Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 58.
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Dienstag, den 22. März.
( Nachdruck verboten.)
Esther Waters.
Roman von George Moore . Esther sank auf den Stuhl nieder und legte den Kopf und den Oberkörper vornüber auf den Tisch, während ihr Gesicht und ihr Hals sich mit faltem Schweiß bedeckte.
" Dann muß John sich sein Abendbrot selbst zurecht machen; ich will rasch hinauf laufen, meinen Hut auffeßen, und dann wollen wir rumgehen nach dem Hospital. Haben Sie die Babysachen und alles zusammengepackt?"
„ Ja, ja."
In weniger als einer Minute fam die kleine Mrs. Jones wieder heruntergelaufen. Sie hüllte Esther in ein Tuch und sagte dem leidenden Mädchen, nur Mut zu haben und sich fest auf sie zu stützen.
„ Nur Mut, nur Mut!" wiederholte sie noch einmal. Nur Mut, nur Mut!" wiederholte sie noch einmal. Wir haben ja nur noch ein paar Meter weit zu gehen."
,, Sie sind so gut zu mir, so gut," stöhnte Esther leise, und am Hospital angekommen, lehnte sie sich an die Mauer, während Mrs. Jones die Klingel zog.
Nur den Kopf oben behalten; bis morgen ist alles vorüber; in ein paar Tagen werde ich mal rumkommen und sehen, wie es Ihnen geht."
Die Thür öffnete sich. Der Portier zog innen eine Klingel, und eine barmherzige Schwester kam die Treppe herabgelaufen.
„ Schnell, schnell, nehmen Sie meinen Arm," sagte sie zu Esther, und atmen Sie recht tief, während Sie die Treppe hinaufgehen. Schnell, schnell, wir haben keine Zeit zu verTieren."
Auf dem zweiten Treppenabsatz öffnete sich eine Thür, Auf dem zweiten Treppenabsatz öffnete sich eine Thür, und Esther befand sich plötzlich in einem Zimmer voller Menschen; mindestens acht oder neun junge Männer und
Frauen waren darin.
1904
„ Nur ruhig, nur ruhig!" sagte die Wärterin, machen Sie feinen solchen Unsinn; Sie können nicht alles nach Ihrem Kopfe haben; diese jungen Leute sind hier, um zu lernen." Der junge Arzt untersuchte Esther, und sie hörte, wie er zu der Wärterin sagte, daß es nicht nötig wäre, den Doktor zu holen. Ein zweiter meinte, es würde wohl in zwei Stunden schon vorüber sein. Es wird eine ganz leichte Entbindung, der andre Fall da drüben ist viel interessanter.
Dann plauderten sie über die Theaterstücke, die sie gesehen hatten, und die, die sie noch sehen wollten. Dann begannen sie eine lebhafte Diskussion über einen neuen Roman, den sie alle zu lesen schienen, und dann plötzlich rannte die ganze Gesellschaft: Hebammen, Wärterinnen, Studenten zum offenen Fenster hin. Eine kleine Musikkapelle spielte unten auf der Straße.
,, Aber, Schwester, Schwester!" sagte der Student, der an Esthers Bett saß, zu der Wärterin, dürfen Sie so Ihre Stranke liegen lassen?"
Esther sah ihn an. Es war ein blutjunger Mensch mit Augen auf sich ruhen fühlte, wandte sie sich schamhaft ab. hübschem, vollem Gesicht, und als Esther seine klaren, blauen Die ermahnte barmherzige Schwester hörte plötzlich auf in ihrer lebhaften Unterhaltung und sagte:
" Ach, mit dieser hat's keine Gefahr; wenn sie alle so wären wie die, da brauchten wir eigentlich gar nicht hierher zu kommen."
,, Leider sind sie alle so," sagte ein andrer Student, ein dicker, untersetzter kleiner Mensch mit rotem Spizbart. Esther mußte ihn öfter ansehen und haßte ihn wegen seiner lauten Stimme und seiner rohen Scherze. Eine der Hebammen, eine Frau mit langer Nase und kleinen, grauen Augen, schien sich über sie luftig zu machen, und Esther hoffte, daß man dieser nicht erlauben würde, an sie heranzukommen. Sie fühlte, daß sie den Blick und die Hände dieser Frau nicht ertragen könnte. Sie hatte einen so bösen Blick. Aber sie wandte sich kurz ab, und Esther freute sich, als sie sah, daß ihr Liebling unter allen diesen, eine kleine Person, mit lockigem, flachsblondem Haar, an ihr Bett herankam und sie fragte, wie sie sich fühle. Sie sah dem jungen Studenten etwas ähnlich, der noch an Esthers Bett saß, und Esther mußte denken, ob die beiden vielleicht
Was!" rief sie ganz entsetzt. Dort hinein, unter alle Bruder und Schwester seien, oder am Ende gar Verlobte. diese Menschen?"
,, Natürlich, das sind die Studenten und die Hebammen." Schon vom Korridor aus hatte Esther ein furchtbares Schreien gehört. Jetzt sah sie, daß diese Schreie aus einem Bett linker Hand ertönten. Auf diesem Bett lag eine Frau da ganz zusammengekrümmt. Und halb bewußtlos vor Angst, wurde Esther von der Schwester, die sie hinauf gebracht hatte, hinter einen Wandschirm gezogen und rasch entkleidet. Man Bog ihr ein Hemd und eine Jade an, welche beide ihr eine Meile zu groß waren. Sie erinnerte sich noch, wie die Schwester diese Bemerkung gemacht hatte.
Bald darauf hörte man eine laute Glocke ertönen; die Studenten liefen hinunter zum Abenbrot; nur eine barmherzige Schwester blieb oben, die die Verpflichtung übernahm, fie sofort zu rufen, wenn es nötig sein sollte. Die letzten furchtbaren Schmerzen hatten Esther so völlig erschöpft, daß sie ein wenig eingeschlummert war, aber in diesem Schlummer hörte sie das Flüstern einiger in der Ecke sigenden Hebammen so deutlich, daß sie gar nicht zu schlafen glaubte. Und in diesem Halbschlaf verzerrte sich die Wirklichkeit vor ihrem Geiste, und die unglücklich verlaufene Operation, über welche die Wärterinnen sprachen, erschien Esther wie eine Verschwörung gegen ihr eignes Leben. Sie erwachte völlig, Die beiden Fenster des Zimmers, standen weit offen, und horchte zu, und die ganze Wahrheit dämmerte wieder vor ihr als sie von der Schwester begleitet durch das Zimmer ging, auf. Sie war im Hospital imd jene Frauen sprachen von bemerkte sie die Waschschüsseln auf dem Boden, die Lampe auf einer armen Frau, die vorige Woche gestorben war und dem runden Tisch und das Glitzern stählerner Instrumente. Die Frau dort drüben in dem andern Bett schrie immer noch Rundum standen die Studenten und die Hebammen; fie und schien furchtbar zu leiden; würde sie mit dem Leben fnabberten Süßigkeiten; das merkte Esther, als sie einen der davonkommen? Würde sie überhaupt noch den nächsten Tag jungen Männer eine der jungen Frauen fragen hörte, ob sie erleben? Und würde sie selbst den nächsten Sonnenaufgang noch mehr Fondants haben wolle. Ihr Schnattern und ihr noch sehen? O, wie langsam verging die Zeit! Wie schrecklich Gelächter thaten Esthers Nerven weh, aber in diesem Augen- erschien ihr dieser ganze Ort! blick begannen ihre Schmerzen von neuem, und sie sah den jungen Mann, der vorher die Tüte herumgereicht hatte, sich ihrem Bette nähern.
nein, den nicht," schrie sie der Schwester zu;„ der ist der ist der ist zu jung! Lassen Sie den nicht an mich
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rankommen!"
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Die Umstehenden begannen alle Taut zu lachen, und Esther, von Scham und Schmerzen übermannt, barg ihr Geficht in den Kissen; aber als der junge Arzt sich ihr näherte, wollte sie vom Bett aufspringen.
Laßt mich gehen," schrie sie, laßt mich gehen, o, wie Schrecklich Ihr seid!"
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Wenn die Wärterinnen nur nicht in einem fort geredet hätten! Und nun begannen ihre Schmerzen schon wieder. Es war schrecklich, so daliegen zu müssen und zuzuhören und immer zu warten, zu warten.
Die Fenster standen weit offen, und fröhliches Gelächter und Gekreisch aus der Straße tönte herauf, klang wie Hohn und Spott in den Ohren des leidenden Weibes. Dann hörte man das Trampeln von Füßen und viele Stimmen draußen im Korridor. Die Studenten und Wärterinnen kamen wieder zurück von ihrem Abendbrot. Und wieder fühlte sie die furchtbaren Schmerzen an ihrem ganzen Körper herauffriechen; wieder umſtanden all die jungen Leute ihr Bett, und einer der