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So fam der Sonntag. Der Sonntag war Wilhelm Gunder­manns bester Tag von jeher gewesen. Dann war der Omnibus stets zum Brechen voll, mühsam schleppten die Gäule den schweren Wagen, ein Passagier saß fast auf dem andern, und wenn abends das blanke Geld gezählt ward, funkelten die Augen vor Glück. Nur noch den einen Gedanken hatte Wilhelm Gundermann auch während der drei schrecklichen Tage gehabt den Gedanken an den Sonntag. Der Sonntag mußte ihn retten, der Sonntag alle Verluste einbringen. Es kam noch dazu, daß gerade an diesem Sonntag ein Sängerfest in Bolajewo stattfinden sollte. Und selbst wenn viele die Bahn benüßten für alle bot sie wohl gar nicht Raum. Die mußten dann zu ihm tommen!

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Morgens war der Wagen leer. Er zerrte an dem struppigen Backenbart., Moische Rogers die Sänger kommen später!" Mittags war der Wagen wieder leer. Er zog die Leine um die. Hände, daß alles Blut daraus entwich. So kam er auf dem Bahn­ Hof , nach dem er über ein Jahrzehnt dreimal täglich gefahren, an. Um zwei Uhr ging der Zug nach Polajewo. Früher fuhr auch er nicht ab. Die Sänger, die dorthin wollten, mußten sich ja hier auf dem Bahnhof versammeln.

Schon standen hie und da festlich gekleidete Leute in Gruppen beisammen. Sie füllten bald den wartenden Zug. Desto besser! So war's gewiß, daß genug für ihn zurückbleiben. Zum erstenmal seit langem lachte er wieder höhnisch und heiser, als könne er sich da­durch an dem Riesentier rächen, es um zehn und zwanzig betrügen. Es stand massiv da, puffte, fauchte. Es schien ihm fast, als höhnte es ihn. Hoho, heut war das Höhnen an ihm!

Nun kamen die Sänger, immer neue Massen daneben! Die Ernte würde reich werden! Schon gab es Gezänt um Plätze, schon wurden Türen zugehalten, schon der Stationsvorsteher bestürmt.

Jebt war es Zeit." Omnibus nach Bolajewol Fünfzig Pfennig pro Person!" schrie er laut und heiser." Omnibus nach Bola­jewo"

Kaum einer, der sich umfah. Und geller, lauter tönte der Ruf. ,, Laufen die Moische Rozers noch immer?" lachte jemand. ,, Omnibus nach Polajewo" es war jetzt etwas Wildes, da= neben halb Aengstliches in dem Schrei.

Aber alles stürmte den Zug. Unmöglich, da ging doch niemand mehr hinein.

ich auch!"

Schon wandten sich einige nach Wilhelm Gundermann um. Er rief immer heiserer, geller. Wo steht der Wagen? Wann geht's los? Ich will mit ich auch Da plößlich die Stimme des Stationsvorstehers:" Nur ruhig, meine Herrschaften- der Anhängewagen ist schon da. Sie finden sämtlich Plak!" Im Nu war Wilhelm Gundermann verlassen. Alles stürmte auf den neuen Wagen zu, der herangeschoben und mit dem letzten des Zuges verkoppelt ward.

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Es schien einen Augenblick, als würde der Fuhrherr hintenüber schlagen. Dann nahm er seinen Ruf wieder auf ein verzweifeltes, furchtbares Rufen. Man verstand ihn kaum mehr, die Stimme hatte alles metallische verloren. Es war mehr ein krampfhaftes, heiferes

Röcheln.

Die Lokomotive pfiff, ein Rud ging durch die Wagen, Lachen und Geschrei tönte aus den Coupés, wie die Häringe gedrängt preßten sich Gesichter an die Scheiben fort rollte der Zug. dem Sängerfest in Polajewo zu.

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Ja... ja... da hinten kam es an... bas Riesentier wie die beiden Augen funkelten und glopten, wie es durch die Totenstille fauchte. Es höhnt, das Tier - es höhnt! Rasend vor Wut springt der Fuhrmann auf.

Machen Sie, daß Sie' nüberkommen, ich muß die Barriere schließen," schreit der Bahnwärter barsch.

Wilhelm Gundermann hört nicht.

", Moische Roger,!" brüllt er heiser, die Peitsche knallt über die Gäule, er rast nur so hin, aber er rast nicht die Chaussee entlang, er raft auf den Bahndamm... dem Riefentier entgegen. Die Pferde bäumen sich und schnauben, aber sie hören furcht­barer wie je das Moische Roher,!" Die Peitsche schlägt Striemen, fie rasen dahin, und trunken, sinnlos, halb gekrümmt steht Wilhelm Gundermann vorn, heiser schreiend, peitschend. Immer näher fam das Riefentier, es faucht und glüht durch die Finsternis.

In wilder Angst drängen die Pferde zur Seite, den Damm hinab. Doch eine Riesenkraft hält sie in der Mitte, der Schaum flockt ihnen von den Mäulern, die Flanken zittern, aber sie rasen vorwärts. Und Wilhelm Gundermann steht da mit verzerrtem, höhnischem, triumphierendem Gesicht. Die Augen sind ihm vorgequollen, aus dem offenen Munde läuft ihm der Speichel..

Das Riefentier... Moische Rozz

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Ein furchtbarer, schleudernder Stoß, ein geller Ruf von der Maschine, gelle Rufe des fernen Wärters, der mit ausgestreckten Armen, die Laterne schwingend, dem Zuge entgegenläuft. Die Lokomotive wird zum Stehen gebracht. Im letzten Augenblick hatte der rechte Gaul, der Rappe, mit wilder Gewalt über den Damm ge= drängt. Den linken hatte die Maschine mit voller Kraft gepackt und sofort getötet, den Wagen zertrümmert, den Rappen mit halbem Unweit von ihm, mit Stoße noch getroffen und dann zu Tode. offenen, höhnischen Augen, aber tot und verstümmelt, lag Wilhelm Gundermann.

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Kleines feuilleton.

en. Vom Panama- Kanal . Trotzdem in den legten Monaten wieder so viel über den Panama- Kanal geschrieben worden ist, fann es mit Genugthuung begrüßt werden, wenn ein Sachverständiger alle auf dies wichtige Unternehmen bezüglichen Punkte übersichtlich zusammenstellt. Das ist geschehen in einem Aufsatz, den neulich die Barifer Annalen der Geographie" veröffentlicht haben. Zur Stunde sind etwa 2 der Ausschachtungen des Kanals vollendet. Allerdings war die fertige Kanalstrede seit Einstellung der Arbeiten durch die erste Panama Gesellschaft teilweise wieder durch Pflanzenwuchs gesperrt, aber dies Hindernis ist vor der Uebergabe an den neuen Unternehmer beseitigt worden. Die alte Panama - Gesellschaft scheiterte bekanntlich in der Hauptsache an zwei Schwierigkeiten, einmal an der Notwendigkeit, den Gebirgsrücken in einem Durchstich von 110 Meter Tiefe zu durchbrechen und zweitens an der Unmöglichkeit, des Chagres Herr zu werden, eines stürmischen Wasserlaufes, dessen der Kanal auf einem großen Teile seiner Länge unbedingt bedurfte. Auch der technische Ausschuß der neuen Gesellschaft hat zugeben müssen, daß hier eine Aenderung des Planes vorgenommen werden müsse, weil die unregelmäßige Schwellung des Flusses ein unüber­windliches Hindernis biete. Der Kanal muß eine Länge von 69 Kilometer erhalten oder von rund 74% Kilometer, wenn noch die ergänzenden Meereszufahrten zum eigentlichen Kanal zugerechnet werden. Das von der neuen Gesellschaft angenommene Projeft will den Kanal nicht, wie es früher beabsichtigt war, in Höhe des Meeresspiegels, sondern in 2034 Meter Höhe bauen, wobei acht Schleusen nötig sein würden. Es wird außerdem ein Staubecken am oberen Chagres bet der Ortschaft Alhajuela geschaffen werden. Endlich müßte noch ein mächtiger Staudamm den Spiegel des Bohio- Sees, der auf der atlantischen Abdachung gelegen ist, zurückhalten. Wenn die fran­ zösischen Berechnungen der Kosten auf diesen Plan angewandt werden, so würde der Kanalbau 512 Millionen Frank erfordern. Die Häfen Colon und Panama würden dann vorläufig in ihrem jezigen Zustand belassen werden. Eine nahe Zukunft wird lehren, inwieweit die Regierung der Vereinigten Staaten die Grundzüge des Plans noch verändern wird. Im besonderen bleibt abzuwarten, ob der Vorschlag des Generals Serrell zum Bau einer unterirdischen Gundermann! Freundchen!" Aber der Wirt erreichte seinen Kanalstrede durch die Cordillere als durchführbar anerkannt werden Bwved erst, als er sagte: Die Fuhre ist voll... die Leute warten!" wird. Warum sich die Amerikaner für den Panama- Kanal und Da tam dem Trunkenen seine Pflicht zum Bewußtsein. Er gegen den Nicaragua- Kanal entschieden haben, ist ganz begreiflich. lief so schnell er fonnte zu seinem Rumpelfasten. Die Pferde waren Mit Bezug auf den letzteren fehlte fast jede Erfahrung, ausgeruht. Er nahm die Leine.", Moijche Rozzers!" sagte er. die vulkanische Natur des Gebiets und die dort häufigen Er schlief halb. Aber die Gäule kannten den Weg so gut wie er. Erdbeben schienen für den Bestand des Werks bedentlich So holperte der Omnibus dahin.

Krumm, den Kopf vorgeschoben, die Hände geballt, die Arme zurückgedrängt, als wollte er sich auf einen Feind stürzen, hatte Wilhelm Gundermann das mit angesehen. Ein Schrei wie ein in der Mitte gebrochenes Wort dann ein schauerliches Lachen.

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Schnaps zum Deubel... kennt Ihr den Gundermann nicht mehr?" Wie ein Trunkener trat er in die Bahnhofswirtschaft. " Die ganze Fuhre ist voll... der Mensch muß sich was leisten," schrie er und goß den Fusel hinab. Er forderte ein neues Glas, wieder eins, stierte vor sich hin, lachte." Tod dem Riesentier schlagt das Tier tot! warum schlägt keiner das Tier tot?"

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Er trant, als wär' er's gewöhnt, er fonnt nicht genug kriegen. Reiner wagt sich heran an das Tier!" befahl er dann drohend. Das Tier bleibt für mich!"

Die Stunden verrannen. Es ward dämmrig. Dem Bahnhofs­wirt wurde der Mann unheimlich. Er wollte ihn los sein, denn schon Tam Publikum, das auf fällige Züge wartete.

Im Walde ward Wilhelm Gundermann erst wieder wach. Er wußte noch taum, was geschehen war. Es war so still hinter ihm, die Leute sprachen nicht. Nur im Wald immerzu ein Rascheln, die Blätter, die fielen. Wo war er denn? Es war alles schon dunkel, dunkle Nacht. War das die dritte Fahrt oder erst die zweite? Und plöglich stand alles grell- deutlich wieder vor ihm. Seine Augen wurden stier. Er sah sich um: kein Mensch im Wagen, des­halb Totenstille! Alle hatte das Riefentier entführt: zum Sängerfest! Die Pferde schnaubten, der Wald hörte auf. Da war der Schnittpunkt. Ein Dröhnen kam aus der Ferne. War der Abend aug schon fällig?

und außerdem würden

die Schiffe zur Ueberwindung des Isthmus dort 36 Stunden gebraucht haben, während der Panama- Kanal in zwölf Stunden passiert werden könnte; auch die jährlichen Unterhaltungskosten würden für den Nicaragua- Kanal dreimal größer gewesen sein. Damit sind noch nicht alle Nachteile des Nicaragua- Blanes erschöpft. Es fehlten dort an den Enden auch genügende Häfen, vielmehr hätte man die Pläße Greytown und Brito erst vollständig ausbauen müssen. Das Klima ist auch weit regenreicher als in der Gegend von Panama . Endlich wäre der Bau einer Eisenbahn eine Vorbedingung für den Kanalbau gewesen, während bei Panama schon seit einem halben Jahrhundert eine solche besteht.