Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 94. nud
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Donnerstag, den 12. Mai.
1904
Du bist sehr, sehr gut zu mir; aber laß nur ich kann
( Nachdrud verboten.) es schon allein machen."
Elther Waters.
Roman von George Moore . Ihre zärtliche Art und Weise und ihre Liebkosungen rührten William sehr, und er sagte:
„ Alles, was mir gehört, gehört auch Dir, Esther; aber," sagte er und schob sie ein wenig von sich zurück, um sie besser ansehen zu können. Nun werde ich Dich auch um was bitten." „ Was denn?"
"
Du sollst mir versprechen, daß Du mich nicht mehr wegen des Wettens plagen und beunruhigen willst. Ich weiß, Du bist in dem Glauben erzogen, es gottlos zu finden. Aber Du siehst doch ein, daß wir ohne das überhaupt nicht mehr eristieren könnten, nicht wahr? Kommen die dreißig Pfund, die Du für Sarah haben willst, nicht auch vom Wetten her?" " Ja, wahrscheinlich!"
„ Nicht wahrscheinlich, sondern selbstverständlich."
" Aber ich kann mich des Gefühls nicht mehr erwehren, Bill, daß die Zeit kommen wird, wo wir vielleicht kein Glück mehr haben werden."
" Du meinst, die Polizei wird uns über den Hals Tommen?"
" Hältst Du das nicht für möglich? Man hört doch jeden Tag, daß die Polizei diesen oder jenen Wettfklub aufgehoben hat."
" Ja, ja, sie passen auf wie die Bluthunde; ich bin jetzt nur leider nicht gesund genug, um so wie früher von einem Rennplatz zum andern zu jagen; aber ich hab' eine Idee, Esther. Ich habe in letzter Zeit viel, viel nachgedacht und bitte, gieb mir mal meine Pfeife; da liegt sie, gerade neben Dir, und sei mal ein gutes Mädel und halt mir das Licht." Esther hielt ihm das Licht, bis seine Pfeife brannte. Dann ließ er sich wieder in das Kissen zurückfallen und sagte: Wie gesagt, ich habe viel nachgedacht. Durch das Wetten hier haben wir das Geschäft ganz ordentlich in die Höhe ge bracht. Wenn wir das nun ne Weile so fortsetzen könnten, so könnten wir vielleicht in ein, zwei Jahren die ganze Geschichte ohne Verlust verkaufen. Wie wäre es, wenn wir uns dann für das Geld irgendwo ein gut gehendes Wirtshaus kauften? Ich habe London eigentlich satt. Die Luft hier scheint auch nicht gut für mich zu sein. Ich glaube sicher, daß ich auf dem Lande, irgendwo an der Südküste, bald wieder fräftiger sein würde. Da so um Bournemouth herum; was meinst Du dazu?"
Lever Gither noch antworten konnte, ward William von einem heftigen Hustenanfall unterbrochen, und fein großer, breiter Körper wurde davon so hin- und hergerüttelt und geschüttelt, daß es ganz erbärmlich war, es mit anzusehen.
Als er sich endlich davon erholt hatte, sagte Esther: " Ich bin sicher, daß ein großer Teil Deines Hustens von Deiner Pfeife herrührt. Du hast sie ja beständig im Munde; mir ist selbst schon zu Mute, als ob ich ersticken sollte."
" Ja; vielleicht rauche ich wirklich zu viel. Ich bin eben nicht mehr so fräftig wie früher; das fühle ich sehr wohl. Hier, leg' die Pfeife weg und puste das Licht aus, bitte. Wie geht's denn der Sarah?"
Sehr schlecht. Sie war halb bewußtlos und hat mir eigentlich nicht viel erzählen können."
at fie Dir gejagt, wo sie das Silberzeug versekt hat?" set Nein, ich werde sie morgen früh danach fragen."
-
Aber als sie die Strümpfe angezogen hatte, schienen ihre Kräfte zu Ende zu sein, und sie fiel wieder in ihre Kissen zurück.
Esther wartete einen Augenblick.
leihen.
Hier sind Deine Röcke," sagte sie, schlüpfe schnell hinein. Ich werde Dir einen Schlafrock und ein Paar Pantoffeln Als sie endlich herunterfam, saß William schon im Hinterstübchen beim Frühstück.
Sarah. Was wollen Sie essen? Da ist schöner, gebratener „ Na, Ihnen ist wohl noch verteufelt schlecht?" fragte er Fisch. Nein? Haben Sie keine Lust dazu?"
,, D, nein, nein; ich kann nichts essen." Eine Tasse Thee wird Dir gut thun, Du mußt' ne Tasse Sarah warf sich auf das Sofa. Thee trinken und ein Stückchen Toast dazu knabbern. Schenk ihr doch' ne Tasse Thee ein, William."
Als Sarah den Thee getrunken hatte, fühlte sie sich in der That ein wenig besser.
So," jagte William, nun erzählen Sie uns mal die ganze Geschichte. Esther hat Ihnen doch schon gesagt, daß wir Ihnen helfen wollen; nicht wahr?" „ Ach! Sie können mir ja nicht helfen; mit mir ist's zu Ende," erwiderte sie jammervoll.
„ Na, das wollen wir erst mal sehen," meinte William, ,, so viel ich weiß, haben Sie dem Lumpenkerl, dem Evans, Sas Silberzeug zu versetzen gegeben, nicht wahr?"
winnen. Er stand damals dreißig gegen eins, und Bill sagte, Ja, ja; aber er meinte ja, das Pferd würde sicherlich geWirtshaus auf dem Lande kaufen. Er wollte sich dann ruhig wenn wir gemännen, so wollten wir heiraten und uns ein niederlassen und arbeiten, und wollte nicht mehr- na, ich will nichts mehr gegen ihn sagen aber er sagte, dies sei sein letzter Versuch, ein anständiger Mensch zu werden, und gleich nachher wollten wir uns frauen lassen."
Wäre
ein Saus einrichten und Sie heiraten und so weiter. Ach ja; das hat er Ihnen alles gesagt. Er wollte Ihnen ihm ja nicht eingefallen. Ein Lump! Einen schlechteren Kerl wie den giebt's auf der ganzen Welt nicht mehr. Und Sie haben ihm alles das geglaubt?"
„ Ach! Es handelte sich nicht so sehr um das, was ich ihm glaubte, als darum, daß ich gar nicht anders konnte. Er hat eine solche Macht über mich- ich habe ihm gegenüber gar feinen Willen. Ich weiß nicht, woher das kommt, wahrscheinNaturen
lich haben Männer stärkere hat, es war gerade, als ob ich im Schlafe ging und alles that. Er sah mich an und sagte:„ Thu' es mur", und da that ich's; und nun werde ich wohl dafür ins Gefängnis gehen müssen. Was ich da sage, das ist die reine Wahrheit; aber es wird's mir ja feiner glauben. Was glauben Sie denn, wieviel Jahre werde ich wohl kriegen?"
„ Na, so weit sind wir noch nicht. Wir wollen mal erst versuchen, Sie zu retten. Wie ich höre, haben Sie dreißig fund auf das Silber bekommen. Esther hat Ihnen doch wohl gesagt, daß ich bereit bin, Ihnen das Geld zu leihen,
um es auszulösen?"
Wirklich? Das wollen Sie thun? O, Ihr seid wirklich gute Freunde! Aber ich werde ja nie in meinem Leben Ihnen so viel Geld zurückzahlen können."
Na, darüber wollen wir vorerst gar nicht reden.
Ich
Sie pustete das Licht aus, nestelte sich in Williams Arme will nur das feste Versprechen von Ihnen haben, daß Sie den Kerl niemals wiedersehen werden." zurecht und so schlief sie ein, glücklich in ihrer gegenseitigen Sarahs Gesichtsausdruck veränderte sich, und William Liebe; und es schien fast, als habe sich durch das gemeinsame Mitleid für ihre Freundin noch ein neues, festeres Band zwischen ihnen gebildet.
XL.
Sarah, Du mußt aber doch wenigstens einen Versuch machen, aufzustehen und Dich anzukleiden."
,, mir ist so schlecht, so schlecht! Ich wünschte, ich wäre tot."
2: 1
" Du mußt Dich aber nicht so gehen lassen werde Dir helfen, die Strümpfe anziehen." Sarah sah Esther an.
komm, ich
fagte:
was! Sie haben den Kerl doch nicht am Ende auch jetzt noch gern?"
" Onein, nein, gewiß nicht; aber ich weiß doch schon, wie es ist. Wenn ich ihm wieder begegne, so kann er mit mir machen, was er will. Es ist schrecklich, wenn eine Frau einen Mann so liebt, wie ich den liebe. Ich weiß, daß er sich nichts aus mir macht ich weiß, daß er ganz so schlecht ist, wie Sie sagen, und doch kann ich nichts gegen meine Gefühle thun. Es ist doch besser, daß ich Ihnen ehrlich die Wahrheit sage: nicht wahr?"