, der mit einem leisen Lachen jegliche Mystik entschieden von sich abwies.

Sie setzte sich hastig wieder nieder.

" Ich danke Ihnen, Herr Varberg , ich möchte heute nach mittag lieber nicht mit Ihnen fahren," kam die zitternde Antwort. Ich sage Ihnen jetzt gleich Lebewohl!" rief sie und stürzte zum Zimmer hinaus.

Das außerordentlich lyrische Gemüt des Fräuleins ist vielen wechselnden Einflüssen unterworfen," sagte er giftig. " Ja dann danke ich für die vielen angenehmen Stunden, die ich in diesem Hause verlebt habe."

Finsland war im Laufe des Winters wieder in die Hauptstadt zurückgekehrt.

1904

Und nach vielem Ueberlegen und Hinundherreden wurde denn endlich beschlossen, daß fie reisen sollte, um eine legie Hand an ihre musikalische Ausbildung legen zu laffent. Fräulein Endresen, die ihr so viele Jahre hindurch Klavier unterricht gegeben hatte, war ja eine sehr tüchtige Lehrerin das unterlag keinen Zweifel, aber ihr fehlte die Autorität, der Name.

Es wurde genäht und geschneidert und zugeschnitten. um sie auszurüsten. Außer allem, was im Hause mit der Nadel umzugehen wußte, ward noch eine Schneiderin zu Hilfe genommen. Bertheas Zunge stand keinen Augenblick stiff.

Minka hat sich immer leicht davon abzumachen gewußt­fie näht ja so schlecht- und hübsche Kleider bekommt sie trots dem! Dies Promenadenkostüm init den gelben Auf schlägen damit will sie gewiß in der Hauptstadt Aufsehem erregen, wenn ich sie recht kenne."

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Indessen stand Minta oben in ihrem Stübchen über ihre Kommodenschublade gebeugt und las zum zwanzigfienmal ein Gedicht, das ihr Finsland geschickt hatte und das Minka" überschrieben war.

Sie musterte auch, eine Melodie vor sich hinjunmend, ihre besungene braune Schönheit im Spiegel, ehe fie das Papier wieder ins Schubfach legte.

Draußen auf dem Flur begegnete sie Schulteiß und fah ihn sehr geheimnisvoll lächelnd an, als sei sie von irgend einem erfreulichen Gedanken erfüllt, den sie ihm aber nicht mitteilers wollte. Endre hatte einmal einen Ausdruck dafür gefunden: Wenn Minka so geht und sich selbst genießt, als fauge sie an einem Stück Zucker!"

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Undach, du lieber Himmel! Minka hatte bis zu diesem Augenblick niemals Theklas Klagen verstanden, wenn sie sich darüber erging, wie öde und arm an Interessen es hier sei. Wie geistig ausgeftorben und einsam war es doch im Grunde für eine hungernde Seele mitten in all diesem scheinbaren Leben und Treiben von Menschen, die arbeiteten und Holz und Bretter fuhren und in rastloser Thätigkeit über Sie genoß es, zu beobachten, wie sie Schulteiß mehr und Geld und Geschäfte redeten, zwischen den Freundinnen aus mehr dahin brachte, bis an die Ohren glückselig zu lächeln, den Beamten und Gutsbesitzer familien, die nur an Ver- während sie sich vertrauensvoll in seinem Blick spiegelte. lobungen und an Tanzen und Putzen dachten oder sich nach Sie war augenblicklich erfüllt von der Idee, das Leben Amerika sebuten, sobald die Rede davon war, daß ein Mädchen heutzutage selbständig werden müsse; hier in der Heimat wagte es feine, mutig zuzugreifen.

Berthea war genau so wie alle die andren; sie fofettierte und amüsierte sich überall, wo Sjel verkehrte, und fatschte und steckte ihre Nase in alles hinein, und hatte im Grunde keine andren Gedanken als Liebeleien im Stopf, nichts als Leichtfertigkeiten.

Es war so tödlich langweilig. Sie wußte diese Wege und Stege hier zu Hause so gründlich auswendig, kaunte jeden Stein, jeden Graben, jeden Bauni.

Und Schulteiß vertraute sie in bitteren Shinden ihren ganzen tiefen Lebensüberdruß an.

Und Schulteiß legte den Kopf auf die Seite und trippelte und wand sich und sagte ja oder nein, je nachdem er heraus­fühlen konnte, daß sie die Antwort wünschte, verneinte das, was er ihr gegenüber noch vor wenigen Augenblicken gepriesen und in alle Himmel erhoben hatte.

als weibliche Machtversönlichkeit zu realisieren wie Fins­land es ausgedrückt hatte: Sonnenstrahlen aussenden und durch Schönheit wirken.

Auf Sonnabend ist meine Abreise festgesetzt, Schilteiß." Ach, mein Gott, ja, Fräulein Minta, ich mag gar nicht daran denken, wie trübe und finster es hier werden wird! Ach Gott, mir geht die Sonne unter, wenn ich nicht mehr das Bewußtsein habe, daß Sie diese Treppe herauf und herab steigen, daß Ihre Hand dies Geländer berührt hat."

Ja, Schulteiß, ich finde wohl kaum jemand wieder, mit dem ich so reden kann wie mit Ihnen, mit Ihrem reichen Geist. Und dann haben Sie mich stets verstanden, Schulteiß."

,, Sagen Sie das, Fräulein Minta! Ja, ich habe jeden Steim gefehen, der bei Ihnen emporgesproßt und gewachsen ist und hab mich daran gefreut. Sie sind mein Garten gewesen, meine Schönheitswelt. Sie haben

Ihm schüttete sie ihr Herz aus; er mußte ihre Seufzer nachfühlen, mußte Worte für ihre Leiden finden, mußte es mit anhören, wenn sie ihrer Sehnsucht Luft machte. Er mußte den Brief lesen, den sie von Finsland erhielt, mußte ., Sie dürfen nicht vergessen, daß, wenn ich da draußen teilnehmen an ihrer Begeisterung, mußte wissen und sehen, in der Welt einen Sieg erringe, Sie mich dazu gerüstet haben. wie sie über diese und jene Stelle geweint hatte, mußte erch will meiner Natur folgen, sehen Sie, Schulteis, ich will raten und grübeln und ausdeuten, was er in Bezug auf sie leben, will wissen, daß ich diejenigen inspiriere, die die Kraft mit dieser Wendung, mit diesem speciellen Ausdruck hatte und die Fähigkeit besitzen, die Segel tüchtig zu hissen, und fagen wollen. die es wagen, sie zu benüßen; das will ich, Ihnen sag' ich es, ich will als weiblicher Pirat in die sonst aber niemand Welt hinaus!" rief fie, fofett die Faust ballend. Zu Vater und Mutter habe ich gesagt, ich wollte meine Mufitstudien fortseyen man muß ja jebt unter irgend einer Flagge segeln was ich aber will, das ist: leben und als Minka Baarvig wirken, mich nicht an Vorurteile kehren, die sollen für mich Strohhalme sein.- Vielleicht," lächelte sie geheimnisvoll, hören Sie eines schönen Tages von einer Konzert oder Variétésängerin, die" sie zeigte auf ihre Brust, die Minka heißt. Der Eltern wegen lassen wir Baarvig weg. Vielleicht, sage ich nur. Man muß vor allen Dingen versuchen, sich zu zeigen, muß bekannt, gesehen werden, wenn, man wirken will. Und dann und dann" sie be­zauberte ihn mit ihren weißen Zähnen dann kommt Minkas Geschichte Leben, Leben, Leben, Schulteiß. Sie geht nicht vor die Hunde und verheiratet sich wie wie Thekla da unten auf dem Sägewerk."

Er war so demütig und flein geworden, jett, wo er auch ihre glühende Schwärmerei für Finsland himuterschlucken mußte, war sozusagen nichts als ein ängstlich gemartertes Auge, das mit Blitzesschnelle ihre Wünsche auffing.

Niemand außer Schulteiß verstand sie. Diefer Seufzer aus Minkas Munde war seine Belohnung, sein stummes Glück; er wartete nur darauf, ihn wieder zu vernehmen, und wenn er ihn vernahm, so stand ihm der Atem still. Ein Gefühl von Glückseligkeit, an dem er tagelang zehren konnte, durch strömte ihn.

Es war, als wenn Kjels Erfolge den Doktor in pufuniärer Beziehung liberaler gestimmt hätten, was sich darin kund gab, daß er sogar mit einer gewissen Sympathie auf Minkas Idee, fich eine Zeitlang in der Hauptstadt aufzuhalten, einging.

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Schulteiß stand ganz verzagt da; er versuchte schüchtern­ Sie wissen ja, daß niemand so wie ich Ihren hohen Mut und Ihr Selbstgefühl achtet, schätzt, respettiert oder an