Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 40.
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wären.
Donnerstag, den 25. Februar.
( Nachdrud verboten.)
V.
Es war heißes Sommerwetter; das Gras auf den Hügeln war wie gedörrt, und nach jedem Galopp strich der„ Alte" mit seinen Fingern über die feinen Beine seines Pferdes, um zu sehen, ob sie nicht etwa durch die Hitze angeschwollen William kam jeden Tag ins Haus, um Neuigkeiten zu hören. Er hatte fünf Schilling gewettet; er fonnte fünf Pfund zehn gewinnen; für ihn ein kleines Vermögen, und bevor er in das Büffettzimmer hineinging, blieb er oft bei Esther stehen und fragte sie, ob es etwas Neues gäbe.
Sie sagte ihm, Silberschwanz sei, soviel sie wüßte, in bester Form, und fuhr fort, einen kleinen Teppich, den sie in der Hand hielt, auszuflopfen.
So kriegen Sie den Staub aus dem Teppich nie heraus," fagte er. Geben Sie ihn mir."
Sie zögerte einen Augenblick, dann ließ sie ihn gewähren, und er schlug ihn mit aller Gewalt ein paarmal gegen die Ziegelmaner.
So!" jagte er, als er ihn ihr zurückgab, so mach' ich die Geschichte, und jetzt werden Sie wohl feinen Staub mehr drin finden."
"
-
Danke schön. Sarah ist übrigens vor anderthalb Stunden hier vorbeigegangen."
" Ah! Dann ist sie gewiß nach dem Volksgarten. Sie find wohl noch nie im Volksgarten gewesen, was? Da ist ein Tanzsaal, ein Theater, eine Zauberbühne und alles mögliche Schöne; aber Sie sind natürlich zu fromm dazu; Sie möchten wohl nicht dort hingehen?"
Was soll ich machen? Ich bin nun mal so erzogen
worden!"
" So? Also wollen Sie doch kommen?"
" Ich glaube nicht, daß es mir dort gefallen würde; vielleicht ist es dort auch nicht schlimmer als anderswo. ich hier im Hause bin, habe ich so vieles gehört wirklich-"
aber Seit daß
„ Daß wirklich was?" " Daß es mir manchmal wirklich ganz unnüz vorkommt, die Dinge so genau zu nehmen."
„ Na, natürlich, das ist auch Blödsinn! Also wollen Sie nächsten Sonntag kommen?"
,, Nein, am Sonntag ganz gewiß nicht."
Nun erzählte ihr William, daß der„ Alte" ihn als Diener engagiert hätte. Sonnabend sollte seine Livree fertig sein und Montag in acht Tagen sollte er die Stelle antreten; dabei fiel den beiden ein, wie sie sich dann jeden Tag sehen würden. William sprach noch einmal von dem Kummer, den es seiner Mutter machen werde, wenn er sich auf den Bock neben den Kutscher schwinge, um mit den Herrschaften auszufahren!
Sie hatte immer so ihre Idee, daß ich zu gut fei zum Diener; aber ich finde, man muß das thun, wofür man am meisten bezahlt bekommt. Natürlich wäre ich gern ein Jockey geworden, und reiten konnte ich ganz famos. Eine Zeitlang fand der„ Alte", daß ich besser ritt als" Ginger", aber wenn man mal fein Glück haben soll!- Als ich fünfzehn Jahre alt war, begann ich plöglich zu wachsen und wuchs nun in einem fort; ja, wenn ich so klein geblieben wäre wie der Kleine Teufel"!"
Esther sah ihn an und wußte nicht, ob er im Ernst oder Scherz spräche. Wie konnte er seine prachtvolle hohe Gestalt und seine mächtigen Schultern nur fortwünschen?
Ein paar Tage später suchte er sie zu überreden, eines der Schillinglose eines Wettbureaus zu nehmen, die er unter der Dienerschaft zu vertreiben suchte. Sie gab vor, zu arm dazu zu sein; vor Ende August würde sie feinen Lohn zu fehen bekommen. William aber bot ihr an, ihr den Schilling gu leihen, und er drückte ihr den Hut, in welchem die Zettelchen lagen und auf welchen die Namen der Pferde geschrieben waren, mit fo liebenswürdiger Aufdringlichkeit in die Hand,
1904
daß sie das Gefühl hatte, ihm seinen Wunsch nicht abschlagen zu dürfen; und bevor sie noch Zeit zu weiterer Ueberlegung gewann, hatte schon ihre Hand eine Nummer aus dem Hut herausgezogen.
Mrs. Latch wandte sich um.
Wollt Ihr whl in meiner Küche nicht wetten und spielen? Warum fannst Du das unschuldige Mädchen nicht zufrieden lassen, William?"
,, Sei doch bloß nicht immer so eflig, Mutter, das ist kein Wetten, das ist eine Lotterie."
"
fängt's immer an, und dann wird es immer schlimmer. Ich Das ist ganz dasselbe," murmelte Mrs. Latch. So habe noch nie etwas Gutes daraus werden sehen; aber unglück genug habe ich daraus entstehen sehen, das weiß der Himmel!"
und starrten sie verblüfft an, die Nummer, die sie gezogen Margarete und Sarah blieben mit offenem Munde stehen hatten, in den Händen. Esther hatte ihren Zettel noch nicht fie das Los genommen hatte; sie fürchtete von Sarah oder der geöffnet. Sie sah Mrs. Latch an und bedauerte schon, daß Grover, die eben hereingekommen waren, ausgelacht zu werden, weil sie den Namen nicht lesen konnte, der auf dem Bettel stand. William sah ihre Verlegenheit und nahm ihr das Papier aus der Hand.
,, Silberschwanz! Donnerwetter, die hat das Richtige!" hufen in dem Hofe, und die Mädchen eilten alle zum In diesem Augenblick hörte man den Klang von PferdeFenster hin.
feiner knochigen Hand dem„ Kleinen Teufel" zu, der auf dem William beugte sich über sie herüber und winkte mit Silberschwanz vorüberritt.
Der gewinnt!" schrie William.
ist sehr nützlich gewesen. Vor einer Woche war Silberschwanz " Das glaub' ich auch," sagte Mr. Leopold.„ Der Regen nicht ganz so auf dem Posten wie jest. Wir brauchen noch oder noch mehr hintereinander." mehr Regen! Am besten wär's, es regnete eine ganze Woche
Es sah fast aus, als sollte Mr. Leopolds Wunsch erfüllt werden. Der Himmel schien das Schicksal dieses Rennſtalles zu begünstigen. Am Morgen war es stets schön, und Silberschwanz trabte seine tägliche Meile und wurde immer kräftiger und fester. Nachmittags und in der Nacht regnete es, und während dieser Regenschauer wurde die Stimmung in Woodview immer heiterer und vergnügter, alle Gesichter, mit Ausnahme Mrs. Barfields und Mrs. Latchs, strahlten bereits im Vorgefühl des kommenden Sieges, und fragende Blicke fielen von der Seite auf den kleinen Haushofmeister. Er bildete bald das einzige Thema der Unterhaltung; die andren hatten beinahe das Gefühl, als hielte er die Fäden ihres Geschicks in seinem geheimnisvollen Büffett verborgen.
Namentlich Peggy fürchtete sich vor ihm, und im Vertrauen sagte die jimge Dame eines Tages zum zweiten Hausmädchen:
" Ich liebe es, Dinge zu erfahren, um darüber reden zu können. Er liebt es, Dinge zu wissen, um seinen Mund halten zu können."
Peggy war Miß Margarete Barfield, eine Cousine der Familie; die Tochter eines reichen Brauers.
Wenn er einem des Morgens Briefe bringt," sagte sie, so sieht er dabei aus, als ob er genau wüßte, von wem fie kommen. Ein unangenehmer fleiner Kerl! Ich könnte jedesmal wütend werden, wenn er ins Zimmer kommt."
Er kann das weibliche Geschlecht nicht leiden, Fräulein,' sagte das Mädchen.„ Er läßt uns nie in sein Zimmer hineinkommen. Nur William darf hinkommen und mit ihm über die Rennen sprechen."
Ja, William! Das ist was andres! Er hätte übrigens nicht Diener werden sollen! Seine Familie stand früher ebenso hoch wie die Familie Barfield!"
" Ja, das hab' ich auch gehört, Fräulein. Aber es giebt in der Welt so viel Rauf und Runter, daß man kaum mehr weiß, wer gerade oben und wer unten ist. Aber den William haben wir alle gern, und den kleinen Kerl mitsamt seinem Büffettzimmer können wir alle nicht leiden. Mrs. Latch nennt ihn den bösen Geist des Hauses!"