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Vielleicht dachte er auch bloß nach, oder dachte an garnichts. Alles beim Alten. Die Häuser niedrig und die Gassen eng. Enge und Kleinheit überall. Und was für eine Enge! Alles so nah, so greifbar nah! Kann man nicht die Straße mit den Armen überspannen? Hat man mehr als zehn Schritt von einer Ecke zur andern?

Da ist die Kaiserstraße. Ist das die Kaiserstraße? Das schmale Gäßchen mit dem Duzend Häusern und den ganz armseligen, Kleinen Läden, kann das die Kaiserstraße sein, steht sie denn nicht in meiner Erinnerung fest wie eine breite Avenue mit glänzenden Ge­schäften und prächtigen Schaufenstern?

Es ist aber doch die Kaiserstraße! Ist die Kaiser straße klein geworden!

Und klein geworden ist alles hier herum, was doch so groß in meinen Träumen stand. Der Wilhelmplatz, ja der Wilhelmplatz, das war doch unser Stolz". Wenn ein Fremder zum Besuch fam, zeigte man ihm den Wilhelmplatz, den herrlichen Schmuck play, die schönste Anlage in der Stadt.

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Lieber Himmel, der Wilhelmplatz! Ein paar Rasenstücke mit ein paar Büschen und einem Kriegerdenkmal in der Mitte.

Und das habe auch ich einft für groß gehalten! Und hier hält man's wohl heute noch für groß. Ja, natürlich hält man es für groß, und wenn die Fremden zum Besuch kommen, zeigt man noch Heute den Wilhelmplatz; und die Fremden bewundern ihn höflich und lächeln im stillen.

Ich muß auch lächeln. Was in der Enge alles Größe wird? Und was man so für Größe hält, wenn man noch selber in der Enge stedt!

Ja, ich muß lächeln.

Aber immer weiter! Die Breite Straße, ach die Breite Straße Neue Erinnerungen.

In der Breiten Straße steht das Kasino und die Kriegsschule und das Gymnasium, und die Breite Straße istverboten verboten für die jungen Mädchen... vom Anstand und der guten Sitte nämlich. Hin und wieder einmal hindurchgehen, mit Mama" oder einer Tante, nun ja das können sie natürlich schon, aber allein und etwa, öfter"? Schreckliche Vorstellung!

Durch die Breite Straße gehen die Lieutenants, gehen die Kriegs schüler und die Primaner, und wenn die jungen Mädchen auch hin­durchgehen, thun sie das bestimmt der Lieutenants wegen oder zum mindesten wegen der Primaner, ja ganz bestimmt nur deswegen, man muß es wenigstens bermuten".

Muß" man es nicht vermuten"?

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I finns. Die Preisfrage ist: was wird Ferréol, der, von einem Rendez­bous mit der Frau des Gerichtspräsidenten kommend, Augenzeuge eines Mordes war, thun, wird er, da man einen Unschuldigen vor Gericht stellt, wie es einfachste Pflicht wäre, der Jury von dem, was er gesehen, Mitteilung machen und so die Frau kompromittieren, oder wird er schweigen; und wenn er nicht schweigt, wie gedenkt der menschenfreundliche Autor die trotz des Rendezvous unschuldige Frau vor öffentlichem Skandal zu bewahren? In den ersten Aften werden die Trümpfe flug zurückgehalten, dann aber folgt Schlag auf Schlag, eine im Rahmen dieses Genres brillante Exekution und Lösung", ein wahres Bombardement von Ueberraschungen, bei dem man auf Augenblicke so in der Entlarvungsscene des Mörders beinahe sogar den Arrangeur und Drahtzieher vergißt. Daß trotz der raffinierten Sensationen der Beifall, wie mir schien, nicht die übliche Stärke hatte, mag ein Zeichen für ein gesteigertes Natürlichkeits­empfinden sein, um das bei seinem Publikum sich auch das Schiller­Theater selbst so vielfach verdient gemacht hat.

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Die Aufführung war nicht durchweg gleichmäßig, Herr Päschte gab sonst Besseres als diesmal in der Titelrolle. Sympathisch wirkte Friedrich Krüger als Gerichtspräsident und Else Wasa in der schwierigen Rolle der geängstigten Frau. Drollig und doch ohne eigentliche Bossenaufdringlichkeit spielte Sch masow die von Sardou mit ziemlich stiefmütterlichem Wiz bedachte Rolle des Geschwornen Perrissol. Sehr glücklich gelang Franz Rolan die Gestalt des schwerblütigen Waldhüters und Verbrechers Martial. Die beste, eine Leistung von ganz hervorragender Intelligenz war der Untersuchungss richter Erich 3iegels. Die hellflare, verstandesmäßig- trockene Stimme, die wie von der Last der Geschäfte gebückte Haltung, das Hastig- Behende der Bewegungen, das blasse, nervöse Gesicht mit den Augen, die bei auftauchendem Argwohn den Verdächtigen gleichsam umflammern, festhalten, das alles fügte sich zu einem höchst lebendigen Ganzen zusammen. ―dt.

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Humoristisches.

Hm, hm. Besucher:" Wo ist denn der zweite Neger?" Besizer:" Der kann erst morgen wieder auftreten... er ist nämlich heute bei seinem Ausgange von einem Blagregen überrascht worden."

Gatten): Arthur, zech doch nicht so viel! Willst Du denn - Moderne Moralpauke. Junge Ehefrau( zum Deine Nachkommen mit Gewalt erblich belasten?"

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Burst wider Wurst. Der Bürgermeister von N., ein

Die guten Familien" vermuten es alle, und die guten Familien" sehen sehr scheel auf die jungen Mädchen und die jungen Prozenbauer, geht mit dem neuen, jungen Doktor zur Gemeinde­Frauen, die öfter" durch die Breite Straße gehen. Sie verkehren ganz bestimmt nicht mit ihnen. Und so ist die Breite Straße für die jungen Mädchen verboten. Denn die jungen Mädchen fürchten die guten Familien und wollen alle in den guten Familien ver­kehren. Die guten Familien sind Autoritäten.

Warum ich nur schon wieder lächeln muß.. Vielleicht weil mir die kleine lustige Doktorswitwe einfällt, die damals aus Berlin  herüberzog und alle Tage durch die Breite Straße ging und sagte, das wäre die einzige Straße, wo man überhaupt hindurch gehen könne, ohne vor Langeweile zu sterben.

Gott   sei Dank, daß ich hinaus kam aus dieser Enge, aus der Kleinstadtenge in die freie Welt, und daß ich andre Größen kenne, als die der engen Grenzen.

Andre Größen aber auch Größe? Was macht mein Lachen plötzlich schweigen?

Entflohen in die freie Welt? Ist sie frei, und bin ich frei? Bist

Du es? Und Du?

Ja, was lacht Ihr über Kleinstadtenge, was lachen wir alle? Als ob nicht auch wir uns noch Grenzen steckten, wir da draußen in der freien Welt" i

Als ob nicht auch wir uns noch beugten vor falschen Größen

und vor Gesetzen, deren andre lachen!

Als ob nicht auch wir uns noch fürchteten vor toten Gözen, wie die Leute in den engen Grenzen!

Ueber die engen und die weiten Grenzen hinaus zur Freiheit des Grenzenlosen! Wer kommt mit?

Theater.

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fanzlei. Hier treffen die beiden den Lehrer als Gemeindeschreiber. Der Bürgermeister stellt den Lehrer dem Doktor vor mit den Worten:" Sehg'n' Herr Dofta, dös is mei Oberschreiber!" Darauf entgegnet schlagfertig der Lehrer, auf den Ortsgewaltigen zeigend: Und dös is mei' Unterschreiber!"

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Notizen.

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( Meggendorfer Blätter.  ")

Goethe- Vereins in Düsseldorf   werden folgende Auf­Die diesjährigen Festspiele des Rheinischen führungen bringen: von Moliere  " Der Geizige  "," Der eingebildete von Grillparzer   Weh dem, der lügt  "; von Moreto Donna Stranke", Die gelehrten Frauen und Die lächerlichen Preziösen; Shakespeare   Die Komödie der Irrungen  ". Jedes Stück wird Diana"; von dem Dänen Holberg Die Zeitlose" und von zweimal hintereinander gegeben; die erste Vorstellung ist auf den 16. Juni angesetzt.

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Dresden   bekommt kein neues Schauspielhaus.

Das Gesamtministerium hat das Neubauprojekt nicht genehmigt.- - Die niederöstreichische Theater- Landeskommission hat, nach Feuergefährlichkeit hin untersucht. Das Ergebnis ist, daß der Chicagoer   Brandkatastrophe, alle Wiener   Theater auf ihre gesperrt werden sollen, wenn die Eigentümer nicht binnen das Karl- Theater und das Josephstädter Theater Monatsfrist durchgreifende Aenderungen der Baulichkeiten in Angriff nehmen.

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t. Die neueste Entdeckung von Curie. Professor Curie hat der Pariser Akademie der Wissenschaften eine Mitteilung zugehen lassen, die für die Erklärung der Radiumstrahlen nicht ohne Bedeutung ist. Man weiß schon seit einiger Zeit, daß das Nadium auch auf andre sonst nicht strahlende Körper die Strahlungsfähigkeit überträgt. Curie hat nun festgestellt, daß die, inducierte" Strahlung in festen Körpern verhältnismäßig schnell wieder verschwindet, und aus seinen Beobachtungen darüber zieht der Forscher den Schluß. daß sich das Radium möglicherweise nach dieser Uebertragung in einen andren Stoff verwandelt, wie ja schon bestimmte Andeutungen über eine Umwandlung von Radium in Helium vorliegen.­

Schiller Theater O. Ferréol", Schauspiel in vier Aufzügen von Victorien Sardou  . In dem abwechselungs­reichen Repertoire des Schiller- Theaters erschien in dieser Woche ein ehemals viel bewunderter Sardou, Repräsentant einer jetzt fast aus gestorbenen Litteraturgattung, die, so absolut nichtig sie an dem Maßstab menschen darstellender Kunst ist, durch die Virtuosität ihrer spielerischen Kunstfertigkeiten immerhin ein gewisses Interesse erwedt. Unfähig, dramatische Spannung zu erzeugen denn diese wächst im legten Grunde nur aus den Tiefen der Charakteristik und einer die Charaktere folgerecht entwickelnden Handlung hervor, unterhalten solche Gesellschaftsstücke" ihr Bublifum durch ein Surrogat jener c. Der heißeste Ort auf Erden soll die Insel Bahrain  , Spannung, durch die Neugierde, wie wohl der für den Ausgang ver- eine der Aval- Inseln im Persischen Golf, sein; ihre mittlere antwortliche Autor sich aus dem verzwickt erfundenen Situations- Temperatur für das ganze Jahr beträgt 29 Grad Reaumur. Juli, gespinnst in eleganter Weise wieder herauswickeln werde. Auch August und September sind abgesehen von den Eingeborenen für wenn's um Hals und Kragen geht, wenn sich's um Mord jedermann unerträglich. Um Mitternacht zeigt dann das Thermo und Zuchthaus handelt, wie hier im Ferréol", wirkt das Aufgebot meter noch über 30 Grad, um sieben Uhr morgens 33 bis 34 Grad von Leidenschaften im ganzen doch immer nur als Spiel des Scharf- und um drei Uhr nachmittags 48 Grad.

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Berantwortí. Redakteur: Paul Büttner   Berlin.-Druck und Verlaa: Vorwärts Buchdruckerei u.Verlagsanstalt Paul Singer& Co., Berlin   SW.