Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 33.

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Niobe .

Dienstag, den 16. Februar.

( Nachdruck verboten.)

Roman von Jonas Lie ..

( Schluß.)

Minka vermied es sorgfältig, Schulteiß zu treffen; sie konnte es nicht ertragen, ihn nur zu sehen, ihre Nerven waren in Bezug auf den Punkt ganz unbeherrschbar. Sie hatte von dem ersten Augenblick an, als sie ihn wieder sah, etwas Ver­störtes an ihm entdeckt; ein Blick hatte es ihr verraten und sie mit Entsetzen erfüllt. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß er ihre Schritte erspähte und überwachte; sie empfand eine wachsende Unsicherheit, so daß sie vor Angst laut auf­febreien fonnte, wenn sich nur etwas an einem Zaun oder einem Busch rührte.

Und Schulteiß ging umher und spähte und schlich auf den Wegen und dem hügeligen Waldgebiet zwischen Elvsät und dem Schulzenhof. Es galt, einen Schimmer von Minka zu entdecken.

1904

Sie mußte nun für das Sorge tragen, was ihr noch ge­blieben war.

Sie fühlte mehr und mehr, wie schwierig es war, Minkas Wesen zu ergründen.

So zärtlich, so voll liebevollen Verständnisses für den Augenblick war es doch, als müsse man immer wieder von born anfangen. Und in der tiefsten Tiefe, dort, wo die Ent­scheidung vor sich gehen sollte, wußte sie stets zu entschlüpfen.

Sie mied, so weit es ging, diese vertraulichen Stunden, in denen, vorsichtig tastend, von Zukunftsaussichten und Plänen die Rede war; dann kam stets so ein verstohlen qual­voller Ausdruck über sie.

In der letzten Zeit war sie so unruhig geworden, so ruckweise in ihrem ganzen Sein, fuhr so erschreckt zusammen, gab sich nur mit scheuer Zurückhaltung, hatte so viele Briefe erhalten und geschrieben.

Wenn auch Frau Bente die Aufschriften niemals gesehen hätte, würde sie doch gewußt haben, daß Minka mit Varberg forrespondierte.

Und nun hörte sie, daß er wieder in die Gegend ge­fommen sei und auf der Bahnstation wohne.

Er konnte in Gedanken versunken, in sich vertieft vor den Bäumen im Wäldchen stehen und warten, fest überzeugt, Es war dieser unglückselige hypnotische Mystizismus, daß der Tag sie offenbaren würde; er achtete nicht des Regens, in den es ihm wieder gelungen war, Minka einzufpinnen. nicht der Feuchtigkeit des Bodens, nicht der Zeit. Er sprach mit Minfa, eröffnete ihr seine großen Ideen, fühlte die hohe Vereinigung des Geistes, flüsterte, betete sie in der Vision an.

In glücklichen, einsam versunkenen Stunden daheim blinzelte er mystisch, lächelte vor dem Spiegel und murmelte etwas vor sich hin von geistigen Zusammenfünften, von Minka, die sich niemals hingab-- niemals!

Berthea erschien eines Morgens beim Frühstück mit ver­weinten roten Augen und geschwollenem Gesicht.

Ihr fehle nichts, gar nichts, nur diese ewigen Zahn­schmerzen.

Am selben Morgen schlich sie hinab zu dem Briefkasten auf der Bahnstation, einen im Laufe der Nacht geschriebenen, dicken Brief in der Tasche, adressiert: Jowa City , Iowa , U. S. North- Amerika Mr. Ole Berg.' Sie setzte das ganze Haus in Erstaunen, indem sie sich die vier Wochen des Juli ununterbrochen daheim hielt. Und dann kam es eines Tages:

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Ihr treuer, stets verschmähter Courmacher aus der Schulzeit, des Schulzen Sohn Ole, hatte ihren Brief um­gehend beantwortet: Offene Arme, fomme, tomme!"

Und nun mußte fie Reisegeld von Kjel oder der Mutter haben; fie mußte mußte

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Sie hinterließ bei ihrer Abreise eine, wie es schien, stets wachsende Verwickelung von unlösbaren Rätseln, die das Interesse der Umgegend wahrscheinlich lange in Anspruch ge­nommen haben würden, wenn nicht plötzlich die Gerüchte von neuen Zahlungseinstellungen unter den Besitzern des Schwarz­waldes die Gemüter ausschließlich und heftig beschäftigt hätten. Es handelte sich um nichts Geringeres als um die Frage, ob auch Kiel Baarvigs Angelegenheiten unter Administration gestellt werden sollten.

Die Gerüchte begegneten und freuzten einander. Es ward behauptet, Frau Thekla sei plötzlich zum Voigt gefahren und habe für ihre Person Rechenschaft ablegen wollen, habe ein vollständiges Verzeichnis über ihr Pelzwerf, ihre Seidenkleider und ihre Schmucksachen abgeliefert; sie habe erst davon abgestanden, als es sich herausstellte, daß der von Kiel selber aufgestellte Status einen Ueberschuß von nicht weniger als sechzigtausend Kronen ergab.

Als Endre das Gerücht mit einem seinem gewöhnlichen Wesen ganz widerstreitenden Einstürmen nach Elvsät mit heimbrachte, kam auch nicht ein Wort über Frau Ventes Lippen.

Das, was nun für alle die andren begann, das war für sie etwas längst Ueberwundenes, etwas Durchkämpftes, Abgemachtes.

Sie hatte alle die Qualen erlitten, die eintreffen tonnten, und noch weit mehr.

ift­

"

So lange noch ein Funke von Hoffnung vorhanden vergiß das nicht, Bente!" hatte Baarvig gesagt.

Diese Verzückung, die damit begonnen hatte, eine ver­einzelte Willensthätigkeit zu betäuben oder zu eraltieren, und die allmählich den ganzen Menschen aufrieb, die allen Charakter, jegliche Selbständigkeit zersetzte die mußte naturgemäß mit einem Seelenmord enden. Verzweifelnd sah sie Minfa als willenloses Medium vor sich. als Opfer eines Erperimentators, der ihr seinen Willen einblies, als wandelnde Leiche.

Kjel kam leise die Stufen vor dem Hause hinan, mit Pausen und in sich versunkenem Stillſtehen.

Er suchte die Mutter in allen Zimmern, ging umher wie im Dunkeln, blieb endlich stehen und tastete an der Thür, die zur Milchkammer führte.

Er hörte Frau Bentes Stimme draußen in der Roll­stube, wo sie und Minka Wäsche legten und allerlei Zeug für den Umzug zusammenpackten.

Als er gleichsam strauchelnd hereinkam, legte sich ein plötzliches Erblassen, eine erfrierende Starrheit über Frau Bentes Züge, die so wunderlich scharf wurden.

Kjel lehnte sich an die Wand und stöhnte. Es war ein Laut wie der heisere Anfang eines Gebrülls, das er nicht herauszubringen vermochte.

Konkurs, Mutter bin auf drei Uhr heute nachmittag zum Verhör angesagt-in Sachen der Sparbank," fam es abgerissen heraus, und-und­und heute abend werd' ich ein­gesteckt ich weiß es."

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Er ließ den Körper vornüber hängen, als könne er ihn nicht tragen; fein Gesicht war grünlich blaß, schlaff, mit angst­erfüllten Augen, während der Mund idiotisch offen stand.

Die Sache geht schief, Mutter," brummte er hohl, ging direkt von Hause fort."

Endre kam ihm nach ins Rollzimmer; er war sich längst flar über das Faktum.

"

Hier ist ein Glas Cognac, Kjel, von Deinem eignen; Du hast es nötig."

Kjel wies das Glas mit der Hand ab.

,, Du mußt Dich steifmachen, Du! Du willst nicht nicht einmal fosten? Man muß sein Geschick tragen wie ein Mann, ein jedes Geschickt, was es auch sei; auf alle Fälle die Fassade wahren, sag' ich Dir, nicht reinweg zusammenbrechen, das muß man sich für den Tod aufsparen," fügte er theatralisch hinzu.

Zuchthaus , das steht fest, Zuchthaus!" stöhute Kjel heiser. Hier trink ein wenig Wasser, Kiel ," sagte Frau Baarvig, leg' Dich set' Dich dort auf den Stuhl." Er schluckte ein wenig Wasser hinunter. " Heute nachmittag, Mutter heute nach.." seine Hand zitterte, so daß sie ihm das Glas fortnehmen mußte. ,, Du mußt Dich nicht so völlig überwältigen lassen, Kjel" Frau Bente strich ihm halb abwesend über Gesicht und Haar, während er unterbrochen stöhnte--

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