Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 90.

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Freitag, den 6. Mai.

( Nachdrud verboten.)

Esther Waters.

Roman von George Moore . Journeymans Gesicht hellte sich noch mehr auf. Sie Klingelten, und als der Kellner erschien, bestellten sie zwei halbe Liter, und dann las Journeyman die Liste der Gewichte laut bor . Von Zeit zu Zeit hielt er inne, um seine Gründe für eine gelegentliche, anscheinend unverdiente Strenge oder wiederum eine milde Nachsicht anzugeben.

Es passierte Journeyman nicht oft, daß er einen so auf­merksamen Zuhörer fand. Man hatte ihm mehr als einmal schon zu verstehen gegeben, daß man seine ganze Handicap­wissenschaft für vollkommen unnük hielt. Mit um so größerem Vergnügen bemerkte er daber jetzt, daß Stacks Aufmerksamkeit von Minute zu Minute eher zu- als abnahm.

,, Kennst Du Bill Evans?" fragte ihn Stad. Du hast ihn wohl hier schon gesehen; ein so hübscher, dicker, schwarzer Kerl; meistens hat er was zu verkaufen, Pfandscheine, die er für ein Butterbrot loswerden will, oder so was."

" Ja, den kenn' ich. Bin ihm mal beim Derbyrennen be­gegnet. Eine Freundin von der Madame hier, Sarah Tucker, war doch rein verschossen in ihn."

" Jawohl; sie hat dann auch mit ihm zusammen gelebt; nachher, glaub' ich, hat er sie mal rausgeworfen; aber jetzt sind sie doch schon wieder zusammen; man will sie wenigstens zusammen gesehen haben. Jedenfalls sind sie aber ausgeföhnt miteinander. Den ganzen Sommer über ist er fort gewesen, hat rumgelumpt. Ein durch und durch schlechter Kerl, aber das sind gerade die Leute, die immer alles mögliche wissen." Also von Bill Evans hast Du einen Tip bekommen?" Jawohl, von Bill. Er ist eben von Eastbourne zurück­gekommen. Ich weiß nicht, ob er der Pferde wegen dort unten war, oder aus andern Gründen, aber er hat doch zufälligerweise von einem Hirten gehört, daß der alte Ben jeden Tag sieben Stunden Spazierübungen machen muß. Das scheint Bill in dic Krone gefahren zu sein. Sieben Stunden den Tag ist doch nichts Gewöhnliches, und da Bill natürlich gleich' ne Liebste im Stall hatte, ein bildhübsches Mädel, wie er selbst sagt, so hat er sich denn ein bißchen genauer erkundigt nach diesen Spazierübungen. Einer der Stalljungen ist nämlich hinter demselben Mädchen her, und diese Gelegenheit hat Bill benutzt, um alles mögliche auszufragen. Du meintest doch neulich, der Ben sei schwach auf den Vorderbeinen, das stimmt voll­kommen; darum muß er eben so viel Spazierübungen machen." " Und die glauben nun wohl, sie können ihn noch so in stand bringen, daß er den Cesarewitch nimmt, und lassen ihn zu dem Zweck die ganzen Tage herumtraben?"

Na, sie lassen ihn auch von Zeit zu Zeit ein bißchen galoppieren; ein bißchen schon, aber doch nicht so, als ob seine Beine in Ordnung wären!"

Journeyman schüttelte bedenklich den Kopf. Das geht nicht; ein Pferd, das nicht vier gesunde Beine hat, kann den Cesarewitch nicht nehmen; und der alte Ben hat schon lange feine zwei gesunden mehr."

Er hat aber lange geruht seitdem, und sie behaupten, er sei heute kräftiger als damals, wo er den Great Ebor ge­wann. Sie haben noch ein Pferd im gleichen Rennen, Laurel Leaf, aber das ist lange nicht so stark wie der alte Ben. Du selbst meinst doch, mit sechs bis sieben könnte er es gewinnen. Wenn er mit sechs bis sieben angesetzt wird, werden ganze Tonnen Goldes auf ihn gewettet werden. Ich selbst würde wenn Du Dich mit mir zusammenthätest gerne was auf ihn feßen."

"

-

Wir wollen lieber noch warten, bis die Gewichte ver­öffentlicht find," sagte Journeyman, denn wenn es zufällig Courtney zu Ohren käme, daß der alte Ben trainiert wird, so würde er ohne das mindeste Zögern ihm sieben bis zehn aufladen."

,, Glaubst Du?" sagte Stack. " Sicher!" sagte Journeyman.

Aber Du stimmst doch mit mir darin überein, daß, wenn er mit etwas weniger als sieben Stein durchkommt und nur in leidlich guter Verfassung ist, er das Rennen gewinnen muß?"

1904

,, Da würde ich tausend Pfund gegen einen Benny darauf

wetten."

"

Aber nun schweigen; fein Wort verraten!"

,, Als ob ich das würde!"

Als Stack unten die Thüre öffnete, wandte er sich um

und sagte:

auf

" Ich glaube, die Polizei ist drin."

" Dann wollen wir lieber hier bleiben; ich habe keine Lust, die Wache geführt zu werden."

Sie horchten eine Weile an der offenen Thür. ,, Nein, es ist nicht die Polizei, sondern ein Zank um irgend' ne Wette. Latch sollte wirklich vorsichtiger sein."

Die Ursache des furchtbaren Lärms im Lokal war ein großer, junger englischer Arbeiter mit goldgelbem Bart und sehr weißen Zähnen. Um seinen schönen, vollen Hals hatte er ein Taschentuch geknotet. Seine Augen stierten gläsern vor sich hin, wie die eines Betrunkenen, und seine Kameraden ver­suchten vergebens, ihn zu beruhigen. ,, Laßt mich zufrieden," rief er ein über das andre Mal, die Wette war zehn halbe Kronen gegen eine. Ich lass' mich nicht betrügen." Williams Gesicht wurde glühend rot. ,, Betrügen!" schrie er. Hier in diesem Lokal soll mir feiner von Betrügen sprechen."

"

Er wäre über den Ladentisch hinübergesprungen, wenn Esther ihn nicht festgehalten hätte.

"

" Ich weiß, was ich sage!" rief der junge Arbeiter und fuchte sich aus den Händen seiner Freunde zu befreien. Laßt mich zufrieden, die Wette war zehn halbe Kronen gegen eine." Hören Sie doch nicht auf das, was er sagt, Mr. Latch." " Was? Er soll nicht auf das hören, was ich sage?" Einen Augenblick schien es schon, als ob er auf seine eignen Freunde einhauen wollte, aber plötzlich schienen sich des jungen Mannes Gedanken zu verwirren, und er sagte:

-

,, Letzten Montag hier in diesem verfluchten Lokal das Pferd, auf das im Tattersall zwölf gegen eins gegeben und angenommen wurde."

"

,, Er weiß gar nicht mehr, was er redet," sagte William, aber hier in meinem Lokal darf mir niemand das Wart be­trügen" sagen."

,, Seien Sie nicht böse," beschwichtigten die Freunde, ein Irrtum fann ja vorkommen!"

William fonnte sich jetzt des Lachens nicht mehr enthalten und schickte Teddy hinauf, um die Zeitung von Montag her­unter zu holen. Er bewies daraus, daß am Montag auf das Pferd im Tattersall acht gegen eins geboten worden war.

Der Portier und ein Coulissenschieber aus dem Theater waren eben herübergekommen; sie standen da und hörten zu. Esther und Charles hatten Bier und Branntwein so schnell ausgeschenkt, wie sie nur irgend konnten, aber über den Streit wegen dieser Wette hatten die meisten vergessen auszutrinken.

,, Noch ein Glas!" sagte nun der junge Mann. Nehmen Sie sich die zehn halben Kronen in Branntwein raus, das geht ganz gut. Was meinen Sie dazu?"

n

" Was? Zehn halbe Kronen?" rief William ärgerlich, hab' ich Ihnen denn nun nicht gezeigt, daß am Montag, als Sie die Wette machten im Tattersall, auf dasselbe Pferd acht gegen eins gewettet worden ist?"

,, Nein; zehn gegen eins."

" Ich habe jetzt feine Zeit mehr für Sie; Sie stören mir mein ganzes Geschäft hier; machen Sie, daß Sie rauskommen." Ich möchte wohl wissen, wer mich hier rausbringen wird, wenn ich nicht gehen will."

Charles, geh' einen Schußmann holen.". Bei dem Wort Schutzmann schien der junge Mann ein wenig zu sich zu kommen, und er erwiderte:"

Unterstehen Sie sich nicht, hier so' n verdammten Schutz­mann reinzubringen. Ein Schußmann! So? Und Ihr ver­fluchtes Wetten hier, was wird der wohl dazu sagen?"

William blickte sich rasch im Lofal um, um zu sehen, ob einer da wäre, dem er etwa nicht trauen könnte. Aber nein er fannte sie alle und glaubte ihnen allen vertrauen zu können. Es blieb ihm jezt nur eins übrig, eine fecke Miene aufzusetzen und dem Zufall zu vertrauen.

Mit einem Sat sprang er über den Schanktisch hinüber. Nun machen Sie aber, daß Sie rauskommen, hören