Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 84.
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IO
Donnerstag, den 28. April.
( Nachdruck verboten.)
Efther Waters.
Roman von George Moore . Charles zog sich zurück. " Ich fürchte," sagte William etwas leiser zu Esther,„ daß es mit dem alten Kerl nicht gut geht. Er ist schon seit längerer Beit ohne Stelle und wird schwerlich wieder eine finden. Wenn man alt ist, engagieren sie einen nicht leicht. Für uns beide ist's gut, daß wir raus sind aus der Geschichte."
Mr. Randal saß an der Wand und rauchte seine kurze Thonpfeife. Er trug einen seltsam geschnittenen, passabel anständig aussehenden Gehrock. Der Rand seines runden Hutes war fettig und das Dach desselben mit Staub und Flecken bedeckt. Er trug ferner ein fauberes, aber ungestärktes Hemd und um seinen dünnen Hals eine lange schwarzseidene Krawatte. Er repräsentierte bis in die kleinste Einzelheit die Kategorie, zu der er gehörte: die Kategorie der alten stellenlosen Diener, die schwerlich noch eine neue Stelle finden werden.
" Ich habe einen verfluchten Tag in Newmarket gehabt," sagte William zu ihm. Es war rein wie verhert; einer wie der andre von den Favoriten gewann."
" Ich weiß, daß die Fovoriten gewonnen haben; aber ich weiß auch noch etwas Neues; ich habe von einem famosen Outsider für den Leger gehört; bekam eben erst den Brief; darum gerade bin ich hergekommen, um es Ihnen zu erzählen."
,, Schönen Dant, alter Freund; aber ich darf solche Geschichten nicht anhören. Wir Bookmakers dürfen keine solchen Informationen erhalten; gleichviel, ob sie korrekt sind oder nicht. Aber immerhin schönen Dank. Was wollen Sie heut trinken?"
" Ich habe noch nicht ganz ausgetrunken." Er leerte rasch sein Glas.
,, Dasselbe noch mal?" fragte William. " Ja, bitte."
William schenkte zwei Gläser Porter ein. Auf unser Glück," sagte er.
Die Männer nickten einander zu, tranken, und dann wandte sich William zu einer Gruppe am andern Ende des Schanktisches.
Aber der Alte erhob sich und tippte ihn auf die Schulter. Einen Augenblid noch)," sagte er, dies ist der beste Tip, den ich je in meinem Leben gehabt habe. Ich habe nicht vergessen, wieviel ich Ihnen schulde, und wenn ich bei Ihnen gewinne, so kann ich Ihnen alles in Bausch und Bogen zurückzahlen. Wetten Sie zwanzig Pfund gegen eins mit mir."
Der alte John blickte um sich, um sich zu vergewissern,
ob auch keiner ihn hören könnte. Dann beugte er sich vor und flüsterte William den Namen des Pferdes ins Ohr.
"
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Wenn Sie Ihrer Sache so sicher sind," sagte William, so möchte ich Ihnen schon lieber ein Pfund leihen, damit Sie die Wette auf Ihr Pferd wo anders machen können." ,, Würden Sie mir wirklich ein Pfund leihen?" " Ihnen ein Pfund leihen?! Und nachher kommen fünf erste Favoriten ans Ziel nicht wahr? Ne- e- e! Sie scheinen mich wahrhaftig für Rotschild zu halten! Sie glauben, weil ich ein Wirtshaus habe, hab' ich auch die Tasche voll Geld; na, das ist aber durchaus nicht der Fall. Das Geschäft hier ist elend einfach jammervoll man follt' es nicht glauben; und dabei kriegt man doch in der ganzen Nachbarschaft nichts annähernd so Gutes zu trinken wie hier bei uns."
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Der alte John hörte mit der gleichgültigen Miene eines Mannes zu, dessen ganzes Lebensinteresse sich auf eine Sache Fonzentriert und der von allem andern nichts wissen will. Esther fragte ihn, wie es seiner Frau ginge und seinen Kindern, aber eine Unterhaltung über dieses Thema war ihm stets unangenehm gewesen, und er überging es auch heute mit wenigen Worten. Als Esther sich von ihm abwandte, beugte er sich rasch über den Schanktisch zu William hin und flüsterte erregt: ,, So wetten Sie zwölf Pfund gegen zehn Schilling, ich werde es Ihnen sicher zurückzahlen können. In Orford Street wird ein neues Restaurant eröffnet, da will ich mich um die Stelle des Oberkellners bewerben."
1904
Bewerben? Ja, aber werden Sie sie auch kriegen?" antwortete William etwas brutal. Er hatte nicht die Absicht, unfreundlich zu sein, aber sein innerstes Naturell war ebenso hart und schlicht wie ein weiß gescheuerter Küchentisch. Das Kinn des Alten sank herab in den ungestärkten Kragen und die altmodische Krawatte, und er blieb einsam sitzen und rauchte seine Pfeife weiter.
Esther sah ihn an; sie sah, daß es ihm schlecht ging, und fie mußte der großen, bageren Frau mit dem traurigen Gesicht gedenken, die sie weinend am Meeresufer getroffen hatte an jenem Tage, da Silberschwanz den Preis gewann! Was mochte aus ihr geworden sein? In welcher Ecke Londons verbarg sie sich woht? Und wo war der Sohn, dem Randal nicht erlaubt hatte, in das Haus der Barfields als Groom einzutreten, weil er ihn zu etwas Besserem bestimmt hatte?
Die Stammgäste begannen sich jetzt einzufinden, Esther begrüßte sie mit freundlichem Nicken und Lächeln. Sie nahm immer zwei Gläser auf einmal in die Hand und füllte sie mit Bier. Dann nahm sie kleine zinkene Maße, die sie aus einem kleinen Faß mit Whisky füllte. Sie kannte so ziemlich schon die Wünsche ihrer Kunden. Wenn sie mal einen Irrtum machte, ärgerte sie sich über sich selbst und murmelte vor sich hin: Wie dumm!" und Mr. Ketley amüsierte sich darüber, wie sie jeden Abend von neuem vergaß, daß er seinen Whisky lieber aus der Flasche trank. Er war der einzige unter den Gästen im„ Kings Head", der sich's erlauben konnte, Whisky zu sechs Pence zu trinken.
„ Das müßte ich nun auch schon wissen," sagte sie.
„ Na," erwiderte der kleine, dicke Butterhändler, Irrtümer passieren ja bekanntlich auch in den besten Familien." In diesem Augenblick betrat ein kleiner, blondhaariger Mann das Lokal. Esther erkannte ihn sofort; es war ,, Ginger", er hatte sich wenig verändert im Laufe der Jahre; war ein bißchen gelber, ein bißchen trockener geworden und sah ein bißchen weniger wie ein Gentleman aus. William begrüßte ihn und sagte:
Da ist's angenehmer." Wollen Sie nicht hier herumkommen ins Privatzimmer?
,, Ach, das lohnt kaum der Mühe, ich war drüben im Theater, und da dachte ich: Könntest mal rangehen, sehen, wie's hier geht. Wie ich sehe, haben Sie die alten Pferde noch nicht vergessen," fuhr er fort, als er die lithographierten Bilder von Silberschwanz und Summers Dean an der Wand hängen sah.„ Ach, das war ein großer Tag, nicht wahr? Fünfzig gegen eins; dreißig war das wenigste, was die Leute setzten, und der„ Alte" hatte ihm doch noch zwanzig Pfund mehr aufgeladen, als er zu tragen nötig hatte erinnern Sie sich noch? Guten Tag, John; freut mich, Sie wieder
zusehen; geht's Ihnen gut?"
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Der alte Diener sah so schäbig und so heruntergekommen aus, daß Esther durchaus nicht erstaunt war, als" Ginger" ihm nicht die Hand reichte. Sie dachte eben, ob er sich ihrer wohl noch entsinnen würde, und im gleichen Augenblick, da fie das dachte, reichte er ihr über den Schanktisch hinüber die Hand hin.
„ Darf ich die Ehre haben, ein Glas mit Ihnen zu trinken?" fragte William.
,, Ginger" hatte nichts dagegen, und William sagte Esther, sie möchte rasch eine Flasche Champagner von unten heraufholen.
Unterhaltung wandte sich den Rennen der nächsten Woche zu. Ihr Wohl, Mr. Barfield!" Sie tranfen beide und die
" Ich weiß noch nicht viel von den Sachen in nächster Woche," sagte der alte John, aber ich habe so etwas gehört den Leger den wird ein Outsider gewinnen."
Haben Sie auf ihn gewettet?"
" Ich thäte es sicher, wenn ich das Geld dazu hätte; leider aber habe ich in der letzten Zeit Bech gehabt. Aber Ihnen, Herr, möchte ich den Rat geben, tüchtig drauf zu setzen. Es ist dies der beste Tip, den ich noch je in meinem Leben gehabt habe."
Wirklich?" sagte ,, Ginger", der sich dafür zu interessieren begann.„ Dann will ich drauf setzen, und Sie sollen auch was sezen. Zum Henker, wenn Sie nicht auch ein bißchen dran