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Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 54.
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Mittwoch, den 16. März.
( Nachdrud verboten.)
Esther Waters.
" Ich weiß nicht viel von den Rennpferden," sagte Esther. Ich habe sie nur immer über den Hof führen sehen, wenn e zur Uebung hinausgingen. In dem Bedientenzimmer wurde viel davon geredet, aber ich habe nicht weiter darauf geachtet. Ich weiß, daß fie Mrs. Barfield viel Kummer gemacht haben. Hab' ich Dir schon gesagt, Mutter, daß sie zu unsrer Sefte gehört?"
Jim fräufelte verächtlich die Lippen und sagte: Ueber die Brüder und die Seften wird bei uns schon gerade genug geredet; laß die mun mal ruhen! Aber wie war das mit den Pferden? Haben sie im Rennen gewonnen? Das mußt Du doch gehört haben?"
O ja, Silberschwanz hat den Stewardscup gewonnen." " Silberschwanz? Das war eins von Euren Pferden?" " Jawohl; Mr. Barfield hat Tausende und Tausende Saran gewonnen, und fast jeder in Shoreham hat etwas gewonnen, und ein Ball für die Dienerschaft wurde zur Feier gegeben."
1904
es mit den Pferden geht. Wann gehst Dv zurück? Bleibst Du nur einen Tag hier?"
Esther antwortete nicht, und Jim sah sie fragend an, während er sich über den Tisch lehnte, um sich die Streichhölzer zu nehmen. Der gefürchtete Moment war nun gekommen, und Mrs. Saunders sagte:
sie
,, Esther geht nicht zurück- wenigstens
-
,, Geht nicht zurück? Was wirst doch nicht sagen, daß nicht zufrieden ist mit ihrer Stellung, daß sie-?" ,, Esther geht nicht mehr dorthin zurück," erwiderte Mrs. Saunders etwas unvorsichtig.„ Hör mal zu, Jim-"
,, Was ist denn los, Alte? Na, nun mal raus mit der Sprache, was soll denn das heißen? Sie will nicht zurück in die Stellung, wo man sie so gut behandelt hat? Man muß bloß die Kleider sehen, die sie auf dem Leibe hat!" Es dunkelte jetzt stark, und das flackernde Feuer im Herde war das einzige Licht in der Küche. Jim hatte endlich seine Pfeife angezündet, und der warme, durchdringende Geruch des brennenden Tabaks vermischte sich mit dem Geruch von Fett und verbrannten Kartoffelschalen und dem unangenehmen Duft des trocknenden Kleisters an den Hunden. Esther faß ruhig am Feuer, die beiden Hände über den Knien gefaltet. Auf ihrem vollen, etwas mürrischen Antlitz zeigte sich keine Spur von Erregung. Mrs. Saunders stand neben ihr, zwischen ihr und den jüngeren Kindern, die sich untereinander heftig zanften, und eine fast sflavische Furcht drückte sich auf ihrem Antlig aus, während sie besorgt ihren Mann beobachtete.
Warum hast Du mir denn nichts davon geschrieben? Ich hätte dreißig gegen eins von Vill Short gewinnen können, ein Pfund Sterling zehn Schilling zu einem Schilling! Und da fiel es Dir natürlich nicht ein, mir einen Tip zu schicken! Schockschwerenot! Mädels taugen doch wirklich zu nichts!„ Na, Alte, nun aber raus damit," sagte er.„ Was ist Dreißig zu eins hätte ich mit Bill Short gewettet; der wäre darauf eingegangen, das war doch der Preis, der in allen Beitungen gestanden hat. Wenn Du mir nur ein Wort geschrieben hättest, ich hätte mehr gewinnen fönnen, als ich so in drei Monaten mit acht und zehn Stunden Arbeit den Tag verdiene. Na, es nüßt nichts, jetzt darüber zu reden. Was vorüber ist, ist eben vorüber. Die Gelegenheit kommt nicht wieder; aber eine neue kann kommen. Hast Du vielleicht gehört, was sie diesen Herbst mit den Pferden vorhaben?"
„ Ich glaube, ich habe gehört, daß er um den Cambridgeshirepreis rennen soll; aber wenn ich mich recht besinne, sagte Mr. Leopold, der Haushofmeister das ist zwar nicht sein richtiger Name, sondern er wird nur so genannt-"
" Ja, ja, ich weiß, nach dem Baron ; also was hat er gefagt? Der muß es doch wissen. Ich möchte wohl mal eine halbe Stunde mit Deinem Mr. Leopold sprechen können! Also, was hat er gesagt? Wenn ich mich nicht sehr irre, ist das, was er gesagt hat, der Mühe wert, anzuhören; also raus damit!"
„ Mr. Leopold spricht niemals viel, aber er ist der einzige, den der„ Alte" ins Vertrauen zieht. Mr. Leopold war nämlich fein Kammerdiener, als der Alte" das ist der Squire noch nicht verheiratet war."
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Jim lächelte befriedigt in sich hinein.
" Ja, ich kann mir Deinen Mr. Leopold so ungefähr vor Stellen. Aber mum endlich raus damit, was hat er vom Cambridgeshire gesagt?"
„ Er lächelte nur einmal und meinte, das Pferd werde wohl in dem Herbstrennen nicht viel wert sein;" nein, nicht Rennen er gebrauchte ein andres Wort-"
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„ Handicaps!"
los? Ist es möglich, daß das Mädchen seine Stellung verloren hat? Daß man sie rausgeworfen hat? Aha, da ist ihre niederträchtige Heftigkeit dran schuld! Damit find sie da unten ebensowenig fertig geworden, wie ich hier. Na, meinetwegen, was geht's mich an? Das ist ihre Sache; wenn sie sich's leisten kann, so' ne Stelle aufzugeben, um so besser für fie; nur schade, sie hätte mir da immer hin was nüßen „ Das ist es nicht, Jim, das Mädchen ist ins Unglück gefommen."
fönnen."
Was? Esther ins Unglück? Na, das ist wahrhaftig das Beste, was ich schon lange gehört habe! Aber ich sag' es doch immer: die Frommen sind gerade so wie die andern, mur noch verlogener und heuchlerischer. Also Mrs. Dunbar war ihr nicht gut genug, und über die hat sie die Nase gerümpft! Und jetzt kommt sie selbst ins Unglück! Na, so was! Es ist aber gerade das, was ich erwartet habe! Die sogenannten Guten sind immer die Schlimmsten; also hat sie sich ins Unglück gebracht! Na, dann soll sie sich auch wieder rausbringen."
,, Ach, lieber Jim, Du mußt nicht so hart sein. Sie könnte ja die Geschichte so erzählen, daß sie ganz anders klingt; aber Du kennst sie doch, Du weißt doch, wie sie ist. Da sigt sie nun wie ein Stück Marmor, und spricht nicht ein Wort, um sich zu verteidigen."
"
Sie braucht nicht zu sprechen; es ist gar nicht nötig, was liegt denn mir daran? Ich lachte nur, weil-
,, Lieber Jim, es muß uns allen was daran liegen. Wir hofften nur, Du würdest ihr erlauben, hier zu bleiben, bis die Zeit gekommen wäre, wo sie ins Hospital muß-"
„ Ach so, das war's! Na, jetzt verstehe ich auch, warum " Ja, ja, das war's; aber auf das, was Mr. Leopold ich das halbe Pfund Beefsteak und das Seidel Porter bekam, fagt; fann man nichts geben; er meint es immer ganz anders, was? Ich dachte mir schon gleich, daß irgend was los war. als er es fagt; aber von William, dem Diener, hörte ich" Also hier will sie bleiben? So? Als ob hier nicht schon genug Na was? Was hörtest Du? Warum bleibst Du mitten im Besten steden?"
" Ich hörte, daß man im Frühjahr etwas mit ihm borhat"
,, Hat er vielleicht den Namen des Rennens genannt? Sagte er vielleicht City and Sub?"
" Jawohl, das war's!"
,, Na ja, das konnte ich mir schon denken," sagte Jim und griff wieder zu Messer und Gabel. Nur ein kleines Stückchen vom Beefsteak war jetzt noch übrig, und das verschlang er mit wahrer Gier. Dann trant er und lehnte sich gemütlich zurück; er stopfte seine Pfeife und sagte dann:
,, Es wäre mir sehr lieb, von Zeit zu Zeit zu hören, wie
wären! Nein! ich will mich auffnüpfen lassen, wenn ich das erlaube! Nettes Benehmen! Das Mädchen geht in Stellung und kommt dann zurück zu ihren anständigen alten Eltern im Unglück im Unglück nennt sie's. Neinfällt mir nicht ein erlaub' ich nicht. Hier sind schon gerade genug und schon wieder ein neues unterwegs. Zum Teufel, wir brauchen hier keine Bastarde. Ein schönes Beispiel für die andern Mädels; nein, erlaub' ich nicht-"
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Jenny und Julie sahen Esther mit sonderbaren Blicken an. Sie aber saß ganz still da, immer noch mit dem gleichen starren, leblosen Antlig. Mrs. Saunders stieß sie an, und ihre traurigen Blicke sagten:„ Du siehst, mein armes Mädchen, wie die Dinge sind; was kann ich da thun?"