Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 32.

32]

Niobe .

Sonntag, den 14. Februar.

( Nachdrud verboten.)

Roman von Jonas Lie .

1904

brot hinabgehen sollte, hatte rege Thätigkeit geherrscht. Massi saß auf dem Koffer, der zur auf den nächsten Morgen an­gefetten Abreise geschlossen war.

Ja, nun ziehe ich mit sechs guten Gewissen von dannen, Mutter."

Massi begann aufzuzählen und strich sich die Hand­

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Pensum in der Mathematik absolviert bin mit der Lehre " Ich habe mein Eramen gut bestanden habe mein von der Perspektive fertig- ich habe meine Wirtschaftswoche so durchgeführt, daß Du mir auch nicht ein einziges Mal hast zu helfen brauchen, Mutter, das mußt Du doch zugestehen, nur in den Tagen, als ich mein Examen machte habe diesen Sommer schwimmen gelernt.

Sie verstehen einen so gut, das giebt eine solche Sicher- flächen, als quittiere fie für jedes einzelne: heit... Und und"- Bente seufzte- man hat so viele Sorgen, Schulteiß. Mit Baarvig will es gar nicht besser werden. Es ist, als wenn etwas an seinen Kräften zehre, er fällt förmlich ab; finden Sie nicht auch, daß er sehr ab­genommen hat, daß er so mager wird? Ich fürchte, es sieht schlimmer mit seiner Gesundheit aus, als er zugestehen will; er hat einen Snar bekommen diesen Frühling bei der Feuers­brunst. Ach, es würde mir eine solche Beruhigung sein, wenn ich ihn jemals wieder so aufbrausen, so heftig werden sähe wie früher. Er ist so merkwürdig teilnahmlos, so un­interessiert. Es ist mir stets, als sei es ihm eine Plage, wenn ich mit ihm von den Kindern rede.

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,, Und nun diese beiden Jüngsten, die wir in die Welt Hinaussenden sollen" Frau Bente setzte sich, das Zeug im dafür so gar nicht interessiert hätte. Und ich, die ich ja, zur guten Stunde sei's gesagt die ich so lichte Hoffnungen für sie hege, mich in Bezug auf sie sicherer fühle... hege, mich in Bezug auf sie sicherer fühle...

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Ja wohl, Frau Doktor, die Fähigkeiten sogar bedeutend über Mittel und beide ein paar ausdauernde Naturen."

Lieber Schulteiß, Sie haben Ihnen das beste gegeben, was ein Lehrer geben fonnte, einen Unterricht mit Geist. Sie sind in mehr als einer Hinsicht ein feltener, ein genialer Lehrer, einer von den wenigen, denen die Schüler ihr Leben lang dankbar sind. Aber ich möchte gern etwas sagen; es ist, als ob die Wünsche und die Ansprüche an das Leben bei all den Geistesschätzen und den großen Aussichten auf die Möglichkeiten sich so leicht verwirrten. Sehen Sie nur Endre an! Arndt und Massi habe ich hingegen streng an die Wirklichkeit zu halten gesucht, habe mit ihnen vertraulich verkehrt, ihnen unsre täglichen Mühen und häuslichen Schwierigkeiten nicht vorzuenthalten gesucht, obwohl man ja allgemein der Ansicht ist, daß das nicht gut sein soll; sie wissen ganz genau, was mit ihren Schwestern und Brüdern nicht so ist, wie es sein sollte."

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Hmin Bezug auf Minka, Frau Doktor, so gestatten Sie verzeihen Sie aber ich glaube wirklich, daß sie auch die höchsten Erwartungen rechtfertigen wird."

Es liegt augenblicklich so viel Zukunft in der Luft, Schulteiß, daß ein junges Wesen, das im Heranwachsen den Kopf nur in den Wolfen trägt, verwirrt werden muß. Aber die Wirklichkeit ist hart, voll schwerer Konkurrenz, allen Schwachen, Energielosen verschlossen. Nicht meine Weisheit, sondern die Leiden und Qualen meines Lebens haben mich Das erkennen lassen. Ich glaubte auch, man brauche nur so da hineinzuspringen."

Sehr treffend, Frau Doktor," brachte er mühsam hervor. Nur muß ich mir in Bezug auf Fräulein Minka vorbehalten

" Jawohl, Schulteiß! Aber sehen Sie, auch für Minka. Es liegt in der Zeit, daß alle etwas werden müssen, und das ist gut. Aber dann wollen so viele Talente sein, wollen Schwingen haben. Und dann geraten sie in Weitläufigkeiten hinein und werden unglücklich. Meine große Hoffnung, das, was ich so sehr wünsche, ist, daß Sie mich darin unterstützen möchten, Schulteiß, daß sie diese Schwingen bald abstreift. Denn darin sind Sie doch einig mit mir sie mußte, mußte. hinaus, um ihre Illusionen zu erproben; sie waren ihr zu tief ins Blut gegangen.

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Frau Doktor, gestatten Sie mir, für eine so ideal an­gelegte Natur wie die Minkas dürfte man die hereinströmende neue Zeit wohl als Befreiung der latenten Kräfte ansehen. Und wahrlich, hier dürfte es am Ort sein, auf das Recht der erceptionellen Begabung im Rückblick auf die Geschichte zu pochen, um neue Bahnen zu brechen."

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alle Abschiedsbesuche gemacht." ,, Und nun bin ich mit meiner Nähterei fertig und habe

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ginnst in einer neuen Zeit. Und bedenke stets, die wird genau Ja, Massi, greif die Sache praktisch an, Du Du be so, wie Ihr sie baut, das ist eine große Verantwortung. Ich will Dir sagen, Massi, obwohl ich alt bin und auch oft recht müde, ich möchte gern das Leben noch einmal von vorn be­ginnen in dieser neuen Zeit, wo einem Gelegenheit zu ganz andrer Kraft und Tüchtigkeit und Freude am Dasein gegeben wird, als es uns geworden; ich hätte gern einige von Deinen guten Gewissen eingeheimst!" 13.

In der Umgegend war die Weihnachtszeit mit einer Reihe von Gesellschaften dahingegangen, zu denen sich der Doktor stets prompt einfand, um jedoch regelmäßig, sich auf seine dringliche Praris berufend, schon früh am Abend auf zubrechen.

Es war ihm eine Wohlthat, im Schlitten zu fizen, während Hügelränder und Baumwipfel sich vom Horizont abhoben, der Mond schien oder der Schnee herabfiel- ſtets versunken in den einförmigen Hufschlag des Pferdes, während die Schlittenfufen knirschten und glitten und der Belzkragen ihn gleichsam tiefer und tiefer begrub und nur ganz oben ein Sternschweif schimmerte oder eine einzelne Schneeflocke ihn erreichen konnte und dann fortzukommen von dem Ganzen. Der Schlitten mit dem trabenden Braunen war der einzige Ort, wo er schlafen konnte, ohne zu träumen, ohne plößlich voller Angst aufzufahren.

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Das Jahr hatte sich gewendet. Es war Silvesterabend. Der Strom saufte in dem sternklaren Abend unter seiner weißen Schneedecke; unten beim Sägewerk aber schimmerte das offene Wasser schwarz, dort schäumte der Wasserfall, lange Eiszapfen in seinem weißen Bart tragend.

Es war Licht in den Fenstern unten bei Kjel, alles war festlich illuminiert zu Ehren des neu errichteten und er­weiterten Sägewerks.

Thekla und der kleine Baard und Kjel waren während­des zu den Schwiegereltern gefahren, wo man den Silvester­abend in aller Stille feierte, und der Doktor selber kehrte erst spät aus der Praxis zurück.

Er war müde, mochte nicht einmal den kleinen Baard aufs Knie setzen, saß in sich versunken da und folgte den Be­wegungen des Kleinen mit den Augen, während er an seinem Porterglase nippte. Bente hatte sich ausgedacht, daß er des Abends Porter trinken müsse gegen seine zunehmende Schlaf­lofigkeit. Als sie sich verabschiedeten, betrachtete er Baards Hände langsam und füßte sie beide.

Noch lange, nachdem der Schlitten unten zwischen den Hügeln verschwunden und das Schlittengeläute verflungen war, stand der Doktor draußen auf der Treppe und schaute ihnen nach.

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Bente lag und hörte in der Ferne die Schläge der Kirchen­uhr die zwölfte Stunde verkünden Neujahr! Es war ihr, als läge Baarvig wach, als wälze er sich und stöhne so schwer.

" Ja, ein neues Jahr, Bente," fagte er. Ich liege hier und denke, wie verschieden so ein neues Jahr für die Menschen anbrechen kann. So lange noch Hoffnung, Licht und alles das vorhanden ist; aber dann giebt es überall Menschen, die meinen, es sei nur wieder ein neuer Mühlstein, den sie tragen Den ganzen Nachmittag hindurch, bis man zum Abend- sollen. Dente aber daran, Bente, daß alles, alles auf den

Armer, armer Schulteiß," sagte Frau Bente still vor fich hin, während sie die Treppe hinabging, also geradezu geistesverwirrt, wo es sich um Minka handelt."